Menden. Urteil im Prozess gegen zwei Brüder, die einen Bekannten mit einem Baseballschläger attackiert haben. Für Aufsehen sorgt jedoch ein Zeuge.

Der Hauptangeklagte eines Duos, das einen Mendener mit einem Baseballschläger attackiert hat, muss in Jugendhaft. Für Aufsehen sorgt aber weniger das Urteil selbst als ein Zeuge, der aus der Justizvollzugsanstalt Bochum vorgeführt wird – und einen regelrechten Fanclub mitgebracht hat. Gleichzeitig gibt ein Bericht der Jugendgerichtshilfe interessante Einblicke ins Leben der Angeklagten.

Jubelrufe für inhaftierten Zeugen

Es ist ein regelrechter Aufmarsch vor Saal II des Amtsgerichts Mendens. Gut zwei dutzend Zuschauer versammeln sich auf den Zuschauerplätzen, Angehörige der Prozessbeteiligten müssen eilig weitere Stühle in den Saal tragen. Es ist der letzte Prozesstag gegen zwei Brüder, die mit einem Baseballschläger einen Mendener niedergestreckt und ihn ausgeraubt haben sollen. Der ältere der beiden Brüder (22) gilt derweil als Hauptbeschuldigter des Angriffs. +++ Lesen Sie auch: Baseballschläger-Prozess: Ersthelfer berichten von Angriff +++

Nach einem Überfall an der Galbreite-Unterführung sind zwei Brüder aus Menden verurteilt worden. Sie hatten im Dezember 2021 einen Bekannten mit einem Baseballschläger attackiert. 
Nach einem Überfall an der Galbreite-Unterführung sind zwei Brüder aus Menden verurteilt worden. Sie hatten im Dezember 2021 einen Bekannten mit einem Baseballschläger attackiert.  © Westfalenpost | Tobias Schürmann

Zunächst schlurft ein junger Mendener in den Saal, begleitet von zwei Justizvollzugsbeamten. Der 25-Jährige sitzt derzeit in der JVA Bochum ein und soll weitere Hintergründe zur Tat liefern. Doch an ein Gespräch mit dem 22 Jahre alten Angeklagten über das gestohlene Handy erinnert er sich nicht. Er habe lediglich über Umwege erfahren, dass es um ein Smartphone gehen soll, „das irgendwann auf mysteriöse Weise verschwunden ist“. Mehr kann der Mendener dann auch nicht beitragen zum Prozess. Als der Zeuge aus dem Saal schlendert, steht gut die Hälfte der Zuschauer auf, um sich zu verabschieden. „Heute gibt’s Lachs“, ruft der Mendener seinen Freunden optimistisch zu. Ein Schauspiel, das selbst bei langjährigen Anwälten und Prozessbeobachtern für Verwunderung sorgt.

Zwei unterschiedliche Lebenswege

Der anschließende Bericht der Jugendgerichtshilfe offenbart derweil weitere Einblicke ins Leben der angeklagten Brüder, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Beide leben noch bei ihren Eltern. Vor allem der jüngere der beiden Angeklagten (19) sei in seiner Lebensbiografie etwas „einfacher“ als sein polizeibekannter älterer Bruder. Aufgewachsen sind beide auf Platte Heide. Von der Josefschule ging es für den 19-Jährigen später zur städtischen Realschule, an der er inmitten der Corona-Pandemie 2020 seinen Abschluss meisterte. Inzwischen ist der junge Mann am Placida-Viel-Berufskolleg untergekommen. „Er hat verschiedene Ideen zu seiner beruflichen Zukunft“, erklärt die Jugendgerichtshilfe dazu. Anwalt, Lehrer, Polizei. Alles vorstellbar aus seiner Sicht. Am Wochenende greift der 19-Jährige seinen Eltern unter die Arme, spielt Fußball „und kocht gerne“. Zur Tat – Ende Dezember 2021 war der junge Mann gerade 18 Jahre alt – habe er sich womöglich von seinem älteren Bruder beeinflussen lassen. Und um den mache sich der Berufsschüler große Sorgen.

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Nicht ganz unberechtigt, wie die Jugendgerichtshilfe mit Blick auf das bisherige Leben des 22-Jährigen erklärt. Die kriminelle Laufbahn hat demnach bereits im Alter von 14 Jahren begonnen. Diebstahl, Computerbetrug, Drogenvergehen, Angriff auf Vollzugsbeamte, Beleidigung, Fahren ohne Führerschein. Die Liste ist lang. Wie sein jüngerer Bruder ging der Angeklagte zur Josefschule, wechselte anschließend zum damaligen Heilig-Geist-Gymnasium (heute Hönne-Gymnasium, Anm. d. Red.). Doch nach einem Jahr folgte der schulische Abstieg. „Er hat nichts für die Schule getan“, bilanziert die Jugendgerichtshilfe. Selbst die Eltern schienen sich nicht mehr zu helfen zu wissen, schickten den Sohn nach einem Jahr auf dem Gymnasium und einem auf der Realschule für ein Jahr zu den Großeltern in die Türkei. Wohl auch, weil sie hilflos waren angesichts zunehmender Straftaten. Nach einem Jahr in der Türkei versuchte der heute 22-Jährige sein Glück nochmals auf der Hauptschule. Spätestens dort, so die Vermutung der Jugendgerichtshilfe, habe dann die Drogengeschichte des Angeklagten begonnen. Cannabis. Alkohol. Kokain. „Die Straftaten stehen immer in Verbindung mit Alkohol und Drogen.“ Die Gesetzesverstöße halten bis in die Gegenwart an. Eine laufende Bewährung wegen Fahrens ohne Führerscheins sowie Verstöße gegen das Waffengesetz ist zuletzt widerrufen worden, allerdings noch nicht rechtskräftig.

Zweifelhafte Einkünfte

Angesichts der privaten Umstände des älteren Angeklagten wird auch Amtsrichter Martin Jung abermals stutzig. Eine abgeschlossene Ausbildung kann der 22-Jährige zumindest nicht vorweisen, ebensowenig einen dauerhaften Beruf. „Da fragt man sich schon, warum man so ein teures Auto hat, wenn Geldprobleme im Raum stehen“, sagt Jung in Richtung Anklagebank. Die Luxus-Karosse des Mendeners, ein Mercedes C63 AMG, ist von der Polizei Dortmund im Rahmen eines weiteren Vergehens beschlagnahmt worden. Kostenpunkt: Zwischen 100.000 und 200.000 Euro laut Staatsanwaltschaft. Und auch dass der 22-Jährige das Elternhaus kaufte, als diese mit ihrem Unternehmen in finanzielle Schieflage gerieten, erscheint dem Richter sonderbar. Auf den Mendener ist eine Grundschuld in Höhe von 180.000 Euro eingetragen. „Das wirft die Frage auf, in welchen Milieus der Angeklagte unterwegs ist“, so Jung. Erst recht, wenn Verbindungen zu einer Escort-Dame im Raume stehen und der Mendener bei einer Polizeikontrolle mit einem Bündel Bargeld aufgegriffen wird – gleichzeitig aber von Arbeitslosengeld lebt. Gleichwohl: In der eidesstattlichen Versicherung des Angeklagten taucht das Elternhaus als Grundbesitz nicht auf.

Ein paar Minuten des Fehlverhaltens

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft gibt es keinen Zweifel am Ablauf des Angriffes an der Galbreite und dem Motiv, sich ein vermeintlich gestohlenes Handy zurückzuholen. „Es geht um die Frage: War es Selbstjustiz oder war es keine? Wir haben auch gesehen, welche Auswirkungen so eine Tat auf eine ganze Familie haben kann“, so die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer. Sie fordert für den jüngeren Bruder zwei Jahre Jugendhaft auf Bewährung sowie 150 Sozialstunden. Angesichts einer früheren Verurteilung und den Taten an der Galbreite wird sie beim 22-Jährigen jedoch deutlicher: drei Jahre und acht Monate Jugendhaft. Das sei, mit Blick auf die Aufgabe des Jugendstrafrechts, „erzieherisch notwendig“. Auch die Jugendgerichtshilfe schlug eine Jugendstrafe vor. Für den Nebenklagevertreter hingegen fast schon zu tief gegriffen. Während der 19-jährige Mendener sich von seinem älteren Bruder habe mitreißen lassen, habe der 22-Jährige durchaus eine Struktur im Leben, „nur eben keine rechtschaffene“.

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Anders sehen es hingegen die Verteidiger der Brüder. Gestohlen hätten die beiden jungen Männer ihrem Opfer nichts. Selbst nicht dessen Smartphone, Bargeld, EC-Karte oder Schlüssel. „Es ist nicht zu widerlegen, dass es ausschließlich darum ging, dass er sein Handy wieder haben wollte“, betont der Anwalt des Hauptangeklagten. Einen ausgeklügelten Plan habe es obendrein nicht gegeben. Vielmehr sei es eine Konfrontation gewesen, die aus dem Ruder lief. „Das Strafmaß meiner Vorredner ist daher völlig überzogen.“ Mit seiner Forderung, ein Jahr und zehn Monate auf Bewährung, bleibt der Verteidiger deutlich unter der der Staatsanwaltschaft. Gleiches macht auch der Verteidiger des jüngeren Bruders klar: „Wir müssen uns fragen, ob ein paar Minuten des Fehlverhaltens eine solch harte Strafe rechtfertigen.“ Sein Mandant sei weder vorbestraft noch Antreiber der Tat gewesen. „Eine hohe Zahl an Sozialstunden“ sei für den Verteidiger ausreichend.

Das Motiv: ein gestohlenes Handy

Mit dem Urteil ordnet sich das Jugendschöffengericht zwischen den Forderungen ein. Wegen versuchter Nötigung, gefährlicher Körperverletzung und Fahrens ohne Führerschein verkündet Amtsrichter Martin Jung für den 22-jährigen Angeklagten zwei Jahre und sechs Monate Jugendhaft, für den jüngeren Bruder 50 Sozialstunden und vier Tage Dauerarrest. „Für eine solche Tat besorgt man sich keine Zeugen“, so Jung in seiner Urteilsbegründung. Vielmehr gleiche die Tat unverhältnismäßiger und eskalierender Selbstjustiz. „Aus nichtigem Anlass eine Gewaltorgie zu machen, kann nicht angehen“, sagt Jung in Richtung Anklagebank.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.