Menden. Ratsbeschluss: Grüne, SPD und UWG wollten 1990 die Bundeswehr ausladen (Teil I)affenausstellung zum Spagat gezwungen.
Die Kampflugzeuge Tornado und Alpha-Jet „landen“ auf Battenfeldswiese. Im Schlepptau ein Hubschrauber, Flugabwehrsysteme, ein Informationszelt und jede Menge Programm. In welchen Städten sich die Bundeswehr mit ihrer Luftwaffenschau auch zeigte, sie zog die Massen an. Mindestens 10 000 Besucher an viereinhalb Ausstellungstagen wurden jedesmal gezählt. Damit rechnete man auch in Menden. Aber es kam ganz anders.
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Selten sind die Standpunkte im Mendener Stadtrat so hart aufeinander geprallt und selten hat es im Blätterwald der Zeitungen so gerauscht wie im August und September 1990, als zusätzlich eine Leserbriefflut die Redaktionstische überschwemmte. Dagegen war das, was die Menschen 1989/90 bei der öffentlichen Diskussion um die „KM“-Diskothek bewegte, fast nur ein Lüftchen. Und selten ging ein Schuss so nach hinten los und stellte seinen Schützen so bloß. Das politische Gerangel um die Ausstellung „Unsere Luftwaffe 90“ vom 23. bis 27. August 1990 auf Battenfeldswiese nahm Züge an, die die Stadt Menden bundesweit blamierten.
Neue Ratsmehrheitmit Grünen-Hilfe
Die neue Ratsmehrheit von SPD und UWG wollte unter Führung der Grünen per Ratsbeschluss diese Luftwaffenschau verhindern, weil sie glaubte, dass deren Geräte eine unheilvolle Anziehungskraft auf viele Kinder und Jugendliche ausübten.
Die Grünen hatten es im ersten Anlauf bei den Kommunalwahlen am 1. Oktober 1989 geschafft, auch in den Mendener Rat einzuziehen. Im Bundestag saßen sie ja schon 1983 mitsamt ihrem Mendener Abgeordneten Stefan Schulte (siehe „So war es früher“ vom 17. und 24. Juni). Die erste Ratssitzung nach der Kommunalwahl zeigte am 18. Oktober 1989, wie es zukünftig sein würde: Turbulent. Die absolute Mehrheit der CDU war gebrochen. Sie kam nur noch auf 23 Sitze, SPD (19) und UWG (6) auf gemeinsam 25. Jetzt gaben die drei Sitze der Grünen den Ausschlag und die wussten mit ihrem Pfund zu wuchern.
SPD, UWG und Grüne gingen eine Listenverbindung ein. Die SPD erreichte ihr Ziel, mit Dr. Volkhard Wrage (1945-2016) den Bürgermeister zu stellen. Die Grünen ließen sich im Gegenzug dafür zusichern, dass SPD und UWG die Vorhaben der Grünen unterstützten. Ergebnis: Menden erhielt ein Umweltamt, eine Baumschutzsatzung, rettete den Klostergarten und verabschiedete eine Resolution gegen den Weiterbau der Autobahn 46.
Stadtdirektor mussteVertrag überprüfen
Wie „entsetzt“ und wie spät informiert die Grünen so kurz vor der Schau wirklich waren, lässt sich nicht mehr herausfinden, aber die Fraktion ging auf die Barrikaden, als sie in der Stadt Plakate entdeckte, die auf die Luftwaffenschau hinwiesen. Offen gestellte Frage: „Wer bei der Stadt hat das genehmigt? Das hätte in den politischen Gremien diskutiert werden müssen.“
In der Ratssitzung vom 14. August heftiger Schlagabtausch über mehr als eine Stunde zwischen der „Liste“ und der CDU. 20-minütige Unterbrechung; dann setzte sich die „Liste“ mit ihrer Mehrheit durch. Sie forderte Stadtdirektor Mäurer auf, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, die Luftwaffe mit ihrer vom 23. bis 28. August auf Battenfeldswiese geplanten Luftwaffenschau wieder auszuladen, Zudem müssten zukünftige Anträge dieser Art dem Rat vorgelegt werden.
Den Vertrag mit der Bundeswehr hatte die Stadt durch Eckhard Mäurer schon zu Zeiten der absoluten Mehrheit der CDU geschlossen. Eindringlich warnten Mäurer und sein Beigeordneter Ernst Hamer vor Vertragsbruch.
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Die Bundeswehr hatte für 75 Soldaten für sieben Nächte Hotelzimmer in Eisborn reservieren lassen. An Regressansprüchen würden auf die Stadt Menden Kosten von mehr als 30 000 DM zukommen. Für die Grünen offensichtlich kein Problem: „Verträge kann man auch wieder auflösen.“
Eine „Ausstellungvon Kriegsgerät“?
Die Grünen als Antragsteller betonten, die „geplante Ausstellung von Kriegsgerät“ wolle für die Bundeswehr und damit für die gewaltsame Beilegung von Konflikten werben. Ihnen sprangen Mitglieder von SPD- und UWG-Fraktion in teilweise persönlichen Erklärungen zur Seite wie: „Ich habe fünf Jahre lang beim Schweigen für den Frieden draußen gestanden. Ich kann diese Zeit nicht einfach für nichtig erklären“. Oder: „Waffen sollten nicht verherrlicht werden.“
Aufgebracht reagierte die CDU. Sie sprach von einer beschämenden Situation. Die Bundeswehr habe 40 Jahre im Auftrag der Verfassung den Frieden geschützt und verdiene nicht, so heruntergemacht zu werden. Es sei eine Diskriminierung der Bundeswehr und äußerst empörend.
Die Bundeswehr selbst argumentierte, es sei doch positiv, wenn eine Armee sich nicht abkapsele, sondern transparent sei.
Hardthöhe in Bonnzeigte sich verärgert
Auf den Zuschauerrängen im Ratssaal saß auch Major Hinz, Leiter der Ausstellung. Ihm stand die Betroffenheit ins Gesicht geschrieben. Ich hörte, wie er fassungslos murmelte: „Das darf ich den Kameraden gar nicht erzählen.“
Die geforderte Prüfung des Vertrages mit der Bundeswehr zeigte, dass er wasserdicht war. Das Bundesverteidigungsministerium auf der Hardthöhe in Bonn reagierte entschlossen, die Schau stattfinden zu lassen. Die Parlamentarische Staatssekretärin Agnes Hürland-Büning war verärgert über die Ratsforderung, die Luftwaffe auszuladen. „Die Bundeswehr hat auch heute noch einen Verfassungsauftrag,“ schrieb sie. „Es sind unsere Söhne, denen die Mehrheit des Parlaments einen klaren Auftrag erteilt hat.“ Gleichzeitig forderte sie den heimischen SPD-Abgeordneten Heinz-Alfred Steiner (Sümmern) auf, sich für eine Rücknahme des Ratsbeschlusses einzusetzen.
Besucherandrangerstaunt Major Hinz
Bürgermeister Dr. Volkhard Wrage hatte gehofft, der Luftwaffe einen freiwilligen Rückzug empfehlen zu können und damit dem politischen Willen in der Stadt nachzukommen. Nutzte alles nichts, die Schau würde stattfinden. Aber würde der Bürgermeister ein Grußwort sprechen? Spontan schloss er das erst einmal aus. Er wand sich, Hilfe fand er auch nicht in der Nachbarstadt Soest, wo der neue SPD-Bürgermeister mit den Grünen keinerlei Schwierigkeiten hatte, die Bundeswehr zu begrüßen. Dr. Wrage knickte ein: „Ich werde mein Pflicht tun und zur Ausstellungseröffnung ein Grußwort sprechen.“
Donnerstag, 23. August 1990: Schon um 10 Uhr zur Eröffnung drängen 100 geladene Gäste und die ersten 600 Besucher auf das Ausstellungsgelände. Unter ihnen Hemers stellv. Bürgermeisterin Doris Ebbing. „Ich hatte ein Bedürfnis zu kommen,“ sagte sie mir. „Ich habe drei Söhne bei der Bundeswehr gehabt. Sie sind nicht zum Kriegseinsatz erzogen worden, sondern zum Verteidigungsauftrag.“
Am Ende des ersten Tages sind es bereits 3186 Besucher, fast das Doppelte von Soest, das wenige Tage vorher mit 1700 Besuchern den bis dahin besten ersten Tag aller Ausstellungen hatte. Major Hinz strahlte: „Wenn das Wetter so bleibt, kommen wir in Menden auf 15 000 Besucher“. Unfassbar.
Dr. Wrage Pazifistund ein Realist
Aber das Thema Luftwaffenschau hat nach den Debatten in Rat und Medien die Lufthoheit über Stammtische und Theken gewonnen. Überwiegender Tenor: Wir lassen uns nicht vorschreiben, was wir sehen dürfen. Die Grünen führen doch die „Liste“ wie am Nasenring durch die Manege.
Ein Übel, mit dem die Grünen bis heute kämpfen müssen. Immer noch glauben 32 Prozent der Deutschen, dass die Grünen ihnen vorschreiben möchten, wie sie zu leben haben.
Bürgermeister Dr. Wrage war nicht zu beneiden, hielt sich bei seiner Ansprache aber bravourös: „Ich soll Sie, die Vertreter der Luftwaffe, hier in dieser Stadt willkommen heißen, und das vor dem Hintergrund eines Ratsbeschlusses. Der Rat der Stadt Menden lehnt die Luftwaffenschau ab. Um den nun erforderlichen Spagat beneidet mich niemand,“ bekannte er. „Aber mir wäre eine Welt ohne Waffen und Soldaten lieber – das ist der Pazifist in mir. Seit Kain und Abel hat es eine solche Welt nicht gegeben, solange Menschen existieren – das ist der Realist in mir.“ Versöhnlich fügte er an: „Eine Armee, die nachweislich ihren Beitrag zur Sicherung des Friedens in Europa geleistet hat und leistet, verdient unseren Respekt.“ Beifall und Rufe: „Na endlich.“ Gleichzeitig betonte Wrage, seine „eigene Vergangenheit nicht zu verleugnen“. Er war Leutnant der Reserve.
Grünen-Gegendemoabends zum Ehrenmal
Die Grünen in der Zwickmühle. Überrascht vom Beharrungsvermögen der Hardthöhe stellten sie fest: „Wenn jetzt alles klar ist, werden wir uns überlegen müssen, was zu tun ist.“ Mit Genehmigung des Stadtdirektors (und ohne Diskussion und Beschluss im Rat) war das Ehrenmal gegenüber Battenfeldswiese erlaubtes Ziel ihrer Gegendemo. Am Eröffnungstag der Luftwaffenschau zogen um 17 Uhr ab Rathaus 250 Demonstranten mit Transparenten durch die Fußgängerzone. Der Zeitpunkt war so klug gewählt, dass ihre Mikrofone am Ehrenmal die Schau auf Battenfeldswiese nicht stören konnten, denn dort endete das Geschehen geplant um 18 Uhr.
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