Lendringsen. Er ist der neue Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde in Lendringsen: Björn Corzilius spricht über seine Wünsche und Ziele.
Wenn sich Björn Corzilius in der Christuskirche in Lendringsen umschaut, lächelt er. Einladend schlicht, einladend schön und voller Geschichten– so beschreibt er das Gotteshaus. Der 41-Jährige ist der neue Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Lendringsen. Seit sechs Wochen ist er hier und er hat Einiges vor. Was genau, erzählt er im WP-Interview. +++ Lendringsen hat nach einem Jahr einen neuen Pfarrer +++
Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus, unterschiedlichste Skandale beschmutzen das Image der Kirche. Wie begeistert und erreicht man in diesen Zeiten die Menschen?
Kirche verändert sich in diesen Zeiten rasant, vielleicht rasanter als in den vergangenen Jahrzehnten. Das stellt uns vor Herausforderungen. Aber ich entdecke darin auch große Chancen, sich neu auszurichten. Unsere Kirchengemeinde hat einen sozialdiakonischen Schwerpunkt. Den möchte ich pflegen und ausbauen. Wir müssen uns immer wieder fragen: Was brauchen die Menschen von uns? Mit unserer Arbeit nah bei den Menschen zu sein, das ist mir ein großes Anliegen. Besonders unter Kindern und Jugendlichen möchte ich unseren Glauben ins Gespräch bringen. Auch deshalb ist unsere große Nähe zum Evangelischen Kindergarten wunderbar. Ich bin überzeugt, dass wir als Kirche gerade in diesen Zeiten, die Aufgabe haben, Nähe und Zusammenhalt zu stärken und zu einem positiven Klima innerhalb unserer Gesellschaft beizutragen. Dazu sind wir in die Welt gesandt, hier haben wir einen wichtigen Auftrag. +++ Abriss Matthias-Claudius-Haus: So geht es weiter +++
Die Corona-Krise hat viele Mendener hart getroffen. Einige verloren ihre Existenzgrundlage, andere haben seelisch unter der Isolierung gelitten oder mussten plötzlich Abschied von geliebten Menschen nehmen. Wenn Menschen, die in diesen Zeiten viel durchgemacht haben, am Glauben zweifeln: Was sagen Sie ihnen?
Die Bibel ist voller Glaubensgeschichten, die auch von Leid und Unheil erzählen. Und sie erzählt von einem Gott, der die Welt geschaffen hat und selbst in einem kleinen verletzlichen Wesen Mensch wurde. Das ist Jesus von Nazareth. Am Kreuz hat er selbst Leid und Schmerz gespürt und uns die Gewissheit mitgegeben, dass all das nicht das letzte Wort hat. Am Ende ist das Leben so viel stärker, als alles, was unser Leben hindert und uns Rückschläge erleiden lässt. Daran halten wir uns fest. Diese Hoffnung ist ein starkes Fundament, das der Glaube uns unter die Füße legt. Für mich persönlich ist das Gebet wichtig: Wir halten Gott unser Leben hin, sagen ihm, wie uns ist, und halten damit das Fenster zum Himmel offen.
Das ist eine schönes Bild...
Für mich gehören Glauben und Zweifeln untrennbar zusammen zusammen. Der Glaube richtet uns auf, bringt uns wieder auf die Beine. Er ist eine Geschenk und will sich in uns entfalten. Und der Zweifel hilft, immer weiter und tiefer zu fragen.
Sie sind gebürtiger Dortmunder, haben zuletzt in Höxter und in Bielefeld gelebt und gearbeitet. Ihr Vorgänger Matthias Hoffmann hat den Job hier 26 Jahre lang gemacht und einiges erreicht. Ist es schwer, in diese Fußstapfen zu treten? Und wieso haben Sie sich für Lendringsen entschieden? Fürs Dorfleben?
Ich freue mich darüber, dass mein Vorgänger tolle Arbeit gemacht hat... ich mache meine und kann an manches anknüpfen. Ich habe mich für diese Gemeinde interessiert und entschieden. Das Zusammenwirken zwischen Pfarrer und Presbyterium finde hier sehr schön. Wir wollen gemeinsam Kirche gestaltet. Auch das sozialdiakonische Engagement an diesem Standort hat mich gereizt, die Nähe zum Kindergarten. Außerdem ist es für unsere Familie, für meine Frau und unsere drei Kinder, nicht zuletzt ein schöner Ort zum Leben. +++ Christuskirche in Lendringsen wird Quartier-Mittelpunkt +++
Wie war Ihr erster Eindruck von Lendringsen?
Grün. Lebendig.
Lebendig?
Ja, sehr. Es war ein sonniger Frühlingstag und die Menschen standen bei der Eisdiele Schlange.
Und was hat Ihre Familie gesagt?
Meine Frau und die Kinder fanden es schön hier. Natürlich war das auch mit Abschieden verbunden. Der Ort macht es einem aber leicht mit seinen übersichtlichen Strukturen und den herzlichen Menschen. Wir sind gut angekommen. Wir haben uns gemeinsam für diesen Schritt entschieden und sind überzeugt, dass dieser Weg der richtige ist.
Ich weiß, dass Sie sich vor Ihrem Start mit einer Art Speeddating vorgestellt haben...
Oh ja, das Speeddating lief sehr gut. Ich habe an drei Tagen viele Menschen getroffen...hatte bestimmt 35 bis 40 Gespräche und habe viele Menschen kennengelernt und viele Eindrücke gesammelt. +++ Neuer Pfarrer Lendringsen: 20 Minuten mit dem Kandidaten +++
Und wer ist da vorbeigekommen?
Die Jüngste war 1,5 Jahre und die älteste Person war über 90 Jahre . Ältere, Jüngere, Familien. Das war bunt gemischt und wir hatten eine schöne Stimmung unter freiem Himmel unter Coronabedingungen. Die Organisation war ja gar nicht so leicht. Es war mir ein Anliegen, das Kennenlernen nicht rein digital zu gestalten. Dieses Format ist eine wunderbare Möglichkeit gewesen.
Das glaube ich. Der persönliche, direkte Kontakt ist immer schöner.
Ja, das genieße ich an meinem Beruf. Ich treffe Menschen in ganz verschiedenen Zusammenhängen, auch die, , die mit dem innergemeindlichen Leben wenig zu tun haben und durch Taufe, Hochzeit oder Trauerfeier neu oder wieder mit Kirche in Verbindung kommen.
Wie haben Sie zur Kirche gefunden?
Ich komme nicht aus einer „typischen“ Pfarrers-Familie. Ich bin in Dortmund aufgewachsen und wir sind regelmäßig zu Festen wie Pfingsten oder Weihnachten in die Kirche gegangen. Eine enge Bindung zur Kirche habe ich mit zwölf Jahren im Konfirmanden-Unterricht entwickelt.
Ihnen war sofort klar, dass es in diese Richtung gehen soll?
Ich habe mich viel ehrenamtlich engagiert, zum Beispiel in der Kinder- und Jugendarbeit. Die Frage, welchen Beruf ich ergreifen will, hat sich nicht gestellt. Es war irgendwie klar. Es ist das Wissen, dass das Leben viel mehr bietet, als mit Sinnen greifbar ist. Und das hat mit Gott zu tun.
Sie haben in Bochum, Jerusalem, Berlin und Göttingen studiert. Wie hat es Sie nach Jerusalem verschlagen und was hat diese Erfahrung mit Ihnen persönlich gemacht?
Ich hatte immer ein großes Interesse für das Alte und das Neue Testament. Die beschriebenen Orte zu sehen und zu spüren, fand ich faszinierend. Und auch die hebräische Sprache hat mich gereizt. Über ein Studienprogramm hatte ich die Möglichkeit, ein Dreivierteljahr dort zu studieren. Anschließend habe ich ein Praktikum in der deutschen Gemeinde in Jerusalem gemacht, sodass ich insgesamt ein Jahr dort war. Und nach dem Studium noch ein weiteres. Die Multinationalität und die bunte Vielfalt von Religion hat mich geprägt.
Ist das etwas, was Sie auch in Menden thematisieren möchten?
Die Ökumene liegt mir am Herzen. Ich sehe darin echte Chancen, zu einem friedvollen Miteinander in der Gesellschaft beizutragen. Ich möchte das ökumenische Gespräch hier auch weiter stärken. Auch das interreligiöse Gespräch ist mir wichtig. Mal sehen, welche Möglichkeiten sich bieten. In unserer vielfältigen Gesellschaft braucht es Auseinandersetzung, Begegnung und Erfahrung miteinander.
Zurück zu ihrem Start in Lendringsen: Wie liefen die ersten Wochen?
Den Gottesdienst zur Einführung haben wir zur Sicherheit draußen unter Zelten geplant. Es hat kräftig geregnet, aber es waren fast alle Stühle belegt und die Stimmung war schön. Ich habe das Gefühl, herzlich aufgenommen zu werden.
Wie geht es jetzt weiter?
Ich möchte das sozialdiakonische Profil ausbauen und einen Schwerpunkt in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen setzen. Sie sollen spüren: „Wir sind Kirche“ und können mitgestalten. Die Nähe zum Kindergarten ist toll, die Kirche steht quasi in dem Garten der Kinder. Nach Corona möchte ich dort wieder regelmäßige Gottesdienste gestalten und diesen Bereich wieder aufleben lassen. Über die Kinder lassen sich auch Beziehungen zu der mittleren und älteren Generation knüpfen. Die Konfirmanden-Arbeit ist mir wichtig. Es gibt ein Modell für Drittklässler. Das gibt es hier noch nicht, ich möchte es ausprobieren. Aktuell haben wir 22 Jugendliche im Unterricht, die total engagiert sind.
Darüber haben Sie ja auch selbst Ihren Weg gefunden...Da schließt sich also quasi der Kreis.
Genau. Ich gestalte den Unterricht in der Kirche. Und die Jugendlichen solle ihn mehr und mehr selbst und aktiv mitgestalten. Sie sprechen die Sprache der Jugendlichen – das ist authentisch.
Und was ist Ihre größte Herausforderung in Zeiten von Corona?
Die Nebenwirkungen von Corona zeigen sich. Menschen haben Sehnsucht nach echtem Kontakt, aber zugleich gibt es noch einige Befürchtungen. Das ist eine Herausforderung. Dennoch müssen wir behutsam Angebote schaffen, Begegnungen ermöglichen und die Türen offen halten.
Steckbrief:
Björn Corzilius ist 41 Jahre alt, verheiratet und ist gemeinsam mit seiner Frau und seinen drei Kindern ins Sauerland gezogen. Seine Kinder sind vier, acht und zehn Jahre alt. Die kleinste Tochter besucht den Evangelischen Kindergarten Lendringsen, mit dem der Pfarrer zukünftig stärker zusammenarbeiten möchte.
Seit dem 1. September ist er in Lendringsen im Dienst. Mit seiner Familie ist er gerne in der Natur unterwegs.