Menden. Bildführung und Ton sind gut beim ersten echten Rats-TV in Menden. Aber nur, so lange keiner von außen reinredet, stellt unser Reporter fest.

Der Journalist in mir fühlt ich mich schuldig, ganz eindeutig. Seit 17 Jahren besuche ich regelmäßig Mendener Rats-Ausschüsse, um hautnah und aktuell zu berichten, was wer wie wo und wann gesagt hat. Und heute? Sitze ich hier im eigenen Dachgeschoss, dazu verdonnert, eine Reportage über den allerersten Hauptausschuss im Rats-TV zu schreiben. Am Schluss höre ich Bürgermeister Roland Schröder aus meinem Notebook tatsächlich so etwas sagen wie: „Vielen Dank, auch an unsere Zuschauer draußen an den Bildschirmen!“

Um die 100 Zuschauer über die gesamten eineinhalb Stunden

Sowas hat Gottschalk auch immer gesagt, allerdings zu Millionen, hier sind es um die 100. Gottschalk habe ich aus Vergnügen geguckt, hier mache ich meinen Job, und dazu gehört jetzt offenbar auch die Glotze. Mein Schuldgefühl regt sich wieder. Denn die machen da jetzt eine Pause bis zum nichtöffentlichen Teil. Da ist man als Schreiber sonst mittendrin, jedenfalls unter den Rauchern, und erfährt dabei vieles, was jetzt ungehört bleibt. Und für immer ungeschrieben.

Kamera hat es leicht: Wenige Redner brauchen wenige Schwenks

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Aber gut, wir wollen nicht meckern. Was habe ich gesehen? Eine überraschend gute Kameraführung, anfangs etwas statisch, dann aber präzise, mit und ohne Schwenks. Viele Wischer waren auch nicht nötig, es reden eh fast nur der Bürgermeister und die Fraktionsspitzen. Als Stadtwerke-Chef Bernd Reichelt auf den Zuschauerrängen eine Frage beantworteten soll, ist es jedoch vorbei mit Bild und Ton.

Jenni Gröhlich stellte den Antrag auf Rats-TV

Für Jenni Gröhlich, die 2018 den Bürgerantrag aufs Rats-TV gestellt hatte, ist dieser Dienstagabend ein ganz besonderer: „Ich bin schon aufgeregt“, gesteht sie eine Stunde vor der ersten Live-Übertragung einer regulären Sitzung. Mehrere Medien haben sie schon angerufen, so wie jetzt die WP. Und ein Journalist hat ihr erzählt, dass dies tatsächlich der allererste Livestream aus einer politischen Sitzung im ganzen Märkischen Kreis sei. Den wird sie indes nicht sehen: Sie ist heute selbst live im Ratssaal.

Als Gewinnerin sieht sich Jenni Gröhlich nicht, auch wenn damals kaum einer ihrem Antrag eine Chance gab, der prompt erstmal ein Jahr lang auf Eis gelegt wurde. „Erstens ist das heute nur eine Probeveranstaltung, kann also wieder eingesammelt werden. Und zweitens sei Rats-TV längst überfällig, sagt Gröhlich. „In Zeiten, in denen jeder 24 Stunden am Tag weltweit seine Unterhosen bestellen oder den Tatort gucken kann, wann er will, kann es doch nicht dabei bleiben, dass man für den eigenen Stadtrat entweder am Dienstag um 17 Uhr Zeit hatte – oder eben Pech!“

Es gehe um Demokratie und Teilhabe, das sei ihr bei alledem das Wichtigste. Dazu gehöre auch, dass viele Leute ihre Kommunalpolitik erstmals in Aktion erleben könnten. Und dass sich Ratsmitglieder jetzt besser benehmen, als es ohne Kamera manches Mal zu sehen gewesen sei.

Bernd Reichelt ist nicht zu sehen, vermutlich, weil er zwischen den Zuschauern sitzt, die nicht gefilmt werden dürfen. Zu hören ist er auch nicht, weil es im Off nun mal kein Mikro gibt. Kurz darauf soll auch Stadtkämmerer Uwe Siemonsmeier aus dem Rund heraus etwas sagen. Ihn sieht man zwar, versteht ihn aber nicht.

Wenn sich Matthias Eggers kratzt: Neil Postman hatte so recht

Dafür achte ich auf Nebensachen. Das tun TV-Zuschauer immer, hat der berühmte US-Medienforscher Neil

Mendener Kamerateam: Nils Bonk und Corinna Häussler bei der Rats-TV-Premiere im Ratssaal.
Mendener Kamerateam: Nils Bonk und Corinna Häussler bei der Rats-TV-Premiere im Ratssaal. © Johannes Ehrlich

Postman mal festgestellt. Sie schauen interessiert auf den Springbrunnen vorm Weißen Haus und lassen sich so ablenken von dem, was der davor stehende Reporter an Wichtigem berichtet. Mir geht’s mit Rats-TV ähnlich. Während sich Sebastian Schmidt für die CDU einem SPD-Antrag anschließt, schaue ich mir an, wie sich in der Bank dahinter Matthias Eggers nachdenklich und lange am Hals kratzt.

Wieder keine Frauen zu sehen – bis auf eine mit Jacke

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Außerdem muss es ziemlich kalt sein im belüfteten Ratssaal. Denn als Peter Köhler seine Grünen-Maske runterschiebt, um eine kritische Anmerkung zu machen, zieht sich Fraktionskollegin Tina Reers im Hintergrund ziemlich umständlich ihre Jacke wieder an. Ist im Sitzen aber auch schwierig. Damit ist immerhin die Zuschauerfrage von Jörg Wíedemann im „Top-Chat“ beantwortet, in den wir neben dem Bild unsere Meinung posten können: „Gibt es eigentlich auch weibliche Ausschussmitglieder?“, will Wiedemann wissen. Gibt es. Nur eben weiter hinten.

Freundliche Zuschauerkritik im Top-Chat: Start ist gelungen

Ansonsten ist der Ton im Chat freundlich, man attestiert dem Rats-TV einen gelungenen Start. Das tue ich hiermit auch. Es war der erste von vier Probeläufen, aber das sollte es weiter geben. Trotzdem: Beim nächsten Mal sitze ich wieder mittendrin. Da kriegt man deutlich mehr mit. Und nebenbei: Ins Fernsehen kommt man vielleicht auch.