Menden. Das „Kunstfest Passagen“ in Menden holt Kultur ins Kalkwerk. Die „Suche nach Marcel Proust“ ist ein Vergnügen – nur der Stoff hat Längen.
Immer dem Mann mit der Warnweste hinterher! Es ist nur dieses Mal keine Besuchergruppe, die Kalkwerk-Chef Stefan Flügge hinterherläuft. Diese Menschen wollen Kultur statt Kalk. Nach fünf Minuten Fußmarsch öffnet sich die Tür am Rand der Verladestation. Das frühere Sacklager dahinter ist für einen Abend die große Bühne für das Kunstfest Passagen – ein fantastischer Kontrast, der gar nicht so groß ist wie man zunächst zu meinen glaubt.
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„Auf der Suche nach Marcel Proust“, heißt der Abend. Wenn man ehrlich ist, wird der Name des französischen Schriftstellers nur wenigen Mendenern etwas sagen. Sein 5000 Seiten umfassendes Hauptwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ dürften selbst Experten nicht in Gänze gelesen haben. Und so ist es genau der richtige Ansatz, Prousts Werk und Leben in mundgerechten Häppchen zu servieren – garniert mit musikalischen Einschüben. Der Autor selbst soll überzeugt gewesen sein, dass Musik ausdrückt, was die Sprache nicht zu sagen vermag.
Der unperfekte Raum wird zur perfekten Bühne
Es ist vor allem die Umsetzung, die diese Häppchen zum Leckerbissen macht. Regisseur Alexander Ritter und sein Team bespielen das Sacklager mit einem bunten Mix der technischen Möglichkeiten die Wände. Dazwischen immer wieder mal ein Zitat, Comics und Gemälde. Dieser unperfekte Raum wird zur perfekten Bühne. Hinter Säulen und zwischen abgestellten Großgeräten: überall Proust!
Früher wurde hier Kalk in Säcke gefüllt, es rieselte aus der Decke. Das Sacklager wird heute nicht mehr genutzt, ist eher Abstellraum, irgendwie vergänglich, aber immer noch da.
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Monika Bujinski, Hella Birgit Mascus und Yvonne Forster (hochschwanger!) tragen die Texte vor, dass es ein Vergnügen ist. Die drei Schauspielerinnen (aus dem Umfeld des Bochumer Theaters Rottstr5) wandeln, sitzen, mal zu dritt nebeneinander, mal allein. Das Wechselspiel von Licht und Dunkel bringt Abwechslung in die Vorlage, die zwischendurch doch der überschaubaren gut eineinhalb Stunden arge Längen hat. Inhaltlich gibt’s viel Selbstbeschäftigung des Künstlers, wenig Handlung, keinen Spannungsbogen. Das durfte man allerdings auch nicht erwarten. Die Vorlage ist nichts für Blockbuster-Fans, sondern eher für Menschen, die sich als einziger Gast stundenlang vor einen französischen Film ins Programmkino setzen. Auf den Hockern im Sacklager ziept’s einigen Zuhörern nach knapp 90 Minuten im Rücken, so dass sie die restlichen Minuten lieber im Stehen verfolgen.
Sacklager im Kalkwerk – eine Akustik wie ein Konzertsaal
Alexander Hülshoff am Violoncello und Megumi Hashiba am Klavier sind mehr als nur der musikalische Part zwischen den Texten. Sie spielen die Werke des Komponisten Reynaldo Hahn – zeitweise Liebhaber von Marcel Proust, der seine Homosexualität in den Werken immer wieder zum Thema macht. Der Raum bietet eine Akustik, die sich so mancher Konzertsaal-Betreiber wünschen würde. Wow! Da hätte man sich noch größere musikalische Anteile gewünscht.
Man dürfte Marcel Proust, der die großen Fragen des Lebens anging, jetzt wohl nicht mit Zahlen kommen, aber fürs Publikum ist es schon ein recht exklusives Vergnügen. Auf – konservativ gerechnet – zwölf Menschen auf der Bühne und im Hintergrund kommen 24 Zuschauer, wenn wir uns nicht verzählt haben. Die 18 Euro pro Ticket im Vorverkauf bilden nicht annähernd die tatsächlichen Kosten ab. Auch das gehört zur Wahrheit.
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Langanhaltender Applaus und neugierige Blicke ins Sacklager
Das schmälert nicht die Begeisterung derjenigen, die da sind. Es gibt langanhaltenden Applaus, während zwei Kalkwerker etwas verdutzt durch einen Schlitz ins Sacklager schauen. Ein Absacker im Theater-Café? Es geht im Dunkeln durch die nächtliche Kulisse des Kalkwerks zurück zum Auto. In der Arminia-Klause brennt noch Licht. Und so mancher kann jetzt von sich behaupten, im Sacklager zu Marcel Proust gefunden zu haben.