Menden. Hoch her geht es am Dienstagabend in der kontroversen Debatte um den Umzug der Mendener Stadtbücherei in den Nordwall-Neubau.

Von einer „regen Debatte“ um den kürzlich beschlossenen Umzug der Mendener Stadtbücherei zu sprechen, wäre nach diesem Dienstagabend eindeutig untertrieben: Hoch her ging‘s im Spiegelsaal der Wilhelmshöhe in der Debatte zwischen Befürwortern und Gegnern des Bücherei-Umzugs in den Siepmann-Neubau am Nordwall.

Juso-Attacke: CDU-Fraktionschef verlässt wütend den Saal

So verließ CDU-Fraktionschef Bernd Haldorn ersichtlich wütend den Saal, nachdem der Mendener Juso-Sprecher Julius Lachmann „rechte, am Rand schwimmende Menschen wie die AfD“ als einzig verbleibende politische Unterstützer für die Umzugsgegner ausgemacht hatte. „Wie Sie diese Veranstaltung parteipolitisch ausnutzen, ist nicht in Ordnung!“, donnerte Haldorn im Hinausgehen. (Anmerkung der Redaktion: Anders als in der Ursprungsfassung des Berichts erwähnt, hat Julius Lachmann die CDU in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Für das Missverständnis bitten wir um Entschuldigung.)

Bücherei-Initiative distanziert sich eindeutig von der AfD

Tatsächlich befanden sich neben Ratsmitgliedern fast aller Fraktionen auch mehrere Mendener AfD-Politiker im Saal. Von deren Partei distanzierte sich Alexander Zibis als Sprecher der Umzugskritiker im Nachgang eindeutig: „Damit wollen wir nichts zu tun haben.“

Kann das Bücherei-Team die Umzugsfolgen einschätzen?

Auch Bürgermeister Roland Schröder verlor wenig später kurzzeitig die Contenance: Alexander Zibis hatte bezweifelt, dass das Mendener Büchereiteam, das am Umzugskonzept mitwirkt, die Tragweite und Bedeutung des Beschlusses wirklich erfassen könne. Schröder zu Zibis: „Also, dass Sie den Menschen, die tagtäglich diese Arbeit machen, jetzt die Kompetenz dafür absprechen, macht mich sprachlos.“

Die Kontrahenten stellen eingangs mit Videos und Beamer-Präsentationen ihre Positionen vor: links Bürgermeister Schröder und Veronika Czerwinski, rechts Alexander Zibis und Lisa Nückel, in der Mitte Moderator Dirk Becker. 
Die Kontrahenten stellen eingangs mit Videos und Beamer-Präsentationen ihre Positionen vor: links Bürgermeister Schröder und Veronika Czerwinski, rechts Alexander Zibis und Lisa Nückel, in der Mitte Moderator Dirk Becker.  © Westfalenpost | Thomas Hagemann

Kopfschütteln im Streit um Barrierefreiheit im Alten Rathaus

Schon zuvor hatte Zibis deutlichen Unmut im Publikum auf sich gezogen. Der Mendener Inklusionsbeauftragte Olaf Jung hatte erklärt, dass er sich als Rollstuhlfahrer beim besten Willen nicht vorstellen könne, wie im denkmalgeschützten Alten Rathaus echte Barrierefreiheit herzustellen sei. Denn die müsse es Menschen mit Handicap ermöglichen, wirklich alles selbstständig erreichen und nutzen zu können.

Brauhaus oder Bürgertreff? Wie das Alte Rathaus nachgenutzt werden könnte, soll in diesem Jahr entschieden werden.
Brauhaus oder Bürgertreff? Wie das Alte Rathaus nachgenutzt werden könnte, soll in diesem Jahr entschieden werden. © Menden | Dirk Becker

Zibis antwortete darauf, dass für ihn zur Barrierefreiheit auch Menschen gehörten, „die einander helfen“, und das Büchereipersonal solle ja deutlich aufgestockt werden. Jung meldete daraufhin Zweifel an, ob Zibis überhaupt verstanden habe, was Barrierefreiheit bedeute. Olaf Jäger meldete sich aus dem Publikum und wurde deutlicher: „Unglaublich! Hier maßt sich einer an zu entscheiden, wie Behinderte behandelt werden.“

Auf Info-Tafeln an einer Seite des Spiegelsaals haben die Umzugskritiker ihre Positionen angeheftet. 
Auf Info-Tafeln an einer Seite des Spiegelsaals haben die Umzugskritiker ihre Positionen angeheftet.  © Westfalenpost | Thomas Hagemann

„Bücherei der Zukunft“ gegen „Moderne in historischem Gewand“

Begonnen hatte der Abend vor etwa 120 Gästen mit viel sachlicher Information. Die Kritiker-Initiative war die Veranstalterin dieses Abends, zugleich achtete der stellvertretende WP-Redaktionsleiter Dirk Becker als Moderator darauf, dass beide Seiten gleichberechtigt zu Wort kamen. Nach Beckers kundiger Einführung verteidigten fortan Bürgermeister Roland Schröder und Büchereileiterin Veronika Czerwinski den Ratsbeschluss für die „Bücherei der Zukunft“ im ersten Obergeschoss des gerade entstehenden Siepmann-Neubaus.

Stadtverwaltung will neue Bücherei als Lern- und Wohlfühlort

Dazu zählen sie die Bücherei als außerschulischem Lern- und als Wohlfühlort. Mit bestem W-LAN, Tablet-Ausleihe und multifunktionalen Räumen von der Lernbox für Mini-Gruppen bis hin zum Veranstaltungsraum, der auch Klassengrößen zulässt, und all das barrierefrei. Die Selbstverbuchung von Ausleihen zähle ebenso dazu wie Zugangsmöglichkeiten außerhalb der Öffnungzeiten.

Kritiker: Alle ist im Alten Rathaus ebenso umzusetzen

Alexander Zibis und Lisa Nückel fochten dagegen für eine „moderne Bücherei im historischen Gewand“, also für den Verbleib in einem stark zu modernisierenden Alten Rathaus. Statt einer „gesichtslosen und kaum sichtbaren“ Einrichtung im ersten Stock eines Geschäftshauses könne man eine Bücherei im Alten Rathaus erhalten, die alle genannten Funktionen ebenso erfülle. Das habe der von der Stadt engagierte Bücherei-Berater Andreas Mittrowann auf Nachfrage ausdrücklich bestätigt, erklärte Zibis. Und eine Jahresmiete in Höhe von 500.000 Euro summiere sich in 20 Jahren auf zehn Millionen. „Was könnte man dafür im Alten Rathaus alles machen?“

Büchereileiterin: Denkmalschutz großes Hemmnis für neue Ideen

Büchereichefin Veronika Czerwinski und Museumsleiterin Jutta Törnig-Struck berichteten hier allerdings von den enormen Einschränkungen durch den Denkmalschutz. „Man darf keinen Nagel in die Wand hauen“, erklärte Törnig Struck. Zur Umsetzung seines Büchereikonzeps hatte Mittrowann aber die vollständige Entkernung des Denkmals als Voraussetzung benannt.

Scharfe Kritik an Beschlussfassung: „Hintenrum durchgelaufen“

Punkten konnten Zibis und Nückel indes vor allem bei der Art und Weise der Beschlussfassung durch den Stadtrat. Diese sei so undurchsichtig abgelaufen, dass der Umzug als solcher nie öffentlich diskutiert worden und die Entscheidung bis heute gar nicht klar erkennbar sei. „Das hat man hintenrum durchlaufen lassen.“

Was Zibis die Frage des Bürgermeisters einbrachte, ob er die repräsentative Demokratie in Frage stellen wolle, in der gewählte Politiker nach klaren Regeln Entscheidungen treffen. Pläne und Konzepte seien zumindest in öffentlich tagenden Fachausschüssen sehr wohl diskutiert und beraten worden. Und was die Stadt Menden mit ihrer Bücherei vorhabe, praktizierten aktuell auch andere Städte, etwa Iserlohn. Die Tatsache, dass Kommunen zudem Investitionen von privater Seite durch Mietzusagen ermöglichten, habe Menden ebenfalls nicht exklusiv. „Wir alle können uns doch noch an die Ex-Dieler-Brache erinnern.“

Bürgermeister verweist auf Zwang zur Nichtöffentlichkeit

Allerdings hatte auch Moderator Dirk Becker eingangs beim Bürgermeister nachgebohrt, ob der Umzug wirklich beschlossene Sache sei – was Schröder einerseits klar bestätigte. Zugleich zog sich der Bürgermeister bei Nachfragen aber darauf zurück, dass die Anmietung in nicht öffentlicher Sitzung zu diskutieren und zu beschließen war, da die Interessen jedes Investors zu schützen seien. Das gebe das Gesetz so vor.

Dürfen Anmietung und Umzug überhaupt in einen Beschluss?

Hier erhob sich im Publikum der Mendener Jurist und frühere Gewoge-Geschäftsführer Manfred Döring. Er stellte fest, dass man den Beschluss der Anmietung keinesfalls mit dem Bücherei-Umzug verknüpfen könne, wie es offenbar geschehen sei: „Das hat nichts miteinander zu tun!“ Dem widersprach der Mendener Grünen-Fraktionssprecher Peter Köhler: „Zum Mietverhältnis gehört der Mietzweck. Und das war eine bewusste Entscheidung.“

Zukunft des Alten Rathauses ohne Bücherei noch völlig offen

Als Finger in der Wunde, den Zibis nach Kräften hineindrückte, erwies sich die Frage nach der Zukunft des Alten Rathauses ohne die Dorte-Hilleke-Bücherei. Bisher gibt es eingestandermaßen kein Nachnutzungskonzept für das anerkannt schönste Gebäude der Stadt. Die Kritiker befürchten hier einen langen Leerstand und bestenfalls kurzlebige gastronomische Zwischenspiele. Angebliche Pläne für ein Mendener Brauhaus verwies Zibis ins Reich der Träume. „Pläne gibt es noch gar keine“, konterte daraufhin Christian Feuring (MI-Fraktion). Für die Politik zählten keine Facebook-Debatten, sondern Beschlussvorlagen, die Ross und Reiter nennen.

Keine Annäherung: Positionen bleiben unversöhnlich

Der Stadtrat will sich laut Peter Köhler in diesem Jahr ausführlich mit einer sinnvollen Nachnutzung für das Alte Rathaus befassen. Er bat darum, auch die Vorteile des Umzugs für die Stadt zu sehen: „Wir bekommen eine Bücherei in einem sicherlich gut besuchten Geschäftshaus.“ Auch von den Kunden des Jobcenters im Stockwerk könne man eine Frequenz für die Bücherei nur wünschen.

Als Dirk Becker den spannenden Abend beschloss, war gleichwohl keine Annäherung oder gar Einigung zwischen den Gruppen erkennbar. „Aber das“, schmunzelte der Moderator, „hat hoffentlich auch niemand erwartet.“

Ob es noch Maßnahmen wie ein Bürgerbegehren oder eine Klage gegen den Ratsbeschluss gibt, bleibt auch nach diesem Abend abzuwarten.