Olpe. Kinderarzt Joachim Füllenbach schlägt Alarm. Die Praxis kann kaum noch Termine für neue Kinder vergeben. Dies führte zu einem Polizeieinsatz.

Joachim Füllenbach ist einer der vier Kinderärzte in der Kinderarztpraxis Olpe, die im Quartal über 8000 Behandlungen durchführen. Doch die Kapazitäten sind ausgeschöpft, daher mussten in der Vergangenheit schon Neupatienten abgelehnt werden. Im Gespräch erzählt Joachim Füllenbach, wie bedrohlich die medizinische Versorgung für Kinder und Jugendliche im Kreis Olpe ist, von einem Polizeieinsatz in der Kinderarztpraxis und schweren Beleidigungen gegenüber den Mitarbeiterinnen am Empfang.

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In einem Post auf Facebook hat die Praxis kürzlich mitgeteilt, dass sie Patienten ablehnen müssen. Wie erklären Sie das den Eltern?

Die Eltern dürfen uns nicht böse sein. Wir sind am Limit und haben einfach kaum noch freie Termine, die wir vergeben können. Wir nehmen jedes Jahr etwa 450 neue Kinder kurz nach der Geburt auf, die ab der Vorsorgeuntersuchung U2 oder U3 (mit vier Wochen) zu uns kommen. Die Anzahl der Plätze ist verteilt über die Monate. In manchen Monaten geht das, wie zum Beispiel jetzt im März, wo wenige Kinder in Olpe geboren wurden. Aber es gibt auch geburtenstarke Monate, in denen wir eben nicht genügend freie Plätze haben. Wir können monatlich nur einen Durchschnitt an Kindern nehmen, damit noch Zeit für Akuttermine bleibt. An alle U-Termine sind ja auch Folgetermine gekoppelt, wie Impftermine und weitere Vorsorgeuntersuchungen. Für Geschwisterkinder und Kinder mit der Postleitzahl Olpe finden wir vorrangig eine Lösung.

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Sie sagen, es kommen im Jahr 450 neue Kinder, aber es gehen ja sicher auch jedes Jahr Kinder, wenn sie alt genug sind, um zum Hausarzt zu gehen. Können Sie die Zahl beziffern?

Das ist schwierig. Das wissen wir immer erst nach einer längeren Zeit. Mit 18 gehen die Kinder automatisch aus unserem Karteisystem. Die älteren Kinder sind nicht die Patienten, die viel Zeit in Anspruch nehmen. Diese kommen nur dann, wenn sie akut erkrankt sind. Es sind die Vorsorgeuntersuchungen in den ersten fünf Jahren, die den Großteil unserer Plätze belegen. Wir machen im Jahr etwa 5000 Vorsorgeuntersuchungen. Das sind eben die zeitintensiven Termine.

Was bedeutet das? Wie viel Zeit nimmt ein Vorsorgetermin in Anspruch und wie lange planen Sie für Akuttermine ein?

Neben den Vorsorgeterminen bieten wir auch noch Logopädische-, Ergotherapeutische-, Endokrinologische- und Diabetologische-Untersuchungen an. Hier planen wir zwischen zehn und 30 Minuten je Termin ein. In der Akutsprechstunde sind pro Patienten sechs Minuten vorgesehen. Heißt, in einer halben Stunde behandeln wir Ärzte in unserer Praxis im Schnitt fünf Patienten. Pauschal ist das aber nicht zu sagen. Es gibt Tage, da ist im Wartezimmer kaum Platz, weil wir viele Akuttermine haben und an anderen Tagen, kann es auch mal ruhiger sein. Wir müssen uns eben für Akuttermine Pufferzeiten freihalten, weil Eltern, die ein akut krankes Kind haben, das Recht haben, kommen zu können.

Ein Arzt untersucht ein Kind mit einem Stethoskop. Symbolfoto: Sebastian Gollnow/dpa
Ein Arzt untersucht ein Kind mit einem Stethoskop. Symbolfoto: Sebastian Gollnow/dpa © dpa | Sebastian Gollnow

Wie viele Zeit planen Sie täglich für akut kranke Kinder ein?

Wir sind vier Ärzte in der Praxis, von denen immer drei Ärzte parallel hier sind, um die Behandlungsräume bestmöglich nutzen zu können. In der Winterzeit planen wir je Arzt um die zwei Stunden für Akut-Patienten ein. Der Rest sind Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen.

Was raten Sie den Eltern beispielsweise aus Lennestadt und Kirchhundem, die keinen niedergelassenen Kinderarzt in ihrer Kommune oder Gemeinde haben?

Es mit Terminen auch bei anderen Kinderärzten, beispielsweise in Siegen zu versuchen und notfalls zum Hausarzt zu gehen.

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Ist Ihre Kinderarztpraxis für die Versorgung der Kinder im Kreis Olpe zu klein, um alle versorgen zu können?

Es fehlt an Ärzten. Auch wenn wir theoretisch noch einen Arzt beschäftigen könnten, fehlen hier die Räumlichkeiten. Und natürlich der Arzt, der auch erst gefunden werden müsste. Es ist nicht so, dass hier regelmäßig Ärzte anrufen und fragen, ob sie bei uns einsteigen können. Für den Kreis wäre es besser, wenn sich im Lennestädter Raum jemand niederlassen würde. Für die Leute ist das viel Fahrerei, mit einem kranken oder neugeborenen Kind ständig nach Olpe zu kommen.

Im Erdgeschoss ist seit geraumer Zeit eine größere Räumlichkeit frei, das wäre doch die Lösung des Problems?

Wir haben uns die Räume tatsächlich angesehen. Diese eignen sich aber nicht für eine Praxis und der Eigentümer ist auch nicht bereit, uns die Räume zu schenken (lacht). Mit 300 Quadratmetern sind die Räume auch zu groß, sie noch zusätzlich anzumieten.

Olper Kinderärzte schlagen Alarm. Die medizinische Versorgung ist bedroht. Es können kaum mehr neue Kinder aufgenommen werden. Symbolfoto: Sebastian Gollnow/dpa
Olper Kinderärzte schlagen Alarm. Die medizinische Versorgung ist bedroht. Es können kaum mehr neue Kinder aufgenommen werden. Symbolfoto: Sebastian Gollnow/dpa © dpa | Sebastian Gollnow

War es damals absehbar, als Sie vor 12 Jahren die neuen Räumlichkeiten bezogen haben, dass die Praxis zu klein sein würde?

Wir waren anfangs sogar nur drei Ärzte. Und haben Kollegen Rayers noch hinzugenommen. Damals gab es einfach mehr Kinderärzte und somit war die Versorgung anders verteilt. In Schmallenberg hört in Kürze noch Dr. Seidel auf. Aus Lennestadt haben wir derzeit vermehrt Anfragen für einen Wechsel zu uns, müssen hier aber teilweise passen.

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Was läuft falsch, dass keine Kinderärzte in den Kreis Olpe kommen wollen?

Das ist ja nicht nur hier so. Die ländliche Region ist für viele Ärzte unattraktiv. Es hat sich schon lange gewandelt. Früher musste man für eine Praxisübernahme oder um den Arzt-Sitz zu übernehmen, viel Geld auf den Tisch legen.

Heißt? Man musste sich in die Praxis einkaufen?

Ja, das musste ich auch noch. Niedrige sechsstellige Beträge waren da an der Tagesordnung. Mittlerweile gibt es Kollegen, die ihre Praxen ‚verschenken‘, damit sie überhaupt weitergeführt werden.

Woran liegt es, dass ländliche Regionen unattraktiv sind?

Die meisten Kinderärzte sind weiblich. Wer Kinderarzt wird, der mag meistens auch Kinder und will tendenziell auch eigene Kinder haben. Und dann ist es nicht mehr einfach, eine eigene Praxis zu führen. Heißt: Junge Ärztinnen lassen sich lieber anstellen oder gehen in Kliniken, um ein sicheres Arbeitsverhältnis zu haben. Wir haben Ärztemangel und deshalb können sich junge Kollegen aussuchen, wo sie hingehen.

Wie könnte das Problem im Kreis Olpe gelöst werden?

Mit der Landarztquote wird derzeit versucht, dem entgegenzuwirken. Aber bis die Leute mit dem Medizinstudium fertig sind und ihre anschließende Facharztausbildung abgeschlossen haben, vergehen noch einige Jahre. Es dauert also noch vier bis fünf Jahre. Es müssten mehr Studienplätze geschaffen werden und für die Generation, die jetzt nachkommt, müsste der Job attraktiver gestaltet werden. Früher war es ein Gefühl als Arzt da zu sein. Die waren den ganzen Tag in ihrer Praxis, fuhren abends noch auf Hausbesuche. Für die war es das Leben. Und die Generation, die jetzt kommt, die will genug Freizeit haben. Wir sind früher samstags noch für ‚lau‘ gekommen, aus Liebe zu unserem Beruf. Ob Medizinische-Versorgungszentren (MVZ) die Lösung sind, kann ich nicht sagen, weil die Kinderklinik tut sich ja auch schwer in ihren Zentren Ärzte zu gewinnen.

Immer wieder berichten Sie, dass die Unfreundlichkeit der Eltern gegenüber Ihrem Personal zugenommen hat? Woher kommt das?

Vielleicht aus dem Druck, den die Eltern haben, weil sie zu lange in der Warteschlange am Telefon gehangen haben. Gerade an einem Montagmorgen, wenn sie mit einem schreienden Kind versuchen durchzukommen. Aber das ist bei anderen Dienstleistern eben auch so, dass Kunden in der Warteschleife verweilen müssen. Dahinter ist auch keine Böswilligkeit unsererseits. Ich kann das auch verstehen, ich bin auch genervt, wenn ich ein dringendes Anliegen habe, und ewig in einer Warteschlange hänge.

Können Sie das beziffern, wie viele Anrufe bei Ihnen eingehen?

Wir haben im Winter bis zu 50 Zugriffe gleichzeitig auf unsere Telefonleitung. In anderen Praxen hören Anrufer ein Besetztzeichen und wenn die Leitung dann überlastet ist, kommt die Ansage, dass der Teilnehmer nicht erreichbar ist, und dann wird eine defekte Leitung gemutmaßt. Unsere medizinischen Fachangestellten telefonieren im Winter teilweise mit drei Mitarbeitern, um allen gerecht zu werden. Aber es gibt Eltern, die verstehen einfach nicht, dass es auch andere hoch fiebernde Kinder gibt, deren Eltern ebenfalls einen Termin haben wollen. Wir können auch nicht alle Mitarbeiter an die Telefone setzen, weil die Kolleginnen auch noch andere Tätigkeiten, wie zum Beispiel Blutentnahmen zu erledigen haben.

Seit Kurzem stellen Sie nicht wahrgenommene Termine für Vorsorgeuntersuchungen mit 25 Euro in Rechnung. Ist des rechtens?

Ich habe selbst schon mal einen Termin vergessen, das kann auch immer mal passieren. Wir appellieren dennoch an die Eltern, nicht mehr benötigte Termine abzusagen, damit wir diese anderweitig vergeben können. Wenn Eltern nicht bereit sind, die Rechnung zu zahlen, können wir keine Folgetermine mehr vergeben.

Sind Eltern auch schon richtig ausfallend geworden?

Die einen haben eine niedrigere, die anderen eine höhere Frustrationstoleranz. Unsere Angestellten können doch nichts dafür. Aber die Anspruchshaltung der Eltern wird immer höher. Wenn zum Beispiel Eltern externe Termine bei Fachärzten an uns vorbei machen und dann eine Überweisung haben wollen, ohne dass wir das Kind vorher in unserer Praxis gesehen haben, müssen wir das eben ablehnen. Weil es schlichtweg unzulässig ist. Es ist der Sinn von Haus- oder Kinderärzten zu beurteilen, zu welchem Facharzt der Patient überwiesen wird und nicht von den Eltern. Und dann ist so ein Arztbesuch eben eine Privatleistung. Da können Eltern nicht erwarten, dass wir dann fröhlich Überweisungen ausstellen. Das führt dann schon mal zu Reibereien. Die einen sind freundlich, die anderen sind mild-sauer und andere werden richtig sauer. Kürzlich wurde ein Vater gegenüber unserer Angestellten verbal und hat sie gefragt, ob sie zu Hause auch so ein Arschloch sei, wie hier. Dann hört es auch von unserer Seite mit der Freundlichkeit auf.

Und dann? Wie löste sich diese beleidigende Situation?

In der Masse sind es nur einige wenige, die dumm auffallen. Der Großteil benimmt sich normal. Es ist eben die Spitze. Einige ausländische Mitbürger sind schon mal der Meinung, sie bekämen etwas nicht, weil sie Ausländer sind und meinen dann, dass wir alle Rassisten sind.

Mussten Sie schon Eltern der Praxis verweisen?

Tatsächlich musste schon die Polizei in unsere Praxis kommen. Allerdings hat der Vater selbst die Polizei gerufen, weil er einen Termin haben wollte, der leider so nicht möglich war. Dann gab es noch ein Wortgefecht in unserer Praxis und wir haben letztendlich ein Hausverbot ausgesprochen und die Eltern brauchen mit ihren Kindern jetzt auch nicht wiederzukommen.

Eigentlich sollten Eltern doch heutzutage froh sein, ihre Kinder behandelt zu wissen. Hat sich das Verhalten der Eltern in den letzten Jahren geändert?

Wir Ärzte sind alle selbst Eltern und behandeln natürlich alle Kinder, die erkrankt sind. Trotzdem kommen einige Eltern mit Kleinigkeiten zu uns in die Praxis, aus Unsicherheit oder zum Beispiel durch Aussagen von außerhalb, die auf die Eltern einströmen. Derzeit gibt es zum Beispiel ein Massenaufkommen an Ringelröteln-Fällen. Eine harmlose Erkrankung für Kinder ohne hämatologische Vorerkrankungen. Wenn es den Kindern damit gut geht, müssen sie nicht vorgestellt werden, oder damit zum Notdienst fahren. Da sitzen im Notdienst am Wochenende in der Kinderklinik manchmal Eltern stundenlang mit ihren Kindern, wegen ganz banaler Sachen. Die Kinder springen und laufen durch die Wartehalle und werden uns als Notfall vorgestellt. Dann muss ich als Arzt einfach sagen, das ist doch kein Notfall, sonst würde es nicht mehr hier herumlaufen. Einigen Eltern fehlt die Erfahrung der Großeltern. Sie kommen dann teilweise bis zu dreimal in der Woche, obwohl wir montags gesagt haben, dass es ein Virusinfekt sei, der einige Tage dauert. Klar, müssen Kinder, denen es schlechter geht, dringend wieder vorgestellt werden. Aber wenn der Zustand gleichbleibend ist, gibt es Eltern, die dann mittwochs ein Antibiotikum haben wollen und freitags vor dem Wochenende erneut vorstellig werden, um auf Nummer sicher zu gehen, dass doch nichts Schlimmes ist.