Olpe. Lara Roß ist die neue Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Sie spricht über geplante Streik-Aktionen im Kreis Olpe.
Lara Roß aus Olpe, Lehrerin an der Hanse-Sekundarschule Attendorn, ist seit wenigen Tagen neue Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) für den Kreis Olpe. Nachdem die GEW momentan zu Streiks aufruft, hatten wir einige Fragen an die 34-jährige Lehrerin für Deutsch und Geschichte.
Frage: Frau Roß, Altbundeskanzler Gerhard Schröder hat Lehrer vor vielen Jahren sinngemäß mal als faules Gesindel beschimpft. Was fällt Ihnen dazu ein?
Lara Roß: Ich könnte mir vorstellen, dass Menschen, die unseren Beruf von außen betrachten, das immer noch denken. Insbesondere Eltern von Schülern wissen heutzutage, dass das ein Vorurteil ist, das keineswegs zutrifft. Die Zeiten, in denen ein Lehrer sich im Frontalunterricht vor die Klasse setzte, seine Kladde aufschlug und so Wissen vermittelte, sind weitgehend vorbei. Frontalunterricht macht höchstens noch 20 Prozent unserer Arbeit aus.
Aber das böse Vorurteil, das Lehrerdasein sei ein gut bezahlter Nebenjob, hält sich wacker in Teilen der Gesellschaft. Und dann ruft die GEW zum Streik auf. Muss das sein?
Das muss sein. Es geht ja nicht nur um unsere Arbeit, es geht um das gesamte Bildungssystem. Das beginnt bei der Situation der Schüler, die nicht mehr so aufgefangen werden können, weil wir als Lehrer dafür nicht mehr die Zeit haben, die wir bräuchten. Sei es durch größere Klassen, durch Inklusion und so weiter. Dadurch kommt es partiell dazu, dass Schüler nur noch verwahrt werden. Und da fängt es an, dass wir protestieren müssen – und eben auch streiken.
Fehlt es denn wirklich an allen Ecken und Enden?
Sicher nicht überall, aber wenn es Klassen gibt von 28 Schülern mit Inklusionsschülern, müssen wir einfach aufschreien.
Sie sind nach der Geburt Ihres Sohnes momentan in Elternzeit, aber wie viele Schüler haben Sie normalerweise in Ihren Klassen?
Meist 24 Schüler in den Grundklassen. In den Kursen kann man Glück haben, dass es nur 18 sind, aber dort sind auch 28 möglich.
Mit Inklusionsschülern?
Ja.
Ist die Inklusion, also die Integration von gehandicapten Kindern und Jugendlichen in die Regelschulen, so wie sie realisiert wird, ein Fehlschuss aus Ihrer Sicht?
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Für uns Lehrkräfte ist es ein Problem, dass es von oben beschlossen wird, aber das System Schule kann nicht so schnell wachsen und sich darauf einstellen, wie es nötig wäre. Es fehlen Sonderpädagogen, aber auch anderweitige Inklusionshelfer, die die Lehrkraft unterstützen. Ich habe Klassen erlebt, wo es richtig gut gelaufen ist. Eine Deutschklasse zum Beispiel mit sechs Inklusionsschülern, und es war immer eine Sonderpädagogin mit dabei.
Ist das nicht üblich?
Nein, leider nicht. Es kann auch vorkommen, dass ich bei vier Deutschstunden in der Woche nur in einer Stunde eine Sonderpädagogin dabei habe.
Und die Inklusionsschüler können völlig unterschiedlich gehandicapt sein?
Ja, da kann alles sein. Von Lernschwierigkeiten bis Hörbehinderung. Ein Sonderpädagoge muss da schon sehr vielseitig sein.
Wie viele Stunden arbeiten Sie bei Vollzeit in einer normalen Woche tatsächlich?
Etwa 42 bis 46 Stunden. Bei 27 Unterrichtsstunden.
Es kommen also mindestens 15 Stunden zum Unterricht hinzu.
Pausenaufsicht und Hausaufgabenbetreuung werden den 27 Stunden zugerechnet, dazu kommt dann Elternarbeit, Stundenbetreuung, Klassenarbeiten korrigieren und so weiter. Als Deutschlehrerin kommt da einiges zusammen.
Werden in Deutsch immer noch viel Lektüre gefordert? In meiner Zeit wurden wir mit diesen kleinen Reclam-Büchlein traktiert.
Ein Buch pro Jahr soll gelesen werden. In Klasse 5 ist das zum Beispiel Rudi Rüssel, wo es um Themen wie Freundschaft geht. Ich habe mit meiner 10. Klasse zuletzt ,Wir KInder vom Bahnhof Zoo‘ gelesen. Das hatten sich die Schüler selbst ausgesucht. Das ist allerdings ein Wälzer.
Was ist das Anspruchsvollste für Sie in Ihrem Beruf? Die Arbeit mit den Schülern, nervige Eltern oder Bürokratie?
Ich bewerte die Elternarbeit weitgehend als konstruktiv und hilfreich. Viele Eltern wollen für ihre KInder das Beste und haben auch Verständnis für uns Lehrkräfte. Es gibt natürlich einige wenige, die sind unbelehrbar. Wirklich belastend ist eher etwas anderes. Ich glaube, es ist der Anspruch, den die meisten Lehrer bezüglich ihres Berufes an sich selbst haben. Lehrer wollen für ihre Schüler das Beste, können das im System Schule aber nicht. Und dieser Spagat kann zu einer großen Belastung werden. Bei Frauen kann dieses Problem noch größer werden. Man will zum Beispiel eine gute Mutter sein, aber auch im Beruf das Bestmögliche leisten.
Was missfällt Ihnen an Ihrem Beruf am meisten?
Dass man häufig unnötige, überflüssige Aufgaben erledigen muss. Dass alles verschriftlich werden muss, um sich abzusichern. Das gilt für viele Elterngespräche. Ich würde gerne einfach in meinen Lehrerkalender drei Sätze reinschreiben. Gespräche, bei denen Schwierigkeiten zu erwarten sind, führen wir sogar mit einem Kollegen, also zu zweit.
Sie müssen also Ihre Gespräche mit Eltern so dokumentieren wie ein Banker, der einem Kunden ein Finanzierungsangebot vorstellt?
Ja, so ungefähr. Das stiehlt Zeit und Kraft für die pädagogische Arbeit.
Zurück zur GEW und der Streikankündigung. Sie sind Beamtin, dürfen also gar nicht mitstreiken. Ist das noch zeitgemäß oder wollen Sie das ändern?
Die GEW ist gerade dabei, einzuklagen, dass auch wir Beamte streiken dürfen.
Wie viel Prozent der Lehrkräfte an Ihrer Schule sind Beamte, wie viele Angestellte?
Weiß ich nicht genau. Bei den GEW-Mitgliedern kann ich Ihnen das Verhältnis nennen. Wir haben im Kreis Olpe 170 Mitglieder, 30 davon sind Tarifler, die anderen Beamte.
Haben sich GEW-Mitglieder aus dem Kreis Olpe denn bereits an Streik-Kundgebungen beteiligt?
Wir waren am 23. September mit acht GEWlern aus dem Kreis Olpe in Köln beim bundesweiten Bildungs-Protesttag. Das ist natürlich überschaubar. Es war ein Samstag, da konnten dann auch die Beamten mitmachen.
Sind weitere Aktionen auch im Kreis Olpe geplant?
Wir streiken Anfang Dezember für einen Tag. Da wird es werktags sein, weshalb nur die Tarifler aufgerufen sind.
Das bedeutet, dann fehlen die beim Unterricht?
Hoffentlich. Wir müssen ja irgendwie Druck machen.
Nennen Sie Punkte, die Ihnen in diesem Arbeitskampf am wichtigsten sind, was müsste sich dringend ändern?
Die Wochenstunden müssten gekürzt werden. Das ist mir persönlich wichtiger als eine Lohnerhöhung. Mehr Personal für Inklusion. Ich bin mit meinem Lohn als verbeamtete Lehrerin zufrieden. Bei anderem Personal in Schulen und Kitas sieht das natürlich anders aus.
Gibt es ein Sprachproblem an Schulen? Wie viele Ihrer Schüler können kein Deutsch?
Ich hatte zuletzt eine Schülerin, die fast kein Wort Deutsch sprach.
Was machen Sie im Unterricht mit solchen Schülern?
Sie bekommt ein spezielles Aufgabenheft für Deutsch-Anfänger. Sie war zwar in der 9. Klasse, musste aber erstmal die Farben lernen, dann die Zahlen und so weiter. In den Grundschulen oder Kindergärten sind es sicher deutlich mehr.
Es gibt bekanntlich zu wenig Lehrkräfte. Müsste aus Ihrer Sicht die Lehrerausbildung gestrafft werden?
Nicht unbedingt, aber es müsste mehr Praxisanteile geben. Ich habe vier Jahre lang studiert und hatte nur ein einziges Praktikum.
Eine private Frage: Sie stammen aus Niedersachsen und haben ins Sauerland sozusagen eingeheiratet. Was gefällt Ihnen am Sauerland am besten?
Zunächst einmal die Landschaft und der Biggesee. Ich wohne ja in Olpe und habe die schönste Anfahrt zur Schule nach Attendorn, entlang eben dieser Bigge.
Gibt es auch etwas, dass Sie besonders überrascht hat?
(Lara Roß lacht) Ja, wie viel Bier die Sauerländer trinken können. Das ist schon beachtlich.
Wenn Sie bei der Guten Fee einen Wunsch frei hätten als Vorsitzende der GEW, welcher wäre das?
Ich würde mir wünschen, dass sich jede Lehrkraft und jede pädagogische Arbeitskraft in Gewerkschaften aufstellen würden und dass schon bald auch Beamte bei Streiks mitmachen dürften.