Menden. Es geht um schwere Körperverletzung durch Unterlassen: War Mendenerin für einen Senior verantwortlich, auch ohne offizielle Betreuerin zu sein?
Erst sein Stalkingopfer, dann Betreuerin? Die persönliche Beziehung dieser beiden Mendener mutet ungewöhnlich an. Und sie endete zumindest im gesundheitlichen Aspekt tragisch. Aber welche juristische Verantwortung trägt die heute 58 Jahre alte Mendenerin, die ihr bisheriges Leben gänzlich unbescholten lebte, sprich, noch nicht vorbestraft ist?
Die Geschichte beginnt vor über 20 Jahren, so erzählte sie es nun vor dem Mendener Amtsgericht in der Verhandlung. Die heute 58-Jährige sei damals von einem Mann gestalkt worden, der von einer Beziehung mit ihr träumte, sich sogar als ihr Verlobter ausgab. Er habe damals von ihrem Beruf als Krankenschwester gewusst und deshalb, etwa auch unter falschem Vorspielen der genannten Beziehung, so lange die Krankenhäuser der Umgebung abtelefoniert, bis er ihren Arbeitsplatz schließlich gefunden habe und ihr dort auflauern konnte. Schon damals hatte der Mann erwiesenermaßen psychische Probleme.
Mendenerin versteckt sich nicht vor Stalker, sondern vermietet ihr Elternhaus an ihn
Danach folgt eine ungewöhnliche Wendung: Die Mendenerin versteckte sich nicht etwa vor ihrem Stalker. Als dieser ihr von Problemen mit seiner Wohnung berichtete, machte sie das genaue Gegenteil und vermietete ihm ihr Elternhaus in Menden, welches sie selber zum Wohnen nicht nutzte. Denn: „Menschen, die er immer sieht und um sich hat, sind für ihn unwichtig“, erklärte die Angeklagte zu Beginn ihres Prozesses. Das gewünschte Ergebnis damals: „Von da an hatte ich meine Ruhe.“
Es entwickelte sich gar ein vertrauensvolles Verhältnis, die Mendenerin unterstützte den an Schizophrenie leidenden Mann in vielen Alltagsdingen. Damals hatte dieser auch eine gesetzliche Betreuung, die in den folgenden Jahren aber aufgehoben, weil als nicht mehr notwendig betrachtet wurde. Trotzdem blieb er im Alltag auffällig, randalierte in der Wohnung, stellte anderen Frauen nach, berichtete die Angeklagte. Sie habe ihm außerdem mehrmals bei Geldsorgen finanziell ausgeholfen. Und auch körperlich habe sich sein Zustand verschlechtert, sie habe ihn deshalb auch immer wieder zu Ärzten begleitet. Den Alltag habe der Mann aber größtenteils alleine verbracht.
Mendenerin unterschreibt Vorsorgevollmacht für ihren Schützling
2021 bekam der ältere Herr Probleme mit seinen Füßen, er berichtete von Krämpfen. Es folgten wieder Arztbesuche und die hier Angeklagte unterschrieb schließlich eine Vorsorgevollmacht für ihren Schützling. „Zur Sicherheit“, wie sie in der Verhandlung erklärte. Sie sagte weiter, auch auf ihre Nachfrage hin hätte der Mann ihr nicht die Füße zeigen wollen. Diese sollen sich schon damals, im Herbst 2021, in einem besorgniserregenden Zustand befunden haben.
Im Dezember 2021 wurde es noch ernster, der Mann kam in die Notaufnahme. Diagnose: ein Gangrän an beiden Füßen, Gewebe war abgestorben wegen Durchblutungsstörungen. Kurz vor Weihnachten 2021 mussten dem Mann beide Füße amputiert werden. Womöglich hat er in seiner Wohnung aufgrund der psychischen Erkrankung Fenster und Türen im Winter offen gelassen oder gar draußen geschlafen, so dass die Kälte die Schäden (mit-)verursacht haben kann.
Vorwurf an Mendenerin: Keine engmaschige Überwachung veranlasst
Der Vorwurf nun gegen die 58-jährige Mendenerin: Obwohl sie von diesem Zustand und den Gefahren darum wusste, habe sie keine engmaschige Überwachung oder Betreuung veranlasst. Juristisch gesprochen: schwere Körperverletzung durch Unterlassen. Sie sagte selber: „Ich habe mehr getan als ich musste. Ich hatte keine Betreuung für ihn, er tat mir einfach leid.“ Und obwohl sie tatsächlich keine gesetzliche Betreuerin für den Senior war, sondern lediglich eine Vorsorgevollmacht hatte, könnte sie der schwere Vorwurf treffen. Zwar nicht auf dem Papier, aber tatsächlich und de facto übernahm sie die Betreuung, heißt es in der Anklageschrift.
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Amtsgerichtsdirektor Martin Jung, der den Prozess in Menden führt, erklärte dazu auf Nachfrage, rein juristisch reiche so ein Verhältnis aus, wenn man also gewohnheitsmäßig die Betreuung eines anderen Menschen übernommen habe. Man wisse dann um dessen Probleme, wo er sich vielleicht auch nicht selber helfen und Gefahren erkennen könne, und erwecke außerdem anderen Menschen gegenüber den Anschein, der Schützling sei gut versorgt. So gelte das etwa auch, wenn man einen Minderjährigen in Obhut habe für eine bestimmte Zeit, ohne selber Erziehungsberechtigter zu sein.
Geschädigter fährt im Rollstuhl zum Amtsgericht Menden vor
Ob das alles nun auch auf die 58-jährige Mendenerin zutrifft, sie also verantwortlich war, auch ohne offiziell gesetzliche Betreuerin zu sein und letztlich mitschuldig an der schweren Erkrankung ist, wird der weitere Prozess zeigen müssen. Denn zunächst endete er relativ schnell vor dem Amtsgericht. Berichte aus dem Krankenhaus führen aus, dass der Mann schon vorher bei Arztbesuchen von großen Problemen mit seinen Füßen erzählt habe, etwa von schwarzen Zehen. Diese Berichte vom Hausarzt fehlen aber dem Gericht noch und müssen ausgewertet werden. Um, so Martin Jung, „das Ausmaß an Vorwerfbarkeit“ gegen die Angeklagte zu ermitteln.
Auch soll weiter ergründet werden, was der Grund für das absterbende Gewebe an den Füßen sein kann, welches zur Amputation führte. Dafür ist ein Sachverständiger vorgesehen und soll aussagen. Der Prozess wird nun zunächst ausgesetzt, Martin Jung schätzte, dass es in drei oder vier Monaten weitergehen kann. Der Geschädigte, im Rollstuhl zum Amtsgericht vorgefahren worden, musste erst gar nicht aussagen. Der Prozess findet vor dem Schöffengericht statt, im Fall des Falles drohen der Frau sogar mehrere Jahre Haft.