Lennestadt. Künstliche Intelligenz (KI) wird unser Leben ähnlich revolutionieren wie das Smartphone. Dr. Ricarda Schauerte aus Elspe erklärt, warum.
„Künstliche Intelligenz“, kurz: KI, ist in aller Munde. Wie KI funktioniert, welche Chancen und Risiken KI bietet und was auf die Gesellschaft in Zukunft noch zukommen könnte, erklärt Dr. Ricarda Schauerte. Die 35-Jährige, aufgewachsen in Lennestadt-Elspe, beschäftigt sich seit sieben Jahren mit transformativen Technologien und seit drei Jahren mit künstlicher Intelligenz.
Frau Dr. Schauerte: Was ist künstliche Intelligenz eigentlich?
KI beschreibt grundsätzlich alle Methoden, um mit einem Computer Aufgaben zu lösen, die zuvor nur mit menschlicher Intelligenz gelöst werden konnten. Angefangen hat es mit sehr spezialisierten Aufgaben – zum Beispiel dem Schachcomputer, der einen Schachgroßmeister besiegen kann, oder Technologien, die auf Bildern Personen oder Krankheiten erkennen können. Seit zwei, drei Jahren gibt es nun Systeme, die komplexe und kreative Aufgaben erledigen, wie eigene Texte verfassen, eigene Musik erstellen oder eigene Videos drehen können.
Wie funktioniert Künstliche Intelligenz?
Man füttert eine Maschine bzw. einen Algorithmus mit unfassbar vielen Daten. Wenn er zum Beispiel Pferde auf Bildern erkennen soll, dann füttern Sie die Maschine mit Daten von Tieren, von Pferden, Hunden oder Kühen in unterschiedlichsten Umgebungen und geben Hinweise darauf, was davon Pferd ist und was nicht. Der Algorithmus lernt dann anhand der Daten Pferde von anderen Tieren zu unterscheiden. So ähnlich funktioniert auch generative Künstliche Intelligenz mit Worten oder Bildern. KI verarbeitet unfassbare viele Datenpunkte beispielsweise in Texten und ermittelt, welche Wörter zusammen verwendet werden, welche in einem Satz wichtig sind und wie sie in Verbindung zueinander stehen. KI schafft es, mit diesen Informationen eigene Texte zu schreiben oder eigene Bilder zu generieren. Das funktioniert quasi so ähnlich wie unser Gehirn, es ist eine Art künstliches neuronales Netz.
KI ist ja nicht ganz neu, die Geburtsstunde liegt schon 60 Jahre zurück, warum gibt es erst jetzt einen solchen Hype?
In den letzten zehn, 20 Jahren hat sich da viel getan. Die Rechen- und Datenleistungen sind viel größer geworden. Mit dem Modell ChatGPT können Sie heute eine mehrere Sätze lange Anweisung schreiben, die sich ChatGPT merken kann und Ihnen eine seitenlange Antwort zurückgibt. Das war vor ein paar Jahren noch nicht möglich. Wir sind heute bei ChatGPT 4. Das Modell kann 128.000 Tokens verarbeiten. Ein Token ist ein Bild- oder Wortschnipsel. Google macht gerade Labortests mit einem Programm, das eine Million Tokens verarbeiten kann. Das sind ungefähr 4000 Seiten Text, also sämtliche Harry-Potter-Bücher. Es wird in Zukunft persönliche Assistenten geben, die sich Ihre Lieblingspizzeria merken und Ihnen dort einen Tisch bestellen. Das alles war lange ein Experiment und ist es zum Teil immer noch. Aber jetzt ist es aus dem Labor heraus und kann genutzt werden, das führt zu diesem Hype. Wir haben heute schon KI in vielen Alltagssituationen.
Steckbrief
Dr. Ricarda Schauerte ist 35 Jahre alt und in Elspe aufgewachsen. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer zweijährigen Tochter in Köln. Nach ihrem Studium mit Schwerpunkt Marketing an der Uni Münster zog es sie zunächst zu ProSiebenSat.1 in den digitalen Vertrieb, um danach wieder in Münster zum Thema „digitale Transformation der Medienindustrie“ zu promovieren. Sie ist Mitgründerin des Start-ups Matter of Facts, das mithilfe von KI Wissenschaft einfacher zugänglich macht und heute Unternehmen bei Daten- und KI-Fragen unterstützt. Zudem koordiniert Sie im REACH Euregio Start-up Center der Uni Münster strategische Projekte und berät andere KI-basierte Start-ups. In ihrer Freizeit findet man sie am ehesten im Zug, in der Natur, in oder auf dem Wasser.
Welche sind das zum Beispiel?
Hinter der Werbung in sozialen Netzwerken steckt ein Algorithmus, der auf KI-Technologie beruht, ebenso in den Programmempfehlungen bei Netflix und Co. KI begleitet uns überall im Alltag auf allen elektronischen Geräten, die wir haben, schon eine ganze Weile. Und mit der generativen Intelligenz kommt die nächste große Welle auf uns zu. Viele Experten gehen davon aus, dass KI einen ähnlich großen Einfluss auf uns haben wird wie die erste Welle der Digitalisierung, die seit 20, 30 Jahren rollt. Wenn wir überlegen, wie sich unser Alltag im Digitalisierungszeitalter verändert hat, wie wir miteinander kommunizieren, wie wir einkaufen oder wie wir unsere Reisen planen, dann hat man eine Idee, wie KI das Leben in vielen Bereichen verändern kann.
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Viele sehen die neue Technologie eher skeptisch, warum ist das so?
Wir sehen immer wieder, dass man sich an einen technologischen Fortschritt erst einmal gewöhnen muss, bevor er neue Bewertungsprozesse in Gang setzt. Ich wünsche mir zum Beispiel Schulen oder Unis, die den Einsatz von KI bei Hausarbeiten oder längeren Texten nicht sofort verbieten, sondern eher überlegen, wie man KI sinnvoll einsetzen kann, so es uns besser macht bei dem, was wir tun. Damit geht einher, zu hinterfragen, was eine Hausarbeit überhaupt soll. Warum sollen Studierende seitenlang Text produzieren, was bringt das? Geht es darum, einen Text zu produzieren und Wissen wiederzugeben oder darum, eigene Argumentationsstrukturen zu entwickeln? Die Technik bietet Möglichkeiten, den Menschen nicht zu ersetzen, sondern seine Arbeit besser zu machen. Das ist das, was mit Transformation grundsätzlich einhergeht.
Das leuchtet ein, aber die Risiken durch missbräuchlichen Einsatz kann man nicht wegdiskutieren.
Natürlich gibt es Risiken. KI ist erst mal nur eine Technologie, die weder gut noch schlecht ist, sondern die Menschen, die damit umgehen, machen sie gut oder schlecht. Sie hat das Potenzial zu neuen Krebsdiagnoseverfahren oder die Erforschung neuer Medikamente zu beschleunigen und in den Markt zu bringen, aber natürlich auch das Potenzial, großen Schaden zu verursachen. Wir hatten vor ein paar Wochen den Fall, dass gefälschte Bilder von US-Superstar Taylor Swift aufgetaucht sind, gegen diese sie sich nur schwer wehren konnte, weil sie sich unfassbar schnell im Internet verbreitet haben. Wir hatten Fälle im US-Wahlkampf, in denen mit der gefälschten Stimme von Joe Biden bei normalen Bürgern angerufen wurde.
Wie kann man sich als normaler Bürger schützen? Wie kann man KI-basierte Fake News erkennen? Geht das überhaupt?
Das erste ist, KI selbst mal auszuprobieren. Wir sprechen hier über generative Künstliche Intelligenz, die Texte, Bilder und Videos erstellen kann. Einfach mal gucken, welche Prompts, also Anweisungen, man eingeben muss und wie der Dialog mit dem Chatboard funktioniert. Dann bekommt man einen Eindruck, wie die Texte aufgebaut sind und wie die Bilder aussehen, die durch KI generiert werden. Und dann gilt das, was ich damals im Geschichtsunterricht über vertrauenswürdige Quellen gelernt habe. Das heißt im digitalen Zeitalter: Haben die Webseiten ein Impressum, werden Verantwortliche genannt? Bei Großereignissen, zum Beispiel einer politischen Rede, sollte man schauen: Gibt es davon nur ein Video oder mehrere aus unterschiedlichen Perspektiven, gibt es Fotos oder weiteres Schriftmaterial, die die Inhalte bestätigen? Passen bei Videos Bild und Ton zusammen, wie ist der Hintergrund? Manchmal gibt es ganz witzige Fehler, die man erkennen kann. Und dann ist es wichtig, die digitale Spur des Bildes zu verfolgen, also gibt es das Bild auch auf anderen, vertrauenswürdigen Websites? Es gibt mittlerweile auch Tools, die erkennen, ob KI am Werk ist, aber die hinken vermutlich immer einen Schritt hinter der Entwicklung hinterher.
Entwicklung ist ein gutes Stichwort. Wo stehen wir heute und was kommt da noch auf uns zu?
Es gibt sehr viele Szenarien und es ist total schwierig zu sagen, welche tatsächlich eintreffen werden. Das geht von „Sämtliche Krankheiten werden geheilt“, oder „Wir brauchen nicht mehr arbeiten“, bis hin zu „Wenn KI in die falschen Hände gerät, bekommen wir etwas, das schlimmer ist als das Zünden einer Atombombe“ oder „Wir werden bald alle von Robotern regiert“. Diese Extrempunkte sind sehr unwahrscheinliche Szenarien, aber dazwischen ist sehr viel möglich. Ein großer Punkt wird das Automatisieren von Routinearbeiten im Job sein – Reports erstellen, Protokolle schreiben, Formulare ausfüllen, Recherchen durchführen, Zusammenfassungen erstellen. Wir werden eine Vielzahl von Assistenzsystemen kennenlernen, die zum Beispiel IT-Abteilungen bei der Softwareerstellung unterstützen oder Ihren Arzt dabei, Muttermale von Melanomen zu unterscheiden. Übersetzungen sind ein riesiges Thema für KI, sowohl von der einen in die andere Sprache als aber auch Übersetzungen von Text zu Video oder Audio zu Text. Und es wird Branchen geben, die den Wandel massiver spüren als andere, zum Beispiel die Gesundheits- und Pharmaindustrie.
Werden menschenähnliche, schlaue Maschinen, wie wir sie aus Science Fiction-Filmen kennen, irgendwann Realität werden?
Roboter, die als persönliche Assistenten neben uns herlaufen, gibt es schon, zum Beispiel mit Figure 01 in Kollaboration mit dem Unternehmen OpenAI. Es gibt ein beeindruckendes Video davon, wie er sich wie ein Mensch mit seinem Gegenüber unterhält und nebenbei die aufgetragenen Aufgaben erledigt. Das ist möglich durch die Fortschritte im Bereich Robotic, gepaart mit einer KI, die Sprache verstehen und verarbeiten kann. Er ist noch nicht marktreif. Bis Sie so einen Roboter neben sich stehen haben, werden noch ein paar Jahre ins Land gehen.
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Braucht es eine Kontrollinstanz, um KI unter Kontrolle zu behalten?
Wir sehen gerade, dass KI in vielen Bereichen eingesetzt wird und die Gesetzgebung nicht hinterherkommt. Es gibt schlaue Leute und Initiativen wie das Center of AI Safety, die auf die Gefahren hinweisen. Eine neue Initiative zur Aufklärung über Deep Fakes heißt Forum gegen Fakes (forum-gegen-fakes.de, die Red.). Das ist eine Initiative der Bertelsmann-Stiftung in Kooperation mit dem Bundesinnenministerium. Sie beschäftigt sich damit, wie man Bürgern den Umgang mit KI am besten näherbringen und darüber aufklären kann, welche Art von Fakes mittlerweile möglich sind. Damit müssen wir uns alle in Zukunft stärker beschäftigen. Ich finde, dass die Aufklärung über KI nicht nur in der Hand der Privatwirtschaft sein sollte, sondern in der Hand der Gesellschaft und der Politik. Es braucht ein großes Verständnis in der Bevölkerung, was KI kann und können sollte und was nicht, um darüber einen informierten Diskurs führen zu können.
Was fasziniert Sie persönlich am Thema KI?
Ich habe in den letzten drei Jahren gemeinsam mit meinem Kollegen Ronny Behrens in einem KI-basierten Start-Up gearbeitet, mit dem wir Wissenschaft einfacher zugänglich gemacht haben und mit dem wir mittlerweile kleine und mittelständische Unternehmen rund um die Themen Daten- und KI-Nutzung unterstützen. An der Uni Münster bin ich im REACH Euregio Start-Up-Center aktiv, in welchem ich weitere KI-basierte Start-Ups berate. Ich möchte die rasante Entwicklung weiter begleiten. Noch spannender ist die gesellschaftliche und unternehmerische Transformation, die dahintersteckt. Wie schafft man es, die Scheu vor neuen Technologien abzubauen und Unternehmen davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, mit KI zu experimentieren, weil es uns nicht mehr verlassen wird? Wir werden mit künstlicher Intelligenz leben und umgehen müssen oder dürfen, wenn man so will. Was schlaue Leute mit so einer neuen Technologie auf die Beine stellen können, was vorher niemand für möglich gehalten hat, das ist faszinierend und darauf freue ich mich.
Sie raten, KI selbst mal auszuprobieren. Welche Tools können Sie empfehlen?
ChatGPT würde ich auf jeden Fall empfehlen. Es gibt eine kostenlose Variante, die schon recht gut ist. Ich persönlich finde auch DALL-E sehr interessant, ein Tool zum Erstellen von Bildern, es kommt auch aus dem Haus OpenAI. Meta, der Konzern, der hinter Facebook und Instagram steckt, hat gerade die neueste Version des Sprachmodells Llama herausgebracht, davon ist mein Kollege total begeistert.
Kurz und knapp
Kaffee oder Tee? Kaffee
Berge oder Meer? Hauptsache Italien.
Buch oder Tablet? Wenn es Spaß machen soll, dann ein Buch.
Kino oder TV? TV.
Dorf oder Stadt? Dorf am Stadtrand.