Olpe. .
Ihre Freunde haben ihr gesagt: „Das schaffst du nicht.” Renate Grütz, gelernte Krankenschwester, hat lange darüber nachgedacht, ob ihre Freunde Recht haben könnten. Ob sie wirklich in einem Hospiz arbeiten kann. Ob sie es aushalten wird. Nach fünf Jahren im Kinder- und Jugendhospiz Balthasar in Olpe könnte sie nun sagen: „Ich schaffe es, ich halte es aus.” Aber das tut sie nicht. Statt dessen sagt sie: „Diese Arbeit erfüllt mich.”
In den Armen der Mutter gestorben
Sie erzählt von dem ersten Kind, das sie bis in den Tod begleitet hat. „Marie war fünf Jahre alt. Drei Tage und Nächte verbrachte ich mit den Eltern und einem Kollegen in dem Zimmer. Und natürlich habe ich mir zwischendurch die Frage gestellt, ob ich dieser Sache gerecht werde. Marie starb schließlich in den Armen ihrer Mutter.”
Renate Grütz erinnert sich daran, wie die Eltern ihr in diesen Tagen voller Tränen von ihrer Tochter erzählten – und wie wichtig es für sie war, dass da jemand war, der ihnen zuhörte. Wie wichtig es für sie war, dass da jemand war, der die Situation mit ihnen aushielt.
Tränen gehören zum Beruf
Es ist ein schmaler Grat, auf dem Mitarbeiter der Hospize sich bewegen. Denn einerseits würden sie ihre Arbeit nicht aushalten können, würden sie sich der Verzweiflung und Trauer beim Anblick eines kranken oder sterbenden Kindes hingeben. Andererseits würden sie ihre Arbeit ohne Gefühle, ohne menschliche Anteilnahme schlecht machen. Für Renate Grütz gehören Tränen zu ihrem Beruf.
„Natürlich weine ich manchmal. Aber auf der anderen Seite habe ich auch gelernt, mich an kleinen Dingen zu erfreuen. Ich sehe nicht in erster Linie die Erkrankung des Kindes, ich sehe das Kind mit den Möglichkeiten, die ihm geblieben sind. Und die versuche ich auszuschöpfen.”
Hospiz als zweites Zuhause
Bei manchen Kindern hat sie dafür jahrelang Zeit. Das Hospiz steht ab dem Moment offen, in dem eine lebensverkürzende Diagnose gestellt worden ist. Die Kassen zahlen der Familie ab diesem Zeitpunkt 28 Tage Aufenthalt im Jahr. Es ist ein Irrglaube, dass Eltern das Kinderhospiz meiden, bis der Tod unmittelbar bevorsteht. Gerade die Familien, die den Verlust der körperlichen und geistigen Fähigkeiten ihrer Kinder langsam erleben, verstehen das Hospiz als ihr zweites Zuhause.
Weil Menschen wie Renate Grütz rund um die Uhr für die Kinder da sind. Und eben nicht nur für sie, sondern auch für die Eltern und Geschwister. „Für Eltern beginnt die Trauer mit der Diagnose. Sie müssen mit dem Bewusstsein leben, dass sich ihr Kind nicht wie jedes normale Kind weiterentwickeln wird, sondern dass es sich zurückentwickelt. Sie müssen mit dem Wissen leben, dass ihr Kind vor ihnen sterben wird.”
Zeit als Geschenk
Renate Grütz hat gelernt, diesen Zeitraum als Geschenk zu verstehen. Und genau aus diesem Grund ist das Hospiz für sie kein Ort der Verzweiflung. Sie sagt: „Diese kranken Kinder sind hier auf unserer Welt. Sie leben, sie haben Zukunft - so kurz die auch sein mag. Deshalb zählt hier der Moment, immer wieder zählt der einzelne Moment.”
Diese Haltung, die sie durch die Arbeit im Hospiz gewonnen hat, hat sie auch persönlich verändert. „Ich habe selbst zwei gesunde Kinder. Dafür bin ich viel dankbarer als früher. Und ich habe mir abgewöhnt, mir ständig Gedanken um ihre Zukunft zu machen. Heute denke ich:Was kommt, das kommt.”
Es gibt keine Routine
In ihrem Beruf gibt es keine Routine. Wie sollte die sich auch einstellen, wenn ein Junge ganz nebenbei fragt, ob es im Himmel Nutella gibt. Oder wenn ein Mädchen Renate Grütz das Versprechen abverlangt, sich um ihre Eltern zu kümmern, wenn es gestorben ist. Renate Grütz und ihr Team tun das. „Viele Eltern kommen noch Jahre nach dem Tod ihres Kindes hierher und besuchen uns.” Sie erinnern sich, sie arbeiten auf, sie betrachten die Wände.
Wie kürzlich erst die Eltern der kleinen Marie. Ihr Handabdruck leuchtet in strahlendem Rot.