Menden/Wimbern. Seit April versucht ein Tierarzt eine in Menden ausgebüxte Kuh zu fangen. Warum das gar nicht so einfach ist – und welche Gefahr drohen könnte.
Mit Blasrohr und Betäubungspfeilen bewaffnet pirscht der Soester Tierarzt Michael Behrendts am Montagabend durch die Feldflur in Wimbern. Denn hier und in den umliegenden Waldstücken versteckt sich seit Monaten ein entlaufenes Rind. Es ist das letzte von sieben Tieren, die Ende April einem Landwirt in Menden ausgebüxt sind.
„Es ist besonders schwer zu fangen, weil es sich in der Regel bis zum Einbruch der Dämmerung im Dickicht des Unterholzes oder zwischen den Bäumen aufhält“, berichtet der Veterinär im Gespräch mit der WP. Seit Pfingsten ist er damit beauftragt die flüchtigen Fleischrinder in der Region zwischen Schwitten und Wimbern aufzuspüren, zu betäuben und anschließend in die Obhut des verantwortlichen Viehhalters zu übergeben. Bei fünf Tieren ist ihm dies inzwischen nach seinem normalen Tagwerk als Tierarzt auch gelungen. Ein weiteres Tier hat sich einer anderen Rinderherde auf einer umzäunten Weide in Oesbern angeschlossen. Es stellt somit ebenfalls kein Gefahrenpotenzial für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mehr dar.
Drohne spürt betäubte Tiere auf
Anders ist es bei dem Freigänger in der Wimberner Feldflur und dem angrenzenden Forst. „Das Tier ist recht standorttreu und hat bislang kaum die Straßenseite gewechselt. Deshalb kümmern wir uns erst jetzt um den Ausreißer, der es bis über die Kreisgrenze in die Gemeinde Wickede geschafft hat“, erklärt Behrendts den Hintergrund für die Verzögerung bei der Jagd nach dem Rindvieh. Seine Artgenossen hätten im erntereifen Raps für andere Landwirte zudem mehr Schäden angerichtet. Die Tiere habe er mit Blasrohr oder Betäubungsgewehr jeweils angeschossen und narkotisiert. Bis das Narkosemittel aus den Pfeilen gewirkt habe, seien sie zwar noch eine Strecke weit geflüchtet. Doch mit Hilfe einer Drohne mit Wärmebildkamera habe er gemeinsam mit dem Besitzer und weiteren Helfern die betäubten Rinder dann zeitnah aufspüren und schließlich abtransportieren können.
+++ Das könnte Sie auch interessieren: Sieben Kühe auf der Flucht +++
Aufgrund der Topografie und der Vegetation gestaltet sich der Fall in Wimbern allerdings wesentlich schwieriger. Denn das verflixte siebte Rind sei recht scheu und schlau und verschwinde nach Sichtungen stets wieder schnell im Wald. Dornige Brombeerranken und dichtes Gestrüpp erschwerten seinen menschlichen Jägern dort in der Dämmerung und Dunkelheit das Fortkommen. So könne das Tier vor der richtigen Wirkung des Betäubungsmittels noch in den Forst flüchten und dort seinen Narkoserausch bis zum nächsten Tag ausschlafen. Danach sei es wieder so fit wie zuvor. Zudem habe er mit einem modernen Nachtsichtgerät am Montagabend eine ganze Zeit vergeblich nach dem von drei Injektionspfeilen getroffenen Tier im Wald gesucht.
+++ Lesen Sie auch: Menden: Jungkuh dreht durch – zwei Schwerverletzte +++
Auch auf einen Futterkasten mit Fanggitter hat das clevere Rindvieh bislang nicht reagiert. Wenn das Tier zum Fressen des darin liegenden Heus seinen Kopf hineinstecken und zum Zubeißen senken würde, würde sich die Falle automatisch mechanisch verriegeln und das Tier festsetzen. Bislang gibt es in der Feldflur und im Forst aber offenbar noch genügend saftigeres Grün, so dass das Rind die Futterkrippe nicht nutzt. Es einfach wie ein Cowboy im Western mit einem Lasso einzufangen, geht nicht: Denn das mindestens 300 Kilogramm schwere Huftier hat enorme Kräfte. „Das Fixieren im freien Feld ist ohne Betäubung kaum möglich“, darin sind sich Tierarzt Michael Behrendts aus Soest sowie der Jagdpächter Franz Josef Großkettler-Schulte aus Wimbern einig. Letzterer ist auch Landwirt und hatte selbst bis vor kurzem noch eigene Rinder. Denn anders als Kühe, die durch das Melken ständig Kontakt zum Menschen haben, seien die im Freiland aufgewachsenen Tiere nicht zahm.
+++ Auch interessant: Verletzt, aber Experte sagt: „Rinder sind friedliche Tiere“ +++
Großkettler-Schulte und seine Jagdkollegen bemerken, seitdem das Rind frei herumläuft, zwei andere Phänomene: Es gibt weniger Flurschäden durch Wildschweine auf den Feldern in Wimbern. Denn das schwere Hornvieh schreckt die scheuen Schweine offenbar auf, wenn es auf seinen Hufen durch den Wald stampft und darunter die trockenen Äste laut knacken lässt. „Das ist nicht zu vergleichen mit einem zarten Reh, das über den Waldboden springt“, sagt der Wimberner Landwirt. Deshalb habe man in den letzten Monaten auch keine Abschüsse mehr verzeichnet. Das Rind bringe einfach zu viel Unruhe in den Wald.
Ausgebüxtes Rind: Gefahr in dunklerer Jahreszeit
Eine größere Gefahr sieht Großkettler-Schulte in der dunkleren Jahreszeit allerdings für den Autoverkehr auf den Bundesstraßen 63 (Mendener Straße) und B 7 (Arnsberger Straße), die das Territorium des freilaufenden Rindes wie ein Winkel einschließen. Denn wenn das Nahrungsangebot durch abgeerntete Felder geringer würde, könnte der Radius des Tieres größer werden. Zudem seien Tierwechsel im Herbst und Winter in den Abendstunden viel zu spät zu sehen. Und eine Kollision mit dem schweren Hornvieh sei wesentlich schlimmer als ein Zusammenstoß mit einem leichten Reh. Leib und Leben von Autofahrern würden so bedroht. Daher müsse man nun schnell handeln.
Bereits jetzt wurde kürzlich „eine Kuh“ auf der Bundesstraße 7 gesichtet und die Polizei informiert. Auch diese konnte allerdings nichts ausrichten, da das Tier bereits wieder verschwunden war. Jäger dürfen das Hausrind übrigens nicht einfach abschießen. Dazu bedürfe es mehrerer behördlicher Genehmigungen, weiß Wimberns Ortsvorsteher Edmund Schmidt, der selbst Jäger ist. Denn ein Limousin-Rind – so nennt sich diese Rasse – sei nach dem Gesetz kein „jagdbares Wild“.