Olpe/Siegen. Ein Mann aus Olpe soll seine Ex-Freundin gewürgt haben. Die Zeugin bricht vor Gericht in Tränen aus. Doch es gibt eine überraschende Wendung.

Er soll seine Ex-Freundin geschlagen, ihr mit einem Handy-Ladekabel die Luft abgeschnürt und sie anschließend mit den eigenen Händen gewürgt haben: Die Vorwürfe gegen den 41-jährigen Angeklagten aus Olpe wirkten so schwer, dass das ursprüngliche Verfahren gegen ihn vom Amtsgericht Olpe zum Landgericht Siegen übergeben wurde. Nicht zuletzt deswegen, weil seine heute 38-jährige Ex-Freundin beim Prozessauftakt in Olpe ausgesagt hatte, dass sie zum Tatzeitpunkt unter Todesangst gelitten hätte. Dementsprechend wurde die Anklage von gefährlicher Körperverletzung auf versuchten Totschlag geändert. Am Dienstag wurde das Verfahren schließlich vor dem Siegener Schwurgericht neu aufgerollt – und sorgte für eine überraschende Wendung.

Die Anklageschrift

Laut Anklage soll es am 29. Juli 2021 zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und seiner Ex-Freundin gekommen sein. Zu diesem Zeitpunkt war das Paar schon etwa vier Jahre zusammen. Der Angeklagte soll zunächst auf dem Handy-Display seiner Ex-Freundin Nachrichten von anderen Männern entdeckt haben, was ihn misstrauisch machte. Daraufhin soll er verlangt haben, Einblicke in ihre Chats zu bekommen. Dabei soll er Nacktvideos und -fotos von ihr entdeckt haben, die sie an einen anderen Mann geschickt haben soll. Aufgrund dessen soll der verbale Streit eskaliert sein, sodass der Angeklagte ein Handyladekabel um den Hals seiner Ex-Freundin gelegt und es enger gezogen haben soll. Sie soll noch rechtzeitig mit einer Hand dazwischengegangen sein und sich so aus der Schlinge herausgewunden haben. Daraufhin soll der Angeklagte ihr zwei Ohrfeigen gegeben und auf dem Boden schließlich mit den Händen gewürgt haben.

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Die Aussage des Angeklagten

„Ich habe noch nie in meinem Leben eine Frau geschlagen. Das würde ich nie machen“, so der Angeklagte. In ihrer Beziehung habe es vorher schon immer wieder Streit wegen ihres Verhaltens in den sozialen Medien gegeben. Hin und wieder soll seine Ex-Freundin Nachrichten wie „Wann treffen wir uns wieder?“ und „Ich vermisse dich“ von anderen Männern erhalten haben. Auch an dem Abend im Juli 2021 seien wieder Nachrichten und Anrufe auf ihrem Handy eingegangen. Er habe sie deswegen zur Rede stellen wollen. Sie habe ihn daraufhin mit der Faust an den Kiefer geschlagen und ihn im Gesicht gekratzt. Er habe versucht sie zu fixieren, indem er sich auf ihre Beine gesetzt und ihre gekreuzten Arme festgehalten habe. „Sie hat angefangen zu schreien. Ich wollte, dass sie geht, damit es ruhig ist“, sagte der Angeklagte.

Die Aussage der Ex-Freundin

Eine Sozialarbeiterin der Frauenberatungsstelle begleitete die 38-jährige Ex-Freundin bei ihrer Zeugenbefragung vor Gericht. Dort wiederholte die 38-Jährige die Angaben, die sie bereits vor dem Amtsgericht Olpe gemacht hatte. Der Angeklagte habe ihr das Handy aus der Hand geschlagen, ihr mit dem Handyladekabel die Luft abgeschnürt und ihr nach ihrem Befreiungsversuch im Laufen die Beine weggeschlagen haben, sodass sie zu Boden gestürzt sei. Von dort habe er sie aufs Sofa geschmissen und sie schließlich mit beiden Händen gewürgt. Dabei habe er seine Knie auf ihre Oberarme gedrückt und seine Daumen auf ihren Kehlkopf gepresst. „Diese Augen waren nicht von dieser Welt. Das waren nicht die Augen von dem Mann, wie ich ihn kannte. Ich habe gedacht, ich sterbe.“ Zwei Mal brach die 38-Jährige in Tränen aus, ein Mal unterbrach das Gericht die Verhandlung für eine kurze Pause, auf Rat der Sozialarbeiterin.

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Die Zweifel

Als Zeugen hörte das Gericht unter anderem eine ehemals gute Freundin der Geschädigten an. „Ich kann nicht ein schlechtes Wort über den Angeklagten sagen. Im Gegenteil: Ich habe ihn immer als sehr liebevoll erlebt“, so die 51-jährige Zeugin. Stattdessen säte sie Zweifel an der Glaubwürdigkeit der 38-Jährigen – angefangen von ihrem kontrollsüchtigen Verhalten, bei dem sie den Aufenthalt ihres Ex-Freundes mit einer App einsehen konnte, über zwei vorgetäuschte Schwangerschaften bis hin zu selbstverletzendem Verhalten, für das sie den Angeklagten verantwortlich machen wollte. „In einem Video-Anruf habe ich gesehen, wie sie sich selbst mit einem Messer verletzt hat. Warum sollte sie das nicht auch mit einem Kabel gemacht haben, um es dem Angeklagten anzuhängen?“

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Der behandelnde Arzt, der die Geschädigte einen Tag nach dem Vorfall untersucht hatte und ebenfalls als Zeuge geladen war, konnte an dem Hals der Geschädigten zwar eine Druckstelle feststellen, die auf ein Ladekabel zurückzuführen sein könnte. Nicht aber ein Brandmal, verursacht durch eine starke Reibung, wie sie die Geschädigte beschrieb. Auch Würgemale, die gerade bei einem Zudrücken des Halses tagelang zurückblieben, konnte der Arzt bei seiner Untersuchung nicht dokumentieren. Den Würge-Angriff erwähnte die Geschädigte bei ihrer ersten polizeilichen Aussage übrigens nicht. Dafür habe sie noch zu sehr unter Schock gestanden.

Auch die Aussage des 40-jährigen Vermieters des Angeklagten belastete in erster Linie die Geschädigte. An dem Tat-Abend habe er Gesprächsfetzen aus dem lautstarken Streit mitbekommen. „Sie war richtig schlimm“, so der 40-Jährige. „Sie hat geschrien: ‘Ich mach’ dich kaputt!’“

Die Plädoyers

„Hier wurden heute sehr viele Märchen erzählt“, so Staatsanwalt Markus Bender. Die Wahrheit werde irgendwo in der Mitte liegen. „Die Zeugin hat sich in unzähligen inhaltlichen Widersprüchen verstrickt. Sie hat in jedem Fall versucht, Unfrieden zu stiften. Sie kann durchaus provozieren.“ Die dargelegten Beweismittel könnten laut Bender nicht zweifelsfrei belegen, dass sich die Tat so abgespielt habe, wie sie in der Anklageschrift beschrieben war. Dementsprechend plädierte er für einen Freispruch des Angeklagten. Simone Göckus, Rechtsanwältin für Familienrecht und Opferschutz, hielt als Vertreterin der Nebenklage allerdings an dem Tatbestand der Körperverletzung fest. „Die Zeugin hat hier unter ganz großem Druck ausgesagt. Und ihre Aussagen stimmen im Kern immer überein.“ Erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit hatte dagegen Verteidiger Daniel Hippenstiel: „Sie (die Geschädigte, Anm. d. Red.) hat den Sachverhalt jedes Mal zu ihren Gunsten angepasst.“ Er plädierte ebenfalls für einen Freispruch. Am Montag, 15. Mai, wird das Siegener Schwurgericht das Urteil verkünden.