Menden. In Sachen Inklusion hat sich einiges getan in Menden - aber nicht genug. Der Mendener Inklusionsbeirat zieht eine gemischte Bilanz.

Wer schon mal mit einem Rollstuhl vor einer hohen Bordsteinkante gestanden hat oder wer schon mal versucht hat, mit einem Rollstuhl eine Toilette oder eine Umkleidekabine in Menden aufzusuchen, weiß, dass in Sachen Inklusion noch einiger Nachholbedarf besteht. Doch es gibt auch positive Beispiele in der Hönnestadt. Was muss sich noch ändern? Die Westfalenpost hat zwei Menschen gefragt, die das genau wissen: Olaf Jung (57), Vorsitzender des Inklusionsbeirates, und Kerstin Hillebrand (42), stellvertretende Vorsitzende des Inklusionsbeirates.

Wie weit ist die Inklusion in Menden gediehen?

Olaf Jung: Es haben schon einige Ortsteilbegehungen stattgefunden – zum Beispiel auf der Platte Heide und in Lendringsen. Da machen wir gemeinsam mit der Stadt eine Bestandsaufnahme. Dabei haben wir festgestellt, dass es schon noch viel zu tun gibt. Weitere Ortsteilbegehungen werden noch stattfinden – zum Beispiel in Bösperde.

Kerstin Hillebrand: In Lendringsen wachsen an einigen Straßen zum Beispiel die Wurzeln von Bäumen durch den Gehweg. Da ist für Menschen im Rollstuhl oder auch mit einem Rollator kein Durchkommen. Oder die Wege zwischen Hecke und Baum sind teilweise zu schmal.

Olaf Jung, Vorsitzender des Mendener Inklusionsbeirates, und Kerstin Hillebrand, stellvertretende Vorsitzende des Inklusionsbeirates, setzen sich dafür ein, dass auch Menschen mit einer Behinderung an allem teilhaben können. Olaf Jung freut sich, dass er in einem Haus wohnt, das über einen Aufzug verfügt. Mit im Bild: Olaf Jungs Hündin Elli, ein Shih-Tzu-Malteser-Mix.
Olaf Jung, Vorsitzender des Mendener Inklusionsbeirates, und Kerstin Hillebrand, stellvertretende Vorsitzende des Inklusionsbeirates, setzen sich dafür ein, dass auch Menschen mit einer Behinderung an allem teilhaben können. Olaf Jung freut sich, dass er in einem Haus wohnt, das über einen Aufzug verfügt. Mit im Bild: Olaf Jungs Hündin Elli, ein Shih-Tzu-Malteser-Mix. © WP Menden | Corinna Schutzeichel

Auf der Platte Heide wurde im vergangenen Sommer die Allee am Heckenrosenweg neu gestaltet. Ist die nun barrierefrei?

Olaf Jung: Das ist ein Beispiel, bei dem wir mit im Boot waren und Tipps geben konnten. Das ist gut gelungen. Überhaupt ist auf Platte Heide in Sachen Barrierefreiheit einiges passiert. So wurden beispielsweise, als der Kreisel dort eingerichtet wurde, auch die Bordsteine abgesenkt. Die Stadt verbindet diese Maßnahmen oft mit einem konkreten Projekt. Positiv ist auch die Barrierefreiheit am Lenzenplatz und am Alten Amt.

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Klappt das bei neuen Projekten immer gut?

Olaf Jung: Nein, leider nicht. Ein Negativbeispiel ist der Mühlengraben. Da sind wir nicht angesprochen oder gefragt worden. Wenn man im Rollstuhl sitzt, hat man keine Chance, zum Zugang des Wassers am Mühlengraben zu kommen. Bei öffentlichen Gebäuden ist das was anderes: Da müssen wir als Inklusionsbeirat gefragt werden und eine Stellungnahme abgeben.

Am Eingang zur Dorte-Hilleke-Bücherei kommen Menschen im Rollstuhl ohne Hilfe nicht weiter.
Am Eingang zur Dorte-Hilleke-Bücherei kommen Menschen im Rollstuhl ohne Hilfe nicht weiter. © WP | Dirk Becker

Die Dorte-Hilleke-Bücherei, die ja vom Alten Rathaus zum Nordwall umziehen soll, ist ein solches öffentliches Gebäude. Am bisherigen Standort ist zum Beispiel der Zugang nicht barrierefrei. Von Kritikern des Umzugs wurde kürzlich ins Feld geführt, dass zur Barrierefreiheit auch Menschen gehören, „die einander helfen“. Wie sehen Sie das?

Olaf Jung: Meines Wissens ist die Bücherei im Alten Rathaus nicht barrierefrei und kann es auch nicht ohne Weiteres werden. Zurzeit ist es so, dass man am Treppenlift schellen muss, dann kommt jemand vom Bücherei-Team und hilft. Barrierefreiheit bedeutet aber, nicht um Hilfe bitten zu müssen. Es geht um selbstständige Teilhabe. Hinzu kommt, dass sich manche Menschen mit einer Behinderung nicht trauen, jemanden zu fragen. Nicht jeder hat das Selbstbewusstsein. Und wir treten für diese Menschen ein.

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Kerstin Hillebrand: Menschen mit einem Handicap wollen integriert werden – und nicht fragen müssen.

Und wie sieht es ansonsten mit der Barrierefreiheit in der Bücherei aus?

Olaf Jung: Die Regalhöhen sind zu hoch, da kommt niemand im Sitzen an Bücher. Man müsste also mehr in die Fläche als in die Höhe gehen. Zum Glück sind wir mit den Planern für die Bücherei am Nordwall im Gespräch. Da haben wir die Chance, die Bücherei so zu gestalten, dass sie zeitgemäß ist.

Die Allee, die parallel zum Heckenrosenweg auf der Platte Heide verläuft, ist aus Sicht des Inklusionsbeirates ein gelungenes Beispiel für Barrierefreiheit.
Die Allee, die parallel zum Heckenrosenweg auf der Platte Heide verläuft, ist aus Sicht des Inklusionsbeirates ein gelungenes Beispiel für Barrierefreiheit. © WP Menden | Corinna Schutzeichel

Ist denn die Toilette in der Bücherei barrierefrei?

Olaf Jung: Nein, die ist nicht wirklich barrierefrei. Man kommt da zwar mit dem Rollstuhl rein. In der Toilette gibt es zwar Platz für einen Menschen mit Handicap und eine helfende Person, aber zum Beispiel keinen Platz für eine Liege, die manche Menschen mit Handicap aber benötigen – wie etwa Menschen, die gewickelt werden müssen.

Wie sieht es mit anderen Toiletten in Menden aus?

Olaf Jung: Es gibt nur eine öffentliche Toilette, die barrierefrei ist – am neuen Rathaus. Da komme ich mit dem Euro-Schlüssel rein.

Wie funktioniert der Euro-Schlüssel?

Olaf Jung: Den habe ich schon seit Jahrzehnten. Man kann den als Schwerbehinderter, wenn man eine „außergewöhnliche Gehbehinderung“ hat, bei einem Verein beantragen – unter anderem auch beim Sozialverband VdK (Ortsverband Menden). Gegen ein Pfandgeld bekommt man dann diesen Euro-Schlüssel, der für die öffentlichen Toiletten passt – also beispielsweise auch auf Rastplätzen an der Autobahn.

Kerstin Hillebrand: Eine zweite barrierefreie Toilette soll beim Projekt „Lebensader Lendringsen“ umgesetzt werden. Da weiß man nur im Moment noch nicht, wo genau die Toilette stehen wird. Aber geplant ist sie.

Inklusionsbeirat

Olaf Jung folgte im Jahr 2019 Pascal Wink als Inklusionsbeauftragter. Pascal Wink hatte dieses Ehrenamt hingeworfen, weil er sich nicht eingebunden sah in viele wichtige Vorhaben, die auch seinen Aufgabenbereich berührt hätten.

Olaf Jung gründete schließlich 2021 den Inklusionsbeirat, auch „um eine größere Lobby zu haben“. Im Inklusionsbeirat sind derzeit knapp 20 Menschen vertreten – aus Vereinen, Parteien sowie weitere Interessierte.

Den Vorstand des Inklusionsbeirates bilden Olaf Jung, Kerstin Hillebrand und Norbert Schmitt.

Kontakt und weitere Infos: www.mit-menden.de/

Kommen Sie mit Ihrem Rollstuhl in der Innenstadt gut in Geschäfte und in Restaurants?

Olaf Jung: Das ist unterschiedlich. Es gibt manche, da komme ich mit Rollstuhl weder in den Gastraum eines Restaurants noch zur Toilette. Ich glaube, viele Menschen denken einfach nicht daran, dass alle älter und gebrechlicher werden. Da geht es ja nicht nur um Menschen, die eine Behinderung haben. Ich glaube, das ist in den Köpfen vieler Menschen nicht so richtig angekommen.

Kerstin Hillebrand: Das fällt mir manchmal auch in den Geschäften auf. Meine Tochter saß nach zwei Fuß-Operationen für einige Zeit im Rollstuhl, und ich kenne das auch, dass die Verkaufsfläche dermaßen voll gestellt wird, dass man mit einem Rollstuhl kaum oder gar nicht durchkommt. Das ist mit einem Kinderwagen nicht anders.

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Gibt es denn barrierefreie Umkleidekabinen?

Olaf Jung: Nein, da kenne ich in Menden kein einziges Geschäft. Ich kaufe dann drei Teile, probiere sie zu Hause an und bringe zwei wieder zurück. Anders geht es nicht.

Wie sieht es mit Wohnungen aus? Sind die oft barrierefrei?

Olaf Jung: Es gibt zu wenig Häuser, bei denen das der Fall ist. Ich wohne seit 2000 in einem barrierefreien Haus mit sechs Wohnungen. Da hatte ich richtig Glück. Wir haben einen Aufzug und die Türen sind so breit, dass ich mit dem Rollstuhl durchkomme. Barrierefrei und bezahlbar – das ist äußerst selten.

Unterm Strich ist in Sachen Inklusion in Menden noch viel zu tun, oder?

Olaf Jung: Das Thema Inklusion ist bei vielen Menschen noch nicht angekommen. Man will oder kann Dinge oft nicht ändern, habe ich den Eindruck. Wir als Inklusionsbeirat wollen für Menschen mit Behinderung eine Lobby sein. Und wir wollen Bindeglied zwischen der Politik und den Bürgern sein.

Kerstin Hillebrand: Ich würde mir wünschen, dass Inklusion etwas Selbstverständliches ist, dass man Barrierefreiheit mit einbezieht. Bei uns können sich gerne auch Menschen aus der Bevölkerung melden, denen etwas auffällt bei sich vor ihrer Haustür. Wir sind gerne bereit, Barrieren aus dem Weg zu räumen.