Menden. Jörg Hartmann überrascht bei seiner Lesung auf der Wilhelmshöhe. Andreas Wallentin begibt sich mit ihm auf Spurensuche.
Spätestens seit 2012, als er Kommissar Peter Faber im Dortmunder Tatort wurde, hat Jörg Hartmann auch in Menden viele Fans. Mit seiner Lesung im Rahmen des Autorenfrühlings der Buchhandlung Daub dürfte sich der Blick auf den Schauspieler, Hörspielsprecher und Drehbuchautor aber noch einmal verändert haben. Der Grund: Hartmann verriet erst dem veranstaltenden Buchhändler Andreas Wallentin und später dem Publikum auf der Wilhelmshöhe, dass er selbst Wurzeln in der Hönnestadt hat.
Wallentin holt den Autor mit seinem Auto aus Herdecke ab – viel Zeit also, um ins Gespräch zu kommen. Dabei erzählt Hartmann dem Buchhändler, dass er sich Menden unbedingt ansehen wolle, denn seine taubstumme Oma sei 1899 in Menden geboren worden. Dem Tatort-Kommissar liegt also besonders viel daran, sein erstes Buch „Der Lärm des Lebens“ auch in der Hönnestadt vorzustellen. Als Hartmann an einem Tisch auf der Bühne sitzt, und dem Publikum verrät, dass seine Oma Sophia eine geborene Klusendick war, geht ein Raunen durch die Reihen. Es macht sich so ein Gefühl breit wie „Das ist ja einer von uns“.
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Die Lesung wird einzigartig. „So etwas habe ich in 38 Jahren noch nie erlebt“, sagt ein restlos begeisterter Andreas Wallentin. Der lockere und private Plausch mit dem Publikum, dazu szenische Darstellungen und spannende Einblicke in sein Buch – an diesem Abend bleiben keine Wünsche offen. Die Gäste, zum Teil von weither angereist, bekommen natürlich Signaturen in ihre Bücher, Hartmann steht auch für Fotos zur Verfügung.
Der Mann ist gut gelaunt – und das liegt offenbar auch an Menden. „Er war ganz entzückt von unserer schönen Stadt“, erinnert sich Wallentin. Die Reste der ehemaligen Thekla-Fabrik haben sich Hartmann und er angesehen. Da war es Hartmann, der die Fotos machte, auch vom noch bestehenden ehemaligen Haupteingang – weil ihm immer erzählt wurde, die Familie habe etwas mit Töpfen und Pfannen zu tun gehabt.
Hartmanns Oma war taubstumm, hat mit ihrem ebenfalls taubstummen Mann vier Kinder großgezogen. Einer der vier war Hartmanns Vater. Das erfahren die Leser im Buch. Dem Publikum zu Herzen gehen die Passagen aus dem Buch, die er vorliest: Bombenangriff auf Herdecke, die Oma hört nichts, Hartmanns Vater Hubert – alle vier Kinder können hören und sprechen – warnt die Mutter mit wilden Gesten und deutlichen Lippenbewegungen, sie sollten sofort raus aus dem Haus. Hartmann spricht wichtige Konsonanten mit und dabei lässt er sie, wie es auch von ihm im Buch beschrieben wird, in seinem Mund knallen wie Gewehrsalven. Alle laufen zu einem Luftschutzbunker, in dem ein stadtbekannter Nazi Wache schiebt. Die Lesung ist szenisch, Hartmann spricht die Laute besonders aus, nutzt Gebärdensprache, sieht das Publikum immer wieder an, liest manche Stellen, die meisten rezitiert er, spricht mit ängstlicher Stimme, mit Panik.
Jörg Hartmann erzählt den Mendenern vom „Leichenschmaus“ für seinen Vater in dessen Handballer-Stammkneipe „Albert“. Die Verwandtschaft lacht, wenn der Cousin auf den Tisch steigt und in Gebärdensprache und mit Goethes „Röslein auf der Heide“ vorträgt, was Hartmanns Mutter immer peinlich war. Aber es war der Klassiker des Vaters, wenn er das Gedicht rezitierte und zugleich in Gebärdensprache übersetzte, die nur darauf abzielte, unter der Gürtellinie zu landen. Dann beginnt Jörg Hartmann in Menden zu singen – schief, aber mit Überzeugung, ganz, wie ein westfälischer Katzenchor. Eine weitere Reminiszenz an seine Heimat: Hartmann spricht Ruhrplatt.
Spurensuche auf Gut Rödinghausen
Am Ende des Abends gibt es minutenlangen Applaus für Jörg Hartmann – und eine Verabredung für den nächsten Tag. Andreas Wallentin fährt mit ihm zum Gut Rödinghausen, wo Kulturbüroleiterin Jutta Törnig-Struck ihm einige Unterlagen zu den „Klusendick-Stämmen“ in Menden gibt. Sie führt den staunenden und begeisterten Hartmann durch das Museum und verspricht, näheres über die genaue Abstammung seiner Oma in Erfahrung zu bringen.