Olpe/Siegen. Die IHK hat zum 175-jährigen Bestehen eine Chronik herausgebracht – mit Augenmerk auf die NS-Zeit. Ein Aufrütteln gegen rechte Umtriebe.
Das 175-jährige Bestehen ist für die Industrie- und Handelskammer Siegen ein Grund zum Feiern. „Es war aber von Anfang an klar, dass nicht nur gefeiert wird, sondern das Jubiläum auch Anlass sein muss für eine Chronik“, so IHK-Geschäftsführer Hans-Peter Langer. „Und zwar kein Band, der im Regal landet, sondern eine Schrift, die wirklich gelesen wird“, ergänzt Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener, der sich gemeinsam mit IHK-Präsident Walter Viegener und Vizepräsident Christopher Mennekes in der Olper Geschäftsstelle der IHK zum Gespräch mit unserer Redaktion getroffen hat, um die Chronik vorzustellen und einen Blick in Vergangenheit und Zukunft zu werfen.
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Mit Unterstützung von zwei Gastautoren, dem Siegener Historiker Dieter Pfau und dem früheren Pressesprecher des Verbands der Siegerländer Arbeitgeberverbände, Josef Wiesmann, ist ein Heft entstanden, das zum Blättern einlädt und in ansprechender Form 175 Jahre der heimischen Wirtschaftsgeschichte in unterhaltsamer Form aufbereitet hat. Es ersetzt im März den monatlich erscheinenden „Wirtschaftsreport“ der IHK, der 22.000 Kammermitgliedern in Siegen-Wittgenstein und Olpe zugeht. 2000 Exemplare mehr hat die IHK bereits anfertigen lassen, bereit, auch jederzeit nachzudrucken, damit jeder, den das Thema interessiert, ein Exemplar erhalten kann. „Es ist zum einen ein Spiegel der Wirtschaftsgeschichte, und wir haben klargemacht, wo die IHK Impulse gesetzt hat“, so Langer. Neu und mutig sei die Kammer allerdings vorgegangen beim Umgang mit dem Thema „Wirtschaft in der NS-Zeit“. Langer: „Da wird im Heft deutlich Position bezogen.“
„Der erste aus Attendorn“
Im Heft wird ausführlich und mit vielen Bildern auch aus Firmenarchiven dargestellt, wie sich die IHK nach der Gründung als „Handelskammer für den Kreis Siegen“ im Jahr 1849, die erste Wahl Olper Mitglieder zwei Jahre später und dem Austritt des Kreises Olpe 1857 entwickelt hat. Es war Protest gegen die Entscheidung für die Eisenbahnstrecke, die anders verlief als es sich die Olper Unternehmer gewünscht hatten, dass der Kreis Olpe als einziger Landkreis in Westfalen über 20 Jahre lang keiner Handelskammer angehörte. Die „Rückkehr“ nach Siegen erfolgte 1930, und nach Franz Becker und Felix Hensel ist derzeit Walter Viegener der dritte IHK-Präsident aus dem Kreis Olpe – „und der erste aus Attendorn“, wie er stolz betont.
Klaus Gräbener betont, dass dieser Bereich mit besonderer Beachtung bearbeitet worden sei, die IHK habe sich hier der Hilfe des „Aktiven Museums Siegen“ bedient. Walter Viegener: „Wir leben in schwierigen Zeiten, in einem wahnsinnigen Umbruch. Angesichts der rechtsextremen Umtriebe und dem Aufblühen extremistischer Parteien an den rechten und linken Rändern des Spektrums ist es sehr wichtig, dass derzeit so viele Menschen aufstehen und sich ganz deutlich davon distanzieren.“ Viegener, der ein großes Werk in Thüringen betreibt, ist erschüttert über die dortigen Umfragewerte für die AfD. „Sehen diese Menschen denn nicht, was die mit ihnen vorhaben? Die sind jahrzehntelang vom Regime in der DDR in ihrer Freiheit beschnitten worden, und diese Menschen wollen dasselbe mit ihnen tun.“
Hier hakt Christopher Mennekes ein: „Gerade die Europafeindlichkeit der AfD macht uns große Sorgen. Es ist eine der wichtigsten Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg, dass Deutschland sich in Europa integrieren muss.“ Klaus Gräbener blickt in die Geschichte: „Man muss heute wieder sagen: Wehret den Anfängen.“ Kein anderes Land sei so sehr auf funktionierende internationale Verbindungen angewiesen wie Deutschland. In der Chronik wird in einem Exkurs unter der Überschrift „Verantwortung und Schuld in der Diktatur“ sehr deutlich herausgearbeitet, wie sehr große Teile der Wirtschaft in der Nazizeit mit der Politik kooperiert und Nutzen daraus gezogen haben. Darin heißt es: „Vielleicht kann sie (die Chronik) (...) einen kleinen Beitrag für ein wachsendes Bewusstsein leisten, dass menschenverachtendes Handeln und der Versuch, durch die Umarmung einer Diktatur Kapital zu schlagen, Dinge sind, die auch in Siegen, Wittgenstein und Olpe zu beobachten waren.“
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Angesprochen auf die Frage, wie eine Chronik beim nächsten Jubiläum in 25 Jahren aussehen werde, sind sich alle vier am Tisch einig: Von den in der aktuellen Ausgabe porträtierten Firmen werden einige nicht mehr da sein. Gräbener: „Der Ökonom Joseph Schumpeter hat den Begriff von der ,schöpferischen Zerstörung‘ geprägt. Wettbewerb ohne Verdrängung gibt es nicht.“ Wirtschaft habe sich immer wieder neu erfunden, was Firmen wie Viega und Mennekes bewiesen. Allerdings müsse der Staat die Rahmenbedingungen dazu schaffen, dass dies auch möglich sei, und hier sei zurzeit ein fataler Trend zu beobachten: dass Staat zu sehr versuche, die Wirtschaft zu lenken. Dennoch, so Christopher Mennekes, „kommen wir um die Transformation nicht herum“. Doch müsse dies erreicht werden, indem den Unternehmen Raum gelassen werde, um kreativ und innovativ Ziele zu erreichen und nicht, wirtschaftsferne Vorgaben aufzuoktroyieren. Beide Unternehmer berichten von ihren Erfahrungen mit Firmenansiedlungen im Ausland: Ob USA oder Rumänien, es sei wesentlich leichter, Flächen und Fachkräfte und erst recht Genehmigungen zu erhalten als in Deutschland. „Anderswo gibt es eine Willkommenskultur für die Wirtschaft, das ist in Deutschland leider häufig verlernt worden“, so Christopher Mennekes. Es sei aber falsch, den Standort Deutschland kaputtzureden: „Wir haben hier viele Vorteile, die andere Länder nicht haben. Aber Reformbedarf zu verschweigen wäre falsch.“