Menden. Wer zahlt für den erstmaligen Ausbau einer Straße in Menden? Derzeit sorgt das Land NRW für Unsicherheiten. Das sind die Folgen für Anwohner.

Das Land NRW sorgt derzeit für Unsicherheit bei der Finanzierung von Baukosten für Straßen, die erstmals endausgebaut werden. In Menden hat das zur Folge, dass die Liste der Straßen, für deren Endausbau die Anwohner mitunter mehrere tausend Euro zahlen müssen, von rund 180 auf gerade mal eine Handvoll zusammengestrichen wurde. Doch ob das so bleibt, ist derzeit offen.

Dirk Wiegand (links), Leiter der städtischen Abteilung Straßenbau und Verkehr, und Sven Christiansen, Leiter der Abteilung Umwelt und Bauverwaltung.
Dirk Wiegand (links), Leiter der städtischen Abteilung Straßenbau und Verkehr, und Sven Christiansen, Leiter der Abteilung Umwelt und Bauverwaltung. © WP Menden | Corinna Schutzeichel

Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Ausgangspunkt für die Änderungen ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach Anlieger nicht mehr unendlich lange auf ihre Beitragsbescheide für den Endausbau ihrer Straße warten müssen. Spätestens vier Jahre, nachdem die Straße endausgebaut wurde, muss die Stadt abrechnen. „Es gibt Kommunen, die sich sehr lange Zeit gelassen haben, den Endausbau abzurechnen“, weiß Sven Christiansen, Leitung der städtischen Abteilung Umwelt und Bauverwaltung. In Menden sei dies indes nie der Fall gewesen.

Regelung überraschend für die Fachwelt

Das Land Nordrhein-Westfalen habe das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Anlass genommen, eine gesetzliche Regelung zu erlassen, „die für die Fachwelt relativ überraschend war“, erläutert Dirk Wiegand, Leiter der städtischen Abteilung Straßenbau und Verkehr. Derzeit dürfe die Stadt für jede Straße, deren Herstellung vor mehr als 25 Jahren begonnen hat, keine Erschließungsbeiträge mehr erheben. Und das betreffe den Großteil der noch nicht endausgebauten Straßen in Menden. Statt dessen muss die Stadt Beiträge für die Straßenerneuerung erheben, die deutlich geringer für die Anlieger ausfallen.

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Bitte um Klärung

Doch bevor sich alle Anwohner von provisorisch ausgebauten Straßen freuen, warnt Sven Christiansen, denn es sei nicht zweifelsfrei definiert, wann die erstmalige Herstellung einer Straße beginne. Also: Reicht es, wenn eine Baustraße asphaltiert worden ist oder braucht es einen politischen Beschluss für den Ausbau und in der Folge eine Straße mit Beleuchtung, Gehwegen, Randeinfassung etc.?

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Der Städte- und Gemeindebund habe Mitte Juli das zuständige NRW-Ministerium um Klärung gebeten, aber bislang keine Antwort erhalten. „Wir befinden uns da in einer Grauzone“, verdeutlicht Sven Christiansen die Situation der Stadt. Deshalb rechne die Stadt mit Anwohnern derzeit nur den Endausbau der Straßen ab, der rechtssicher ist. Das betrifft beispielsweise einige Straßen im Gewerbegebiet Hämmer.

+++ Diese Straßen sind in Menden noch nicht endausgebaut +++

Förderung durch das Land NRW

Alle Maßnahmen einer Straßenerneuerung, die ab dem 1. Januar 2018 politisch beschlossen worden sind, können vom Land gefördert werden, erläutert Sven Christiansen. Es gebe derzeit die Möglichkeit, alle noch nicht erstausgebauten Straßen, über das Kommunalabgabengesetz (KAG) abzurechnen, ergänzt Dirk Wiegand. Das bedeute, dass die Bürger hier zurzeit selbst keine Beiträge zahlen müssen. Das betreffe die Mehrzahl der noch nicht ausgebauten Straßen in Menden, die eben oftmals seit Jahrzehnten als Provisorium genutzt werden. „Zum jetzigen Zeitpunkt müssen die Bürger da gar nichts zahlen“, erklärt Dirk Wiegand. Ausnahmen seien Hämmerstraße, Milanstraße, Bussardweg, Adlerstraße und Lindort.

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Wer jetzt allerdings meint, für den Endausbau zurückgelegtes Geld ruhigen Gewissens ausgeben zu können, könnte falsch liegen: „Es ist offen, ob hier eine Klarstellung vom Land kommt“, sagt Sven Christiansen. „Deshalb will und kann ich hier keine Entwarnung geben.“

Denn in der Vergangenheit haben Anwohner für den erstmaligen Ausbau ihrer Straße 90 Prozent der Kosten tragen müssen und die Stadt zehn Prozent. Einwände von Anwohnern, die bisweilen das oft Jahrzehnte alte Provisorium ihrer Baustraße behalten möchten, musste die Stadt regelmäßig abweisen. „Das sind nicht die Standards, die wir haben wollen“, führt Dirk Wiegand aus. „Weder beim Asphalt noch bei der Entwässerung oder Beleuchtung.“ Denn eine Baustraße sei ursprünglich angelegt worden, um die Grundstücke bebaubar zu machen, „damit die Baufahrzeuge dort herfahren können. Die ist aber nicht dafür gedacht, endgültig so zu bleiben.“

Einige Straßen in den vergangenen Jahren ausgebaut

Unabhängig davon, ob die Bürger am Ausbau „ihrer“ Straße zukünftig (wieder) finanziell beteiligt werden oder nicht, ist die Liste der noch nicht endausgebauten Straßen lang. 2020 wurden der Ardresweg, Am Fohrengraben und Fette-Bruch-Straße ausgebaut, 2021 folgten Zum Mühlenteich und An der Sägemühle. In diesem Jahr wurde keine Straße erstmalig endausgebaut, im nächsten Jahr soll der Kohlpütt folgen. „Der Baubeschluss ist gefasst worden und die Anwohner sind mit einbezogen worden“, erklärt Dirk Wiegand.

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Die nächsten Straßen auf der Liste der Stadt sind Dreischer Kamp und Auf dem Dornstück. Hier sollen noch Anwohnerversammlungen folgen. „Wir stellen verschiedene Varianten zur Verfügung“, sagt Dirk Wiegand. Doch unabhängig davon, wer letztendlich zahle, gelte: „Wir werden die Kosten immer im Blick haben.“

Stadt koordiniert die Planungen

Und wer entscheidet, welche Straße in der langen Liste nach vorne rückt? Die Stadt koordiniere die Planungen mit der Stadtentwässerung und den Stadtwerken, um zu verhindern, dass eine Straße zweimal kurz hintereinander aufgerissen werden müsse – also zum Beispiel, wenn in einer Straße ohnehin neue Leitungen verlegt werden müssen. Zudem müssen sich die Versorger dann an den Herstellungskosten beteiligen, womit sich auch die Anliegerbeiträge reduzieren.

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Eine Durchschnittssumme, was Anwohner (bislang) zahlen mussten, gebe es nicht, sagt Sven Christiansen. Denn das hänge von der Größe des Grundstücks und von der Anzahl der (laut Bebauungsplan möglichen) Geschosse eines Hauses ab. „Das gucken wir uns für jedes einzelne Grundstück individuell an“, erläutert Sven Christiansen.

Ratenzahlung möglich

Auch wenn die Summen sich bisweilen auf viele tausend Euro belaufen, müsse niemand befürchten, dass er deshalb sein Haus verkaufen muss. „Wenn jemand nachweist, dass er das nicht in einer Summe zahlen kann, ist auch Ratenzahlung möglich“, versichert Sven Christiansen. Im äußersten Notfall sei auch denkbar, dass die Stadt ins Grundbuch eingetragen wird, „das gab es bislang aber noch nie“.

Was kostet eigentlich eine Straße?

Welche Kosten entstehen beim erstmaligen Ausbau einer neuen Straße? Die Stadt hat nachgeschaut und rechnet dies für die WP am Beispiel einer Straße vor. Wichtig: Keinesfalls kann das Beispiel – hier: Grüner Weg – als Blaupause für die Kostenschätzung noch nicht ausgebauter Straßen genommen werden. Die fallen je nach örtlichen Gegebenheiten anders aus.

Grüner Weg

Maßnahme: Erwerb und Freilegung der Flächen, erstmalige Herstellung der Fahrbahn, des Gehweges und der Straßenbeleuchtung, Straßenentwässserungseinrichtung.
Maßnahmejahr:
2015/2016.
Länge der Straße:
ca. 320 Meter.
Beitragsfähige Kosten:
408.054,96 Euro.
Umlagefähige Kosten (90 %):
367.249,51 Euro.
Nutzungsfläche:
ist die Größe des Grundstücks multipliziert mit dem Faktor für das Maß der Nutzung (zum Beispiel: 1 Vollgeschoss = Faktor 1; 2 Vollgeschosse = Faktor 1,25).
Nutzungsflächen aller Grundstücke:
39.588,18 qm.
Beitragssatz pro qm Nutzungsfläche:
9,28 Euro je qm Nutzungsfläche.
Beispielrechnung:
Grundstücksgröße:
1.000 qm.
Bebaubar mit 2 Vollgeschossen:
Nutzungsfaktor 1,25.
Nutzungsfläche:
1.000 qm x 1,25 = 1.250 qm.
Beitrag für ein Grundstück mit 1.250 qm Nutzungsfläche:
11.600,00 Euro.

Hinweis: Je mehr Grundstücksflächen an der Verteilung des umlagefähigen Ausbauaufwandes teilnehmen, desto geringer wird der Erschließungsbeitrag für jeden Quadratmeter Grundstücksfläche. Die Beitragssumme hängt wiederum von der Größe des jeweiligen Grundstückes ab.

Wer ein Haus kauft, dem raten Sven Christiansen und Dirk Wiegand, nachzufragen, ob in der Vergangenheit die erstmaligen Erschließungsbeiträge abgerechnet wurden – damit Neueigentümer nicht nach Jahren eine böse Überraschung erleben. „Wir haben jede Woche Anfragen von Grundstücksinteressenten oder auch von Maklern und Notaren, die sich da erkundigen.“

Hoffnung auf konkretere Äußerungen vom Land NRW

In Sachen Finanzierung hofft die Bauverwaltung auf eine baldige Konkretisierung durch das Land: „Wir wünschen uns da einfach mehr Sicherheit“, sagt Sven Christiansen. Doch in jedem Fall gelte: Die lange Liste der noch nicht endausgebauten Straßen werde nicht in wenigen Jahren abgearbeitet. „Der erstmalige Ausbau steht auch etwas in Konkurrenz zur Straßenunterhaltung und auch zu allen weiteren Bau-Projekten in Menden“, erklärt Dirk Wiegand. „Wir brauchen für alles Techniker und Ingenieure, um ausschreiben zu können.“ Und darüber hinaus müsse auch das Handwerk die entsprechenden Kapazitäten haben.