Schönau/Kreisgebiet. Prof. Dr. Dr. Sven Herzog gilt als Koryphäe in Fragen des Waldumbaus. Sein Vortrag bei der Kreisjägerschaft stieß auf großes Interesse.

Kein Platz war frei in der Tenne des Schönauer Gasthofs Scherer, als dort am Samstagabend auf Einladung der Kreisjägerschaft „Kurköln“ und des Hegerings Wenden praktisch alles Platz genommen hatte, was im Kreis in Sachen Wald und Forst ein Interesse hat. Waldbesitzer und Jäger, Forst- und Verwaltungsfachleute waren gekommen, um dem Vortrag von Prof. Dr. Dr. Sven Herzog zu folgen, einem der profiliertesten Experten des Landes als Lehrstuhlinhaber an der Technischen Universität Dresden und Dozent für Wildökologie und Jagdwirtschaft. Sein Thema: „Wald und Wild unter den Bedingungen des Waldumbaus“.

„Who is who“ aus Jagd und Forst

Karl-Josef Fischer, sowohl Vorsitzender der Kreisjägerschaft „Kurköln“ als auch Leiter des Hegerings Wenden, begrüßte die zahlreichen Gäste mit „Waidmannsheil“ und freute sich, dass Kreisdirektor Philipp Scharfenbaum und die Bürgermeister Bernd Clemens (Wenden) und Tobias Puspas (Lennestadt) gekommen waren, um sich zu informieren. Auch hieß er den Leiter der Unteren Naturschutzbehörde, Antonius Klein, Kreisjagdberater Alfred Holthoff und Vertreter des Mountainbike-Vereins Wenden willkommen als Beispiel für Waldnutzer, die die enge Kooperation mit den Jägern suchen, anstatt auf Konfrontation zu gehen. Und auch der Leiter des Forstamts Kurkölnisches Sauerland, Marlon Ohms, saß im Publikum und folgte dem Vortrag interessiert, dazu zahlreiche Vorstände von Waldgenossenschaften, Hegeringen, Forstbetriebsgemeinschaften und anderen jagdlichen und forstlichen Einrichtungen.

Die Begrüßung und Moderation übernahm der langjährige Leiter der Bonner Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadensverhütung, Dr. Michael Petrak, der ein langjähriger Weggefährte des Referenten ist. Der Professor führte ins Thema des Abends ein: Die derzeitige Situation im Wald angesichts großflächiger Schäden durch Trockenheit und Borkenkäferbefall sei in der Dimension vergleichbar mit den gewaltigen Reparationsschlägen, die nach dem Zweiten Weltkrieg die deutschen Wälder großflächig räumten. Wie damals, könne dies nur gemeinsam, in Kooperation von Jagd und Forst, gestemmt werden. Dabei bestehe heute der Vorteil europäischer Vernetzung und vieler neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Prof. Dr. Dr. Herzog kündigte an, in seinem Vortrag gründlich „gegen den Strich“ bürsten zu wollen und manches zu sagen, was einigen im Publikum möglicherweise nicht gefallen werde. Dazu gehörte seine These, dass das jahrelang umgesetzte einfache „Rezept“, einfach nur viel Wild zu schießen, dem Wald beim Aufbau nicht zwingend helfe. Genausowenig sei es eine gute Idee, auf Schadflächen einfach wieder Fichte zu pflanzen. „Nadelreinbestände werden nicht unbedingt die Lösung sein“, so Herzog. Er warb für Offenheit, neue Pflanzen auszuprobieren, ob aus Übersee oder dem Mittelmeerraum, aber nicht in großflächigen Plantagen, sondern als Zupflanzung in vorhandene Bestände. Auch kritisierte er die forstlichen Rahmenbedingungen: Die Zusammenlegung von Forstämtern zu immer größeren Einheiten in den 1990er-Jahren sei nicht geeignet, um die Herausforderungen der Gegenwart zu stemmen.

Voll besetzt war die Tenne des Gasthofs Scherer in Schönau, wo es um den Zusammenhang zwischen Waldaufbau und Jagd ging.
Voll besetzt war die Tenne des Gasthofs Scherer in Schönau, wo es um den Zusammenhang zwischen Waldaufbau und Jagd ging. © Jörg Winkel | Jörg Winkel

Er wies auf massive Zielkonflikte der verschiedenen Waldnutzer hin. Einerseits sei Wald als riesiger Kohlendioxid-Speicher nötig, der dem Klimaschutz diene. Andererseits sei die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten groß, etwa Holzhäusern. Der Tourismus fordere einen anderen Wald als viele Holzkäufer, und Biodiversität und Jagd seien nicht leicht miteinander zu vereinbaren.

Er stellte die provokante Frage, ob wirklich zu viel Wild vorhanden sei und konterte mit der Gegenfrage, schließlich wirke sich der Klimawandel nicht nur auf den Wald, sondern auch das Wild aus. So schade eine frühere Vegetationsperiode den Rehen, weil diese ihre Setzzeit nicht variieren könnten. So halte er die Verteufelung der Winterfütterung für falsch, weil die forstlichen Bedingungen dazu führten, dass Wild in seinem Sommerlebensraum überwintern müsse. Um dem Rehwild effektiv zu Leibe zu rücken, seien Bejagungskonzepte nötig statt „mit Hörnerklang und Flintenknall“ dagegen vorzugehen. Er sprach sich gegen das flächige Jagen im kompletten Revier aus: Vielmehr sei es sinnvoll, gezielt dort zu schießen, wo Wald aufwachsen solle. Im Gegensatz dazu müsse es aber auch Ruhezonen und auch längere Ruhezeiten für das Wild geben. Sein Plädoyer: Fünf Prozent der Waldflächen als Ruhezonen und fünf Prozent als Äsungsflächen, „die nicht bejagt werden“. Für manchen Jäger unvorstellbar, aber für den Tourismus und damit auch das Verständnis für die Jagd wichtig: Nahe solcher Äsungsflächen könne man Beobachtungsstände einrichten. „95 Prozent der Menschen sind vernünftig, die verhalten sich, wenn man ihnen erklärt, warum, so, wie sie es sollen. Für die anderen fünf Prozent brauchen wir Ordnungsrecht.“ Das Ziel der Jagd müsse „stabile Wälder“ heißen, anstatt die Zahl erjagter Tiere vorzuschreiben. Und in Gegenden mit kleinflächigen Waldbesitzungen gebe es die Möglichkeit, Hegegemeinschaften zu bilden, um entsprechend großflächige Ruhezonen einrichten zu können. Auch warb er für Wildwiesen: „Was das Reh da frisst, frisst es nicht im Wald.“ Sein Ratschlag: „Wie wäre es mit fünf Prozent Wildnis?“

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In der folgenden Diskussion erntete Prof. Herzog viel Zustimmung. Kreisdirektor Scharfenbaum betonte die wichtige Rolle des Tourismus im Sauerland. Hier sei es wichtig, die Konflikte zwischen Jägern und Touristikern zu steuern: Denn der Wunsch, naturnahe Wanderstrecken zu haben, kollidiere mit der Vorstellung vieler Jäger, Wanderer möglichst auf den Haupttrassen zu halten. Petrak konkretisierte Herzogs Forderungen: Für ihn sei klar, dass mit dem Jahres- auch das Jagdende einhergehen müsse. Jagen im Januar, weil es besser mit dem Resturlaub zusammenpasse, sei ein Unding, ausschlaggebend müsse die Wildbiologie sein, und „wer im April die Rehe von den Wiesen schießt, vertreibt sie in den Wald, wo sie die Knospen wegfressen statt eiweißreicher Pflanzen auf den Wiesen“. Auch er appellierte: „Es geht bei der Jagd nicht um die Stückzahl, sondern um die richtige Planung.“ Mit langem Applaus gingen Vortrag und Diskussion nach fast zwei Stunden vorbei und dürften bei mancher Hegeringsversammlung und Jagdverpachtung in nächster Zeit Niederschlag finden.