Menden. Zwei Mendener sind entsetzt: Die gesetzlich krankenversicherte Frau bekommt in sechs Monaten einen Arzttermin, der Privatpatient in einer Woche.
Reinhard Viol ist immer noch empört, als er sich an die Westfalenpost-Redaktion wendet und das kürzliche Erlebnis einer guten Freundin schildert. Die Mendenerin Ursula Wolf wollte auf Anraten ihres Hausarztes einen Termin in einer Facharzt-Praxis vereinbaren. Seither fühlt sie sich als Patientin zweiter Klasse.
Ursula Wolfs Blutdruck sei so hoch, dass sie dringend ihre Gefäße untersuchen lassen solle, hatte ihr ihr Hausarzt gesagt. „Ich soll mich kardiologisch und gefäßchirurgisch untersuchen lassen“, berichtet die 67-jährige Mendenerin im Gespräch mit der WP.
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Vermittlung zum Facharzt über Terminservicestelle
Das Bundesgesundheitsministerium weist auf WP-Nachfrage darauf hin, dass es sinnvoll sein könne, den überweisenden Arzt in dringenden Behandlungsfällen bei der Terminvereinbarung beim Facharzt um Unterstützung zu bitten.
Darüber hinaus seien die Terminservicestellen weiter aufgebaut worden, so dass gesetzlich Versicherten schneller Arzttermine zur Verfügung stünden. Wenden sich Patienten an die Terminservicestellen, soll ihnen innerhalb von vier Wochen ein Termin bei einem Facharzt vermittelt werden. „Sollte in der Frist kein Termin bei einem niedergelassenen Arzt zur Verfügung stehen, müssen sie einen ambulanten Behandlungstermin in einem Krankenhaus anbieten“, sagt Prof. Dr. Claudia Schmidtke, Patientenbeauftragte der Bundesregierung.
Die Terminservicestellen sind rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche unter der bundesweit einheitlichen Telefonnummer 116 117 und auch online (www.kbv.de/html/terminservicestellen.php) erreichbar.
„Dabei ist allerdings zu beachten, dass es sich bei dem vermittelten Termin nicht um einen Wunschtermin bei einem Wunscharzt handelt“, fügt Vanessa Pudlo von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe hinzu. „Die Terminservicestelle vermittelt Termine bei Ärzten, die über freie Kapazitäten verfügen.“
Während sie beim Kardiologen wegen der Dringlichkeit zeitnah einen Termin bekam, biss sie in der anderen Facharzt-Praxis auf Granit. Nach einem Anruf in der Praxis (nicht in Menden) wusste sie, dass sie so bald keine Untersuchung bekommen würde: Als frühestmöglicher Termin wurde ihr ein Tag Ende April nächsten Jahres genannt – fast ein halbes Jahr Wartezeit.
„Bis dahin guckte ich mir vielleicht schon die Radieschen von unten an“, sagte Ursula Wolf daraufhin am Telefon zur Praxis-Mitarbeiterin. Das habe aber nichts geändert. „Ich könne höchstens noch mal zu meinem Hausarzt gehen, der für mich eine Dringlichkeitsüberweisung machen oder das Ganze per Telefon bescheinigen soll“, erinnert sich Ursula Wolf an das Gespräch.
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Dasselbe Krankheitsbild
Kurz darauf rief Reinhard Viol in der selben Facharzt-Praxis an. Der Halinger hatte einen Verdacht: „Meine Freundin ist gesetzlich krankenversichert, ich bin privat versichert. Ich wollte schauen, ob ich früher einen Termin bekommen würde.“ Er habe nämlich nicht glauben können, „dass man sich als kranker Mensch an einen Arzt wendet und dann erst in einem halben Jahr einen Termin bekommt“.
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Beim Anruf in der selben Praxis, in der Ursula Wolf zuvor um einen Termin angefragt hatte, ließ er durchblicken, dass er privat versichert sei. Ansonsten schilderte er dasselbe Krankheitsbild – hoher Blutdruck. Die Überraschung: Ihm wurde ein Termin eine Woche später angeboten. „Ich hatte sogar die Wahl zwischen einem Termin am Nachmittag und am Vormittag“, schildert Reinhard Viol das Gespräch.
Beide sind entsetzt angesichts der Erfahrungen. „Ein Privatpatient darf nicht sterben, aber ich darf den Löffel abgeben“, ärgert sich Ursula Wolf. „Ich komme mir vor wie ein Patient zweiter Klasse.“ Und Reinhard Viol fügt an: „Ich bin entsetzt, ich kann das nicht fassen.“ Dabei würde immer versichert, in Deutschland gebe es keine Zwei-Klassen-Medizin, „das, was wir erlebt haben, ist unsozial – und sowas bringt mich auf die Palme“.
Erst nach Intervention durch ihren Hausarzt hat Ursula Wolf in cirica zwei Wochen nun doch einen Termin bekommen. Für sie steht fest: „Zu dem Termin gehe ich. Ich habe ja kaum eine Wahl. Aber danach sieht mich diese Praxis nie wieder.“