Olpe/Lenhausen. Angeklagter und Belastungszeugin mit komplett konträren Angaben: War es eine Vergewaltigung oder wurden einvernehmlich Intimitäten vorgenommen?

Viel weiter auseinandergehen können die Aussagen nicht, die in einem ungewöhnlichen Verfahren vor dem Olper Schöffengericht vom Angeklagten und der Nebenklägerin geschildert wurden. Seit Montag muss sich ein 23-jähriger Mann verantworten, dem die Staatsanwaltschaft in der Anklage Vergewaltigung und gefährliche Körperverletzung vorwirft. Zugetragen haben soll sich die Tat beim vorjährigen Lenhauser Schützenfest. Und während die 27-jährige Nebenklägerin, die auch Hauptbelastungszeugin ist, eine bis zu dreistündige Peinigung schildert, berichtet der 23-Jährige durch seinen Verteidiger von einem einvernehmlichen Versuch des Geschlechtsverkehrs, der nicht einmal vollzogen worden sei, weil er zu betrunken gewesen sei.

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Die Zeugin schilderte das, was auch in der Anklageschrift zu hören war: Sie habe das Schützenfest verlassen, dabei eine Abkürzung über den Schulhof der früheren Grundschule genommen und sei dann von einem Unbekannten angegriffen worden. Dieser habe ihr seinen Arm von hinten um den Hals gelegt, sie auf eine nahe Wiese zu einem Baum geschleppt und dort ein wahres Martyrium begonnen. Wie lange dies gedauert hat, darin unterscheiden sich die Angaben der jungen Frau: Mal spricht sie von einer Stunde, mal schilderte sie bei der Polizei oder in Sprachnachrichten an Freundinnen eine Tat von fast drei Stunden. In jedem Fall habe der Mann sie zu Boden geworfen, ihre Hose heruntergezogen und dann versucht, sie zu vergewaltigen. Sie habe sich mit aller Macht gewehrt, mehrfach hätten andere heimkehrende Schützenfestbesucher die nahe Abkürzung genutzt, doch jeder ihrer Versuche, um Hilfe zu schreien, sei vom Täter unterbunden worden, indem er sie am Hals gewürgt habe – „mindestens viermal“, so die junge Frau. Da sie sexuell unerfahren sei, habe sie zunächst nicht gewusst, ob es tatsächlich zum Verkehr gekommen sei, inzwischen sei sie aber sicher, dass der Mann in sie eingedrungen sei. Da sie unmittelbar nach der Tat in Sprachnachrichten an Familie und Freundeskreis immer wieder von „fast vergewaltigt“ gesprochen hatte, sorgte dies für die meisten Nachfragen der Verteidigung.

Zu betrunken für Sex

Der Angeklagte verkündete eine komplett andere Geschichte: Er sei zunächst mit seiner Frau auf dem Fest gewesen und habe diese nach einem Streit nach Hause gebracht. Zurück beim Fest, habe er sich noch ein Bier geholt, doch da sei die junge Frau zu ihm gekommen, habe ihm das Bier weggetrunken und danach mit ihm geflirtet, ihm angeboten, etwas „mit ihr anzufangen“ und sei nach ersten Küssen vor der Halle mit ihm in ein nahes „Dixi-Klo“ gegangen. Dort habe sie sich ausgezogen und auf ihn gesetzt, doch sei er so betrunken gewesen, dass es nur zu äußeren Berührungen im Intimbereich gekommen sei.

Ich sitze seit Monaten unschuldig im Gefängnis für eine Tat, die ich nicht begangen habe
Angeklagter - 23-jähriger Bulgare

Die junge Frau hatte den Mann nicht beschreiben können und sagte auch am Montag, dass sie ihn nie zuvor gesehen habe, da es in der Tatnacht dunkel gewesen sei. Doch hatte sie am Tag nach der Tat Anzeige erstattet und war untersucht worden. In ihrem Intimbereich und am Hals waren DNS-Spuren sichergestellt worden, und ein Abgleich brachte die sichere Übereinstimmung mit dem Angeklagten, dessen genetischer Fingerabdruck wegen Taten in Bulgarien und Deutschland festgehalten worden war. Mit einem internationalen Haftbefehl war der Mann, der nach mehreren Jahren Arbeit in Attendorn wieder in die bulgarische Heimat gezogen war, festgenommen und nach Deutschland in Untersuchungshaft überführt worden, wo er seitdem auf seine Verhandlung gewartet hat. „Ich sitze seit Monaten unschuldig im Gefängnis für eine Tat, die ich nicht begangen habe“, ließ er durch seinen Verteidiger bestellen.

Dann begann eine mühsame Zeugenvernehmung, wobei kein einziger etwas zum unmittelbaren Tatgeschehen sagen kann. Die Verteidigung versuchte, durch intensive Nachfragen die Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin in Frage zu stellen, etwa durch die anfänglichen Angaben hinsichtlich einer „Beinahe-Vergewaltigung“. Auch versuchte der Rechtsanwalt, Zweifel zu schüren, dass es möglich sei, wenige Meter neben einem Weg drei Stunden lang unbemerkt eine Vergewaltigung zu versuchen, indem der Täter dem Opfer den Mund zuhalte und es würge, während er quasi gleichzeitig ihre Beine hochhalte.

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Insbesondere auf einen Zeugen hatte der Verteidiger besonders gehofft, einen 29-jährigen Mann, der in polizeilichen Befragungen erklärt hatte, die Nebenklägerin sei quasi verzweifelt auf der Suche nach Anschluss und werfe sich auf Partys einem Mann nach dem anderen an den Hals, werde aber ständig zurückgewiesen und suche sich dann den nächsten. Dessen Befragung vor Gericht gestaltete sich extrem anstrengend. Mehrfach legte er auf einfachste Fragen sprichwörtlich minutenlange Denkpausen ein, um dann auf die Frage nach einem konkreten Zeitpunkt Antworten zu geben wie „irgendwann Silvester“. Am Ende räumte er unumwunden ein, dass er längere Zeit eine Beziehung mit der jungen Frau habe starten wollen, von ihr aber nicht akzeptiert worden sei. Somit blieb für das Gericht die Überzeugung, dass er der Polizei eine Geschichte vorgetragen hat, um den Ruf der jungen Frau zu beschädigen.

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Am 10. Juni wird die Verhandung fortgesetzt. Unter anderem wird dann ein Arzt der jungen Frau gehört. Auch müssen zwei Details geklärt werden, die am ersten Verhandlungstag aufkamen: So berichteten mehrere Zeugen, dass beim Lenhauser Schützenfest gar keine Dixi-Toiletten aufgestellt worden seien, was die Aussage des Angeklagten komplett unglaubwürdig machen würde. Weiterhin waren am Hals der Zeugin Speichelspuren festgestellt worden, die aufgrund eines ungenauen Berichts des Landeskriminalamts möglicherweise auf einen anderen Verursacher als den Angeklagten hinweisen würden. Dies soll bis zur Fortsetzung geklärt werden.