Menden. Ein zuvor gesunder Mendener stirbt mit 60 Jahren an Corona. Seine Tochter schildert den Kampf ihres Vaters und was die Familie durchmacht.
So sehr hat sich Gerhard-Benedykt Pogorzalski auf sein Enkelkind gefreut. Doch das Baby, das unter dem Herzen von Natalie Abels wächst und das im August zur Welt kommen soll, wird seinen Großvater nicht kennen lernen dürfen. Der Mendenerstarb an Corona – mit gerade mal 60 Jahren.
Seiner Tochter Natalie Abels ist es ein Herzensanliegen, dass ihr Vater nicht ein Corona-Toter von vielen in der Statistik ist. Sie will verdeutlichen, was das Virus anrichten kann – und dass der Verzicht auf Shoppen, Essen gehen und Partys nichts ist im Vergleich zu dem, was sie und die vielen anderen Angehörigen von Corona-Toten durchleiden.
Ein Monat zwischen Schnelltest und Tod
Gerade mal gut ein Monat verging zwischen dem positiven Schnelltest von Gerhard-Benedykt Pogorzalski und seinem Tod. Angesteckt hat sich der Mendener auf seiner Arbeit als Industriemechaniker, erzählt Natalie Abels: „Da gab es mehrere Fälle.“ Auch seine Ehefrau, Natalie Abels Mutter, habe sich bei ihrem Mann mit der hoch ansteckenden britischen Virus-Variante infiziert, außerdem eine andere Tochter sowie Natalie Abels Ehemann. Sie selbst habe sich wie durch ein Wunder nicht infiziert.
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Vater hatte nur Bluthochdruck, war ansonsten gesund
Gerhard-Benedykt Pogorzalski sei während der Pandemie nicht überängstlich gewesen, aber immer vorsichtig: „Wir haben uns an die Corona-Regeln gehalten, haben auch innerhalb der Familie Abstand gehalten.“ Bis zu seiner Infektion war Gerhard-Benedykt Pogorzalski gesund, erzählt Natalie Abels: „Er hatte Bluthochdruck, hat Tabletten genommen, aber ansonsten war mein Vater topfit.“
Zwei Tage nach seinem positiven PCR-Test ging er freiwillig ins Krankenhaus, „weil es ihm nicht so gut ging“, erinnert sich Natalie Abels. „Und dann ging alles Schlag auf Schlag.“ Zu ihr habe ihr Vater in den Tagen bis zu seinem Tod immer wieder gesagt „Das wird schon wieder“. Heute weiß Natalie Abels, „dass er das wohl nur gesagt hat, um mir keine Angst zu machen“.
Dann trifft es plötzlich die eigene Familie
Durch Gerhard-Benedykt Pogorzalskis Tod, durch das Leid, das die Familie erfahren hat, „ist uns noch einmal bewusst geworden, wie schnell sich alles ändern kann“, sagt Natalie Abels traurig. „Man denkt immer, das alles ist soweit weg. Aber dann trifft es plötzlich die eigene Familie.“
Und so schildert Natalie Abels die letzten Wochen im Leben ihres Vaters Gerhard-Benedykt Pogorzalski:
„Am 17.4.2021 macht mein Vater einen Schnelltest, der positiv war.
Am 19.4.2021 bestätigt ein PCR-Test das Ergebnis.
Am 22.4.2021 kommt er auf die normale Covid-Station ins Krankenhaus nach Iserlohn.
Am 24.4.2021 kommt er auf die Intensivstation nach Arnsberg.
Am 25.4.2021 wird er auf die Intensivstation nach Meschede verlegt.
Am 22.5.2021 verliert er den Kampf gegen das Virus. Es hat seine Lunge komplett zerstört.
Während die Menschen darauf warteten, dass die Geschäfte wieder öffnen, dass die Gastronomie wieder Gäste empfangen kann, dass man sich wieder mit mehreren Leuten treffen kann, dass man wieder reisen kann, kämpfte mein Vater um sein Leben und wir als Angehörige kämpften mit.
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Ich verstand damals das Denken der Menschen, dass endlich alles wieder zur Normalität zurückkehren sollte. Mir ging es ähnlich. Nach so vielen Monaten Ausnahmezustand wünschte auch ich mir das alte Leben zurück. Nachdem uns dieser Schicksalsschlag traf, änderte sich mein Denken und ich verstand umso mehr, warum die Politik tat, was sie tat, um Menschenleben zu retten.
Ihn hat so schnell nichts umgehauen
Natürlich wusste ich, dass Covid nicht nur ältere Leute trifft, sondern auch immer mehr junge Menschen daran erkranken und auch sterben. Und dennoch habe ich auch bis zum Krankenhausaufenthalt meines Vaters gedacht, dass er mit einer „leicht- bis mittelschweren Grippe“ da wieder rauskommt. Er hatte keine Vorerkrankung und so schnell hat ihn nichts umgehauen. Mehr Sorge hatte ich um meine Mutter, die sich bei meinem Vater angesteckt hatte.
Als mein Vater ins Krankenhaus kam, ging es plötzlich ganz schnell, die Sauerstoffzufuhr wurde immer schlechter, trotz Beatmung. Man probierte alles, um ihm damit zu helfen, aber nichts wirkte. Die Lunge fing einfach an sich aufzugeben, egal was getan wurde.
Vater wurde an künstliche Lunge angeschlossen
Nachdem er in letzter Minute im Mescheder Krankenhaus mit künstlicher Beatmung und künstlichem Koma an die ECMO (extrakorporale Membranoxygenierung, eine künstliche Lunge, die zur Behandlung von Patienten mit einem akuten Lungenversagen entwickelt wurde; hierdurch wird das Blut außerhalb des Körpers über einen Membran-Oxygenator mit Sauerstoff versorgt; Anm. d. Red.) angeschlossen wurde, verstanden wir erst einmal die Welt nicht mehr. Plötzlich ging es hier um Leben und Tod. „1 von 100 hat so einen schlimmen Verlauf“ sagte der Oberarzt uns damals. Mein Vater war darunter.
Eine Woche voller Angst und Sorge
Mein Vater, den so schnell nichts umhaute. Es verging eine Woche voller Angst, Sorge, Zittern, bis das Wunder geschah. Acht Tage später holte man ihn aus dem künstlichen Koma, die Beatmung konnte heruntergefahren werden. Einen Tag später konnte die ECMO abgestellt werden. Wir waren so glücklich, dass er es geschafft hatte.
Jeden Tag machte er Fortschritte
Sein Zustand verbesserte sich von Tag zu Tag. Jeden Tag machte er Fortschritte. Weitere sechs Tage dauerte es schließlich, bis die Ärzte ihn auf die normale Station verlegten. Es war wie ein zweites Leben, das ihm und uns allen geschenkt wurde.
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Nach einer Nacht auf der normalen Station musste er aber dann leider wieder zurück auf die Intensiv. Noch kein Grund zur Sorge, sagte man uns, die Werte hatten sich nur minimal verschlechtert. Aber das Virus war nach dreieinhalb Wochen immer noch in ihm – das bereitete den Ärzten Sorge.
Das Virus fing an zu wüten
Dann trat das Schlimmste ein, was passieren konnte. Das Virus fing wieder an zu wüten. Die Sauerstoffzufuhr wurde wieder schlechter, die Beatmung musste hochgefahren werden und am Ende musste er erneut an die ECMO-Geräte angeschlossen werden, begleitet von Beatmungsschläuchen im künstlichen Koma. Wieder versagte die Lunge innerhalb kürzester Zeit. Sie war bereits steif.
Der Arzt sagte uns, sie hätten in der Pandemiezeit bisher lediglich fünf Fälle gehabt, die einen weiteren Rückschlag erlitten hatten. Darunter wieder – mein Vater.
Auf der Straße kämpfen Demonstranten gegen die Corona-Einschränkungen
Und während mein Vater weitere neun Tage um sein Leben kämpfte, demonstrierten andere auf den Straßen gegen die Corona-Einschränkungen – und verschwendeten keinen Gedanken an die Schicksale, die hinter all den Todeszahlen stecken. Dabei waren die Demonstranten teilweise unmaskiert, als wäre ihnen das Leben der anderen egal. Nur weil sie das Gefühl haben, ihre eigene Freiheit würde ihnen genommen durch die Maßnahmen, die getroffen wurden, um das Virus zu stoppen, um Menschenleben zu retten.
Vater wollte noch nicht sterben
Am 22.05.2021 verlor mein Vater den Kampf gegen das Virus. Er hatte keine Chance gehabt, es zu besiegen. Er wollte noch nicht sterben, aber er hatte keine andere Wahl.
Was zurückbleibt, sind tiefe Wunden bei seiner Familie, seiner Ehefrau, seinen Töchtern, seinen Schwiegersöhnen, seinen Enkelkindern, seinen Eltern, seinen sechs Geschwistern, seinen Neffen und Nichten. Wunden, die niemals heilen werden, Lücken, die nie geschlossen werden können.
Das, was wirklich wichtig ist im Leben
Viele würden umdenken, wenn sie dasselbe Leid erfahren hätten. Viele würden über die Einschränkungen und Maßnahmen anders denken. Vielleicht rüttelt dieses Schicksal den einen oder anderen auf in seiner Ansicht über das, was wirklich wichtig ist im Leben. Wichtig ist nicht, in die Geschäfte zu stürmen, zehn Menschen gleichzeitig zu treffen, ins Restaurant zu gehen, schnell wieder reisen zu dürfen. Wichtig ist, dass Menschen, die man liebt, durch Maßnahmen geschützt werden, solange bis alle geimpft sind, bis die Pandemie vorbei ist.
Seinen Wunsch konnten wir ihm nicht erfüllen
Ich wünschte, Covid hätte meinen Vater nicht getroffen.
Mein Vater durfte nur 60 Jahre alt werden, war gesund, Nichtraucher und keineswegs geschwächt.
Einer seiner letzten Sätze, kurz bevor er ein zweites Mal ins künstliche Koma versetzte wurde, war: „Ich möchte nach Hause!“
Diesen Wunsch konnten wir ihm nicht erfüllen. Wir hätten alles dafür gegeben.“