Bonzel/Grevenbrück. Üblicherweise kennt man Jäger als die, die das Wild in ihrem Jagdbezirk schießen. Doch manchmal werden sie auch zu den Rettern ihrer Tiere.
Eine Szene, die vor wenigen Jahren noch einen Science-fiction-Thriller hätte eröffnen können: Es ist früher Morgen am Waldrand oberhalb von Bonzel. Nebel und Dunkelheit schaffen eine finstere Atmosphäre. Fahles Licht ermöglicht den Blick auf die Ladefläche eines Pickups. Hier steht ein Monitor, der aus einem Stromaggregat gespeist wird. Und dann blinken rote und grüne Lichter, lautes Surren setzt ein, und dann steigt ein Multikopter in die Luft. Das, was neudeutsch meist „Drohne“ genannt wird, ist in diesem Fall kein Hobbygerät für den Modellflug, sondern ein Lebensretter für an diesem Tag acht Lebewesen. Denn es ist kein herkömmlicher Multikopter, wie ihn immer mehr Menschen zum Fotografieren oder Filmen aus der Luft einsetzen, sondern ein Profi-Gerät, das gleich zwei Kameras eingebaut hat. Eine normale, hochauflösende, und eine Wärmebildkamera, die die Wärmestrahlung von Lebewesen und Gegenständen in Farben umwandelt.
In Sekunden ist der Multikopter auf 40 Metern Höhe und beginnt damit, die unter ihm liegende Wiese abzufliegen. Die Route ist vorprogrammiert, dennoch blickt Pilot Jens Thierbach gespannt auf den großen Bildschirm und hält beide Daumen auf den Steuerknüppeln der Fernbedienung, um jederzeit in die Flugroute eingreifen zu können.
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Das wird auch rasch nötig, denn der Multikopter ist noch nicht lange unterwegs, da leuchtet ein roter Punkt auf dem Bildschirm auf: Hier kennzeichnet die Computersteuerung des Fluggeräts die wärmste Stelle im Sichtfeld der Kamera. Thierbach lässt den Multikopter in der Luft verharren und fährt das Bild größer: Schnell wird aufgrund der Form des Motivs klar, dass sich hier ein Tier im Gras verbirgt. Noch näher heran, da füllt quasi das Portrait eines Hasen den Bildschirm. Fehlalarm, denn Meister Lampe gehört nicht zu denen, die Thierbach hier sucht. Er ist vielmehr auf der Jagd nach Rehkitzen.
Lennestadt- High-Tech in der Hege- Kitzrettung in Bildern
Einer Jagd, die die Tiere ausnahmsweise nicht das Leben kostet, sondern es ihnen rettet. Denn Jens Thierbach ist im Auftrag des zuständigen Jagdpächters im Einsatz, um die Kitze vor dem Kreiselmäher zu bewahren. Der Jagdpächter ist sein Chef: Peter Schauerte, der gemeinsam mit Markus Kebben das Revier rund um Maumke, Grevenbrück und Bilstein gepachtet hat. Im Berufsleben ist Thierbach Konstruktionsleiter in Schauertes Firma Ariane, die Vordächer und Terrassenüberdachungen entwickelt und produziert. Doch im mittlerweile dritten Jahr macht Schauerte sich außerdem Thierbachs Fähigkeiten als Multikopter-Pilot zunutze.
Das moderne Fluggerät spart den Jägern viel Zeit und Mühen: Schon seit vielen Jahren kümmern viele Jägerinnen und Jäger sich darum, dass in der Setzzeit der Ricken der Reh-Nachwuchs vor dem grausamen Tod im Kreiselmäher bewahrt werden. Denn ein eigentlich genialer Schutzmechanismus, der die Jungtiere in der Natur vor Feinden schützt, wird in der Landwirtschaft zum Problem. Solange die jungen Rehe noch nicht schnell laufen können, verstecken sie sich bei Gefahr im tiefen Gras. Da sie noch praktisch keinen Eigengeruch haben, laufen Beutegreifer oft direkt an ihnen vorbei, ohne sie wittern zu können. Doch das Wegducken und Verharren am Ort endet tödlich, wenn ein PS-starker Traktor mit angebautem Kreiselmäher das Gras mäht.
Bisher gingen die Jäger mit ihren Helfern die Wiesen ab. Sabine Schauerte, Ehefrau des Jagdpächters: „Dabei sehen wir aber die Kitze nicht immer. Manche verstecken sich so gut, dass man direkt an ihnen vorbeiläuft, ohne etwas zu bemerken.“ Das ist mit dem Multikopter anders: Da die Wärmestrahlung der Rehe das Gras durchdringt, leuchten die Tiere auch im besten Wiesenversteck weiß auf grau auf. Jens Thierbach meldet dann per Telefon, wenn er ein Kitz ausgemacht hat, und lotst die Helfer zur Fundstelle. Dann wird ein Korb über das Kitz gestülpt, das dem Traktorfahrer die Stelle anzeigt, die er auszulassen hat. Wenn das nicht möglich ist, tragen die fachkundigen Jagdhelfer das Kitz in einem ganzen Büschel Gras an den nahen Waldrand. Nach dem Mähen wird das Tier an seinen alten Platz zurückgelegt, und wenn der Traktor seine Arbeit beendet hat, sehen die zufriedenen Retter, dass die Rehmutter zu ihrem Kitz zurückkehrt.
Enge Kooperation
Peter Schauerte und Markus Kebben haben inzwischen alle Landwirte in ihrem Jagdrevier zur Mitarbeit überzeugt. Der Einsatz des Fluggeräts ist auch für die Bauern mit Arbeit verbunden, bedingt er doch eine enge Kooperation vor dem Mäheinsatz. Stimmt die Wettervorhersage, müssen die Helfer einbestellt werden, und das Mähen muss zeitnah nach der Absuche starten. „Sonst kommen die Rehe und setzen ihre Kitze um, das machen die etwa alle zwei Stunden“, weiß Peter Schauerte.
Allmählich verzieht sich der Nebel, die Sonne steigt auf und erwärmt Boden und Wald. Damit endet das Zeitfenster für die Wärmebildkamera, die je besser funktioniert, umso größer die Temperaturdifferenz zwischen Rehkitz und Umgebung ist. Daher beginnt der Einsatz um 4 Uhr in der Frühe. Gegen 9 Uhr sind alle Wiesen so von der Sonne beschienen, dass die Suche per Kamera nicht mehr funktioniert. Acht Kitze haben die Schauertes an diesem Tag gefunden, und Sabine Schauerte schätzt, dass drei von ihnen so gut verborgen waren, dass sie ohne Multikopter nicht entdeckt worden wären. „Manchmal kommen ja frühe Spaziergänger vorbei und sehen, was wir da machen“, berichtet Peter Schauerte. „Da kommt dann manchmal salopp die Frage, warum wir das machen, wo wir die Rehe doch später totschießen.“ Doch der passionierte Waidmann braucht nicht lange, um klarzumachen, dass es einen großen Unterschied macht, ob ein schutzbedürftiges Jungtier elend an den Verletzungen des Kreiselmähers eingeht oder ein erwachsenes Tier durch einen sauberen Blattschuss erlegt wird.
Kitze nicht berühren
Außerdem hat er noch zwei dringende Bitten: Wenn Spaziergänger umgedrehte Körbe auf einer Wiese entdecken, dann sollen sie diesen fernbleiben, denn vermutlich schützt der Korb ein Kitz. Und weiterhin gilt, was früher schon in der Schule gelehrt wurde: Menschen haben Kitze nicht anzufassen, nicht mal zu streicheln. Denn riecht das Jungtier nach Mensch, dann nimmt das Muttertier es nicht mehr an. Und das endet nicht weniger tödlich als der Kreiselmäher.
Schauerte betont, dass auch dieser Part zu den Aufgaben eines Jägers gehören: nicht nur die Jagd, sondern auch die Hege. Und dies gefällt Kopter-Pilot Jens Thierbach so gut, dass er beschlossen hat, es seinem Chef gleichzutun und sich für den Jagdschein anzumelden.