Menden. Eine Mendener Ära endet nach 55 Jahren: Am 31. Juli schließt Carin Sommer ihren „Hairline“-Salon an der Brückstraße. Doch es ist auch ein Anfang.

Am 31. Juli schließt Carin Sommer ihren Friseursalon an der Brückstraße in Menden. Für immer. Nach genau 20.346 Tagen. Oder mehr als 55 Jahren. Am 17. November 1967 hat sie hier eröffnet, mit 23 Lenzen als eine der jüngsten Friseurmeisterinnen des Landes. „Heute bin ich vielleicht die älteste noch selbstständige“, lacht sie. In Menden ist sie in den fünfeinhalb Jahrzehnten dazwischen zur echten Institution geworden – mit ihrer Liebe zum Beruf, ihrer ungebrochenen Lust am Neuen, ihrem Einsatz für Mitmenschen, ihrem Engagement auch für ihr gar nicht so schwaches Geschlecht. „Die Mendener respektieren Leistung“, sagt sie.

Lieber Ausblicke statt Rückblick: „Wissen Sie, ich bin so ein Jetzt-Mensch“

Doch wer jetzt denkt, das Gespräch über diese unfassbar lange Zeit könne gar nichts anderes werden als ein wehmütiger Rückblick, hat sich geschnitten. „Wissen Sie, ich bin ein Jetzt-Mensch.“ Tatsächlich sind Rückblicke überhaupt nicht ihr Ding. Gut, sie schnibbelt sich pflichtgemäß durch ein paar alte Schwarz-Weiß-Alben, aber sie erzählt dabei, dass sie in ein paar Wochen am Eröffnungstag des neuen Salons ihrer Mitarbeiterin Enza Meisterjahn-Maggiore am Neumarkt mithelfen will. Dort sollen ihre fünf Kolleginnen übernommen werden. „Wir wollen alle da sein. Ist das nicht toll?“

Zukunftspläne: Aus dem Friseursalon könnte ein Veranstaltungsraum werden

Auch für die langjährigste Sommer-Mitarbeiterin Dagmar Topp, hier an der mächtigen Registrierkasse made in DDR, geht es im künftigen Geschäft von Enza Meisterjahr-Maggiore weiter. 
Auch für die langjährigste Sommer-Mitarbeiterin Dagmar Topp, hier an der mächtigen Registrierkasse made in DDR, geht es im künftigen Geschäft von Enza Meisterjahr-Maggiore weiter.  © Westfalenpost | Thomas Hagemann

Aus dem dann verwaisten Salon an der Brückstraße will sie eine Event-Location machen. Überhaupt kann sie sich gut vorstellen, sich im Immobilienbereich zu tummeln. Ihr Buch über die Abenteuer des Vierbeiners „Leo Schnippel“ will die Hundeliebhaberin dann endlich fertigstellen. Stolz zeigt sie derweil die frische Karte einer Kundin, die sie aus der alte DDR-Registrierkasse gerupft hat: „Lieben Dank für die Kosmetikberatung.“ Was auch immer Carin Sommer erzählt: Das Wort „Ruhestand“ kommt in mehr als zwei Stunden unseres WP-Gesprächs an keiner einzigen Stelle vor.

Morgens Laufen mit Otto an der Hönne

Das ist natürlich auch eine Frage der Fitness, das weiß sie. „Es ist mir direkt unheimlich, wie gut es mir geht“, schüttelt Carin Sommer den Kopf. Aber sie tue auch viel dafür: „Wenn ich früh morgens mit meinem Hund Otto an der Hönne entlanglaufe, vom Ehrenmal bis zur Brücke an der Kaiserstraße, dann gehört die Promenade mir!“ Und damit es so bleibt, zündet die Protestantin in der Antoniuskapelle sogar hin und wieder ein Kerzchen an: „Man muss demütig bleiben.“

Vorfreude auf mehr Zeit für Unternehmungen und spontane Touren

Die Abenteuer des Vierbeiners „Leo Schnippel“ will die Hundeliebhaberin demnächst endlich fertigstellen.
Die Abenteuer des Vierbeiners „Leo Schnippel“ will die Hundeliebhaberin demnächst endlich fertigstellen. © WP | Thomas Hagemann

Auch wenn sie ihr Hobby zum Beruf gemacht hat, wie sie sagt: Aufhören mit dem Salon wollte sie „eigentlich schon immer“, gesteht diese junge Frau im Körper einer älteren Dame. Sie freute sich darauf, mehr Zeit für ihre Unternehmungen zu haben. „Ich liebe Autofahren!“ Neulich hat sie sich in den Wagen gesetzt, um sich in Paris den verhüllten Triumphbogen anzusehen, Christos letztes Projekt. So schön wie den verhüllten Reichstag in Berlin fand sie’s am Ende aber nicht. „Der Stoff in Paris sah so stumpf aus, als wäre er aus Luftmatratzen zusammengeschneidert worden.“

Große Bewunderung für Vidal Sassoon

Ein anderer, den sie zutiefst bewundert, ist Vidal Sassoon, legendärer britischer Friseur und Unternehmer. „Dem müssten sie wirklich ein Denkmal setzen, denn er hat in unserem Beruf für echte Revolutionen gesorgt.“ Jahrhundertelang hatte man Haare mit dem Messer gekürzt, auch beim Friseur. Erst Sassoon machte die Schere salonfähig. Von ihm stammt auch die Erkenntnis, dass man Haare nicht bloß abschneiden, sondern zu Frisuren wie einem Bob gestalten kann. Und siehe da: Auch viele Sommer-Kundinnen und Kunden wollten plötzlich so aussehen wie Mireille Mathieu oder die Beatles.

BVB-Profi und ein Playmate frisiert – und an vielen Wettbewerben teilgenommen

Carin Sommer bei Hair-Mode-Musik im Mendener Kaufhaus Küster 1976. Den Erlös für die Caritas überreichte sie später an Bürgermeister Max Schmitz gemeinsam mit Kaufhaus-Chef Wilhelm Schurad.
Carin Sommer bei Hair-Mode-Musik im Mendener Kaufhaus Küster 1976. Den Erlös für die Caritas überreichte sie später an Bürgermeister Max Schmitz gemeinsam mit Kaufhaus-Chef Wilhelm Schurad. © Westfalenpost | WP-Repro

Zu den Promis, die bei Friseur Sommer ihre Haare machen ließen, zählte BVB-Profi Herbert Meyer oder Gabi Annicett, ein Playboy-Model, das einst nach Menden kam, um hier in einem VHS-Malkursus Modell zu sitzen – selbstverständlich vollständig angezogen, man war schließlich in Menden. Auf Fotos und Zeitungsausschnitten sind auch die „Hair Shows“ im Casino Lido in Venedig zu sehen, an denen Carin Sommer erfolgreich teilnahm. Auch in Menden, im alten Kaufhaus Küster, frisierten sie bei Modenschauen die Models auf dem Laufsteg vor Publikum. Für die Aktion Mensch, die damals noch „Aktion Sorgenkind“ hieß, schnitt ihr Team in fünf Stunden 315 Kindern die Haare und spendete die Einnahmen in Höhe von 1575 D-Mark. Später haben Kinderköpfe gegen Naturalien frisiert und die Lebensmittel dem De-Cent-Laden geschenkt.

Auftritte sogar in der legendären Mendener Disco KM

Auf Fotos und Zeitungsausschnitten sind auch die „Hair Shows“ im Casino Lido in Venedig festgehalten, an denen Carin Sommer erfolgreich teilnahm. In Menden, im alten Kaufhaus Küster, frisierte sie in den Siebziger Jahren bei Modenschauen die Models auf dem Laufsteg, live vor Publikum. 1988 übte sie ihr Handwerk in der legendären Mendener Disco KM aus. Für die Aktion Mensch, die damals noch „Aktion Sorgenkind“ hieß, schnitt ihr Team später in fünf Stunden 315 Kindern die Haare und spendete die Einnahmen in Höhe von 1575 D-Mark. Später haben sie Kinderköpfe gegen Naturalien frisiert und die Lebensmittel dem De-Cent-Laden geschenkt.

Aktionen für Bedürftige – von der Vollmond-Party bis zur Muschelsuche

Sie macht mit „Hairline“ im August am Neumarkt weiter: Carin Sommers Geschäftsführerin Enza Meisterjahn-Maggiore.
Sie macht mit „Hairline“ im August am Neumarkt weiter: Carin Sommers Geschäftsführerin Enza Meisterjahn-Maggiore. © Westfalenpost | Thomas Hagemann

Es gab über die Jahrzehnte unendlich viele Charity-Aktionen im Salon Sommer, auch noch in den letzten Jahren. Da war zum Beispiel 2019 die unvergessene Vollmond-Party, als zugunsten des karitativen De-Cent-Ladens nachts frisiert wurde. 2021 rief sie eine große Muschelsuche im Salon aus und spendete den Erlös für Flut-Geschädigte an „Mendener in Not“. Im letzten Jahr frisierte das Sommer-Team seine Kundinnen und Kunden zugunsten zweier unbegleitet nach Menden gekommener Geschwister aus der Ukraine. Und dem SV Oesbern hat sie gerade noch neue Trikots gesponsort.

In Spitzenzeiten 25 Angestellte

In Spitzenzeiten hatte sie 25 Angestellte, berichtet Carin Sommer. „Da war jeder Nebenraum ein Teil des Salons.“ In den letzten Jahren ließ sie es insgesamt etwas ruhiger angehen, seit Januar gibt es auch bei Carin Sommer die Vier-Tage-Woche von Dienstag bis Freitag. Ausnahmen bilden aber Stammkundinnen, wenn sie etwa zu einer Feier müssen. „Dann sind wir selbstverständlich für sie da.“

Eine dieser Kundinnen, die seit den Anfangsjahren zu Carin Sommer kommt, bringt es im Salon auf den Punkt: „Die Carin“, sagt sie auf WP-Nachfrage, „ist für Menden wie ein Baum, so tief ist sie hier verwurzelt.“

Man darf wirklich gespannt sein, welche Früchte dieser Baum künftig tragen wird.