Olpe/Hünsborn. War es Notwehr oder eine Überreaktion des Angeklagten? Darüber gab es im Amtsgericht heftige Diskussionen. Das Opfer leidet bis heute.
Rechtsanwalt Jens-Gunnar Cordes sieht sich selbst als „Vulkan der Rechtsprechung“. Diese Selbstbeschreibung unterstrich der Strafverteidiger aus Dortmund eindrucksvoll vor dem Amtsgericht Olpe. Schon in der fünfstündigen Hauptverhandlung gegen seinen in Hünsborn wohnenden Mandanten lieferte sich Cordes am Freitag das eine oder andere juristische Scharmützel mit Richterin Soylu und Oberamtsanwalt Benjamin Schneider von der Staatsanwaltschaft. Als die junge Richterin unmittelbar nach dem Plädoyer des Rechtsanwalts und ohne eine Pause ihr Urteil verkünden wollte, platzte dem sichtlich aufgebrachten Dortmunder endgültig der Kragen. Er warf der Richterin juristische „Unkenntnis“ und fehlende Ausgewogenheit im Umgang mit Zeugenaussagen vor. Das wollte Soylu nicht auf sich sitzen lassen und kritisierte Cordes wegen „Respektlosigkeit“ ihr gegenüber.
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Im gut besetzten Zuschauerraum schüttelten nicht wenige Prozessbeobachter den Kopf. Denn sie und die zahlreichen Zeugen waren an diesem langen Verhandlungstag wegen der Hauptverhandlung gegen den 31-jährigen Angeklagten aus Hünsborn in den Saal 37 des Amtsgerichts Olpe gekommen. Viele davon waren Freunde und Bekannte des 53-jährigen Mannes aus der Gemeinde Wenden, dessen Leben sprichwörtlich mit einem Schlag völlig auf den Kopf gestellt worden ist. Beim ersten Hünsborner Wernerfest nach Corona am 30. Juli 2022 schlug ihm der Angeklagte mit der rechten Faust so heftig ins die linke Gesichtshälfte, dass das schwer verletzte Opfer bis heute und vielleicht sein Leben lang an den Folgen leidet.
Schon direkt nach dem brutalen Niederschlag blutete der 53-Jährige, der auch als Nebenkläger vor Gericht saß, aus einem Auge und wurde nach einer ersten medizinischen Versorgung vor Ort mit dem Notarztwagen nach Lüdenscheid gefahren. Die Liste mit ärztlichen Befunden, Operationen und Krankenhausaufenthalten ist lang. „Das ganze Leben hat sich verändert“, sagte der Wendener vor Gericht und kämpfte dabei mit den Tränen. Wegen womöglich dauerhafter Schäden am Auge muss er eine Spezialbrille tragen, in der linken Gesichtshälfte hat er ein Taubheitsgefühl. Dazu kommen Verletzungen der Wange und im Zahnbereich sowie Konzentrationsprobleme. Seinen Beruf kann der 53-Jährige, der auch in psychologischer Behandlung ist, nicht mehr ausüben.
„Wir beide wollten auf dem Wernerfest einen schönen Abend erleben“, betonte der Angeklagte aus Hünsborn, dessen Weg sich mit seinem Opfer an diesem 30. Juli 2022 schicksalhaft kreuzen sollte. Die Männer tragen zwar den gleichen, im Wendschen oft vorkommenden Nachnamen, kannten sich bis zu dem Abend aber nicht. Den Schlag mit der rechten Faust gab der athletische und Fitnessstudio-gestählte 31-Jährige zu, wähnte sich damals aber in einer Notwehrsituation. Der Ältere sei plötzlich „wie ein Schneepflug“ von hinten durch die Gruppe mit dem Angeklagten herangerauscht und habe dabei ein Bier verschüttet. „Handy, Geldbeutel: Bei mir war alles pitschnass“, berichtete der Hünsborner. Er habe dem Mann einen Plastikbecher hinterhergeworfen und „Du Penner“ gerufen. Daraufhin habe sich der Ältere umgedreht, die Fäuste geballt und sei drohend auf ihn zugekommen. „Ich habe Panik bekommen und reflexartig nach vorne geschlagen“, schilderte der Beschuldigte die Situation. „Es war nicht meine Absicht, Sie so zu verletzten“, wandte er entschuldigend an sein Opfer.
„Das war ein Schlag mit Wucht und nicht nur einfach eine Backpfeife“, erinnerte sich einer der zahlreichen Zeugen. „Ich glaube Ihnen, dass Sie das nicht gewollt haben. Aber wenn Sie zuschlagen, dann knallt es“, sagte Rechtsanwalt Martin Kretschmer (Olpe/Bonn) als Vertreter der Nebenklage.
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Für seinen 53-jährigen Mandanten, der mit seinem Sohn und dessen Freunden zum Wernerfest gegangen war, kam der „brutale Schlag“ plötzlich und unvermittelt. „Ich will doch nur zu meinem Sohn“, stammelte er nach dem folgenreichen Niederschlag. Denn dieser war im Gerangel eines „Moshpit“, eines bei jungen Leuten beliebten Tanzkreises vor der Bühne, zu Boden gegangen, hatte sich verletzt und musste ins Krankenhaus nach Olpe gebracht werden. Als der Vater den Tanzunfall seines Sohnes sah, wollte er durch die vor ihm stehenden Menschen so schnell wie möglich nach vorne zum Bühnenbereich gehen. „Ich habe niemanden bedroht“, beteuerte der 53-Jährige bei seiner Zeugenaussage. „Er wurde mit einem gezielten Schlag aus dem Leben geboxt“, war ein Augenzeuge, der seinen schwer gezeichneten Freund aufhob und in den Sanitätsbereich begleitete, von der „Brutalität ziemlich geschockt“.
Die zahlreichen Zeugen, darunter Arbeitskollegen und Bekannte des Angeklagten sowie Freunde des Sohnes des Opfers, bestätigten je nach Gruppenzugehörigkeit die Aussagen von Täter und Opfer. Allerdings ließen der Vertreter der Staatsanwaltschaft und Richterin Soylu durchblicken, dass sie erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der zum Tatzeitpunkt wohl alkoholisierten Entlastungszeugen des Angeklagten hatten. Rechtsanwalt Kretschmer sprach sogar von „Rohrkrepierern“.
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Trotz der „erheblichen und erschütternden Folgen“ für das Opfer wollte Oberamtsanwalt Benjamin Schneider den Anklagepunkt der gefährlichen Körperverletzung nicht aufrechterhalten und plädierte „nur“ auf einfache Körperverletzung. Wie Rechtsanwalt Kretschmer verneinte Schneider eine Notwehrlage. „Er hätte der Situation aus dem Weg gehen können“, sagte der Vertreter der Staatsanwaltschaft über den 31-jährigen Hünsborner. Richterin Soylu verurteilte den Angeklagten wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu 75 Euro.