Menden. Erdbeben in der SPD: Fünf von elf Mitgliedern verlassen im Streit die Ratsfraktion. Es geht um einen Brandbrief und den Vorwurf der Lüge.

Politisches Erdbeben in der Mendener SPD: Fünf von elf Mitgliedern der Ratsfraktion haben ihren sofortigen Austritt erklärt. Es sind der bisherige stellvertretende Fraktionsvorsitzende Christian Feuring sowie die langjährigen Fraktionsmitglieder Bernd und Anne Alban, Dr. Sven Langbein und Heinz „Henry“ Kiaulehn. Bis auf das Ehepaar Alban sind nach WP-Informationen alle anderen auch aus der Partei ausgetreten. Damit steht die SPD-Fraktion im Rat der Stadt Menden nur noch mit sechs statt bisher elf Mitgliedern da: dem Fraktionsvorsitzenden Sebastian Meisterjahn, dem Ortsvereinsvorsitzenden Mirko Kruschinski, Ingo Günnewicht, Bianca Voß-Günnewicht, Markus Schröer und Oliver Smith.

SPD kämpft um Rückgabe der Mandate – stattdessen offenbar die neunte Ratsfraktion

In einer gemeinsamen Pressemitteilung von Fraktion und Ortsverein Menden heißt es zu dem Vorgang denkbar knapp: „Heute sind fünf Ratsmitglieder aus unserer Fraktion und teilweise auch aus der SPD ausgetreten. Wir gehen davon aus, dass sie auch auf ihre Ratsmandate verzichten werden, da sie diese über Listenplätze der SPD Menden erhalten haben und nicht durch den Gewinn ihrer Wahlkreise.“ Nach Informationen der WP denkt jedoch keiner der fünf Ausgetretenen daran. Vielmehr überlegen die drei ehemaligen SPD-Mitglieder jetzt eine eigene Fraktion im Mendener Stadtrat zu bilden. Das wäre dann die neunte Fraktion im zahlenmäßig größten Rat aller Zeiten – neben CDU, SPD, Grünen, FDP, Linken, UmSo, USF/UWG und AfD.

Nur die Albans wollen ausdrücklich noch in der SPD bleiben

Hinzu kämen zwei fraktionslose Mitglieder. Denn Anne und Bernd Alban erklären ausdrücklich, in der SPD bleiben zu wollen, für die sie beide auch Mandate im MK-Kreistag haben: „Am Samstag, 5. November, haben wir der SPD-Ratsfraktion unseren Rückzug aus der Ratsfraktion mitgeteilt“, heißt es in einem Statement. Und weiter: „Diesen Entschluss haben wir aus persönlichen Gründen gefasst. Wir wollen Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bleiben und werden uns keiner anderen bestehenden oder neuen Fraktion im Rat der Stadt Menden anschließen und fortan als fraktionslose Mitglieder dem Rat angehören. Wir bitten um Verständnis, dass wir gegenüber der Öffentlichkeit zu dieser internen Angelegenheit keine weitere Stellungnahme abgeben werden.“

„Menschenunwürdig, empathielos“: Brandbrief der SPD zu Krabbe löst Konflikt aus

Wir die WP weiter erfahren hat, steht Bernd Alban allerdings im Zentrum des aktuellen Konflikts. Als Vorsitzender des Sozialausschusses der Stadt hatte er in der Sitzung am 2. September zugelassen, dass ein „Brandbrief“ der SPD, unterzeichnet von Meisterjahn und Kruschinski, auf Antrag der CDU vom gesamten Sozialausschuss wegen der darin benutzten Wortwahl offiziell „missbilligt“ wurde. In diesem Brief, der auch auf Facebook veröffentlicht wurde, bezeichnen Meisterjahn und Kruschinski die mangelhafte Unterbringung von Ukraine-Flüchtlingen im Bieberberg-Schulgebäude in Lendringsen als „menschenunwürdig“ – und die Beigeordnete unter anderem als „empathielos“.

Sozialausschuss missbilligt öffentlich die Äußerungen der SPD-Spitzen

Das wollte Robin Kroll (CDU) im Sozialausschuss so nicht stehen lassen: „Die Art und Weise, wie die Erste Beigeordnete der Stadt Menden durch Mitglieder der SPD-Fraktion in sozialen Medien behandelt wird, ist nicht in Ordnung und auch völlig unbegründet.“ Robin Kroll stellte den höchst ungewöhnlichen Antrag, der Sozialausschuss möge den Umgang „von Teilen der SPD“ mit Henni Krabbe öffentlich missbilligen.

Wortprotokoll weist Aussagen Albans aus: „Es gibt keine Gegenstimmen“

Bernd Alban war als Vorsitzender nach einer Corona-Welle in der SPD der einzige Vertreter seiner Partei in dieser Sitzung. Seine im Wortprotokoll festgehaltenen Feststellungen „War das jetzt ein Antrag auf einen Beschluss?“ und „Es gibt keine Gegenstimmen“ bedeuten formal, dass auch er selbst die Missbilligung seiner Genossen mitgetragen hat. Denn auch der Vorsitzende hat Sitz und Stimme im Ausschuss. Zudem heißt es im Wortprotokoll: „Ich halte also fürs Protokoll fest, der Ausschuss (hat) in seiner Gänze das so festgehalten, dass das so nicht geht und dass das in Grunde genommen auch den Betroffenen nicht zugute kommt.“ Allerdings zeigt das Wortprotokoll auch auf, dass es keine ganz eindeutige Abstimmung mit der üblichen Frage nach Ja- und Nein-Stimmen oder Enthaltungen gab. Offenbar wurde ein Applaus für Krolls Kritik an der SPD-Spitze durch die Ausschussmitgliedern aber so ausgelegt.

Alban streitet Abstimmungsverhalten ab – Fraktionschef hört sich Mitschnitte an

Bevor es zu der Beweisführung durch die Mitschnitte kam, hatten die Sozialdemokraten Bernd Alban in Fraktion und Ortsvereinsvorstand nach dem Vorgang gefragt. Alban, hieß es, habe dabei stets bestritten, dass es eine gültige Abstimmung gab und dass er die öffentliche Verurteilung von Teilen seiner Partei und seiner Fraktion wirklich mitgetragen habe. Erst danach hörte sich Fraktionschef Meisterjahn die Bänder mit den Mitschnitten an, die jetzt im öffentlich zugänglichen Wortprotokoll nachzulesen sind. „Danach haben sich einige von Bernd nach Strich und Faden belogen gefühlt“, hieß es am Samstag aus Reihen der verbliebenen Fraktion.

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SPD-Spitzen legen Alban den Rücktritt vom Vorsitz nahe – doch der lehnt ab

Angesichts seiner Äußerungen wurde Alban dann der Rücktritt vom Vorsitz im Sozialausschuss nahegelegt, was dieser jedoch abgelehnt haben soll. Daraufhin wurde für alle elf SPD-Fraktionsmitglieder eine Abstimmung organisiert. In einem Umlaufverfahren, bei dem jedes Mitglied eine E-Mail erhielt, wurde jedes Mitglied gefragt, ob es für oder gegen die Abberufung Albans aus seinem langjährig ausgeübten Amt sei. Abgabefrist war Freitag, 4. November, 12 Uhr. Die Abstimmung endete mit sechs Ja-Stimmen, vier Nein-Stimmen und einer Enthaltung. Damit hätte Alban seinen Vorsitz im Sozialausschuss, der künftig von einem anderen SPD-Fraktionsmitglied besetzt werden dürfte auf jeden Fall verloren – auch ohne seinen Fraktionsaustritt.

Christian Feuring: Umgang mit Alban brachte für ihn das Fass zum Überlaufen

Als Reaktion auf das Vorgehen von Meisterjahn und Kruschinski verließen jedoch nicht nur die Albans ihre Fraktion: Jetzt sind fünf Austritte zu verkraften. Auf Anfrage der WP legte der bisherige Vize-Fraktionschef Christian Feuring Wert auf die Feststellung, dass es den Abweichlern nicht nur um Bernd Alban gehe: Die gesamte Atmosphäre in der SPD-Ratsfraktion habe er schon seit längerer Zeit als schlecht und unproduktiv empfunden. Der Umgang mit Alban sei aus seiner Sicht nur der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

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Tod von Jutta Aeldert kippt die Machtverhältnisse in der Fraktion

Auch auf der Gegenseite ist zu vernehmen, dass der jetzt ausgebrochene Konflikt schon länger schwelte. So habe der plötzliche Tod von Jutta Aeldert, die Fraktionsmitglied und stellvertretende Bürgermeisterin war, die Machtverhältnisse in der Fraktion gekippt, hieß es. Denn Aelderts Nachfolger Markus Schröer zähle zum zwölfköpfigen Ortsvereinsvorstand von Mirko Kruschinski, während Aeldert eher der anderen Fraktion in der Fraktion zuzurechnen gewesen sei. So sei aus einem Verhältnis von 5:6 jetzt ein 6:5 geworden.