Kreis Olpe/Siegen. Interview mit dem Chef der Wern-Group und der VWS, Klaus-Dieter Wern. Wenn es um die Zukunft des ÖPNV geht, hat er klare Vorstellungen.

Er darf mit Fug und Recht als der Mr. ÖPNV für die Region Sauer- und Siegerland bezeichnet werden: Klaus-Dieter Wern, trotz seiner 78 Jahre immer noch Chef der Wern-Group und u. a. der Verkehrsbetriebe Westfalen-Süd, ist seit Jahrzehnten der entscheidende Mann an der Spitze seines Unternehmens, das Jahr für Jahr viele tausend Menschen von A nach B bringt. Zum Jahresende stand uns Wern zu allen Fragen rund um den ÖPNV und dessen Zukunft Rede und Antwort.

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Frage: Herr Wern, Bus- und Bahnverkehr hat im Zuge der Klimadiskussion enorm an Bedeutung gewonnen. Für Sie ein Grund, täglich Freudentänze aufzuführen?

Klaus Dieter Wern: Leider nein. Weil wir in der Größe, die wir haben, immer die Politik mit am Tisch haben. Ich kann, wenn es um den ÖPNV geht, keine Entscheidung treffen ohne die Politik.

Aber die Wertschätzung für den ÖPNV war noch nie so groß.

Ich möchte den ÖPNV ebenfalls gerne fördern. Ich habe auch Verständnis für den Wunsch eines Politikers, der den Stundentakt im Busverkehr auf zehn Minuten verkürzen will. Ich wäre auch sofort dabei, weil das ein Merkmal des modernen ÖPNV ist. Aber wir haben zwei Hauptproblem, die die Politiker, die solche Wünsche haben, nicht lösen können. Das ist nicht die teure Energie und auch nicht die Topographie mit unendlich vielen kleinen Dörfern. Sondern der Personalmangel. Ich habe keine Leute, die die Busse, 9-Sitzer oder Taxis fahren können.

Und welches Problem noch?

Ich habe ein Taxiunternehmen gekauft, um beispielsweise im Wittgensteiner Land den ÖPNV auf Abruf mit Taxis anzubieten. Dort gibt es Dörfer, die ich bisher noch gar nicht kannte. Und da wohnen auch Omas, die gerne gefahren werden möchten. Und wenn Politiker, ob nun Grüne oder Freie Demokraten, das wollen, müssen sie sich im Klaren darüber sein, dass das Geld kostet. Sehr viel Geld. Und das haben sie nicht.

Gerade im ländlichen Raum wie dem Kreis Olpe gibt es unendlich viele Dörfer in der Peripherie. Ist nicht vielleicht der 9-Sitzer der künftige Standard im ÖPNV?

Im Kreis Olpe fahren wir morgens und mittags mit gut gefüllten Bussen, aber fast ausschließlich im Schülerverkehr. In der übrigen Zeit würden uns 9-Sitzer reichen. Aber ich bräuchte die doppelte Anzahl an Fahrzeugen. Ich muss den großen Bus ja vorhalten und zusätzlich die 9-Sitzer. Aber wer kann sich das leisten? Niemand.

Das Projekt 9-Euro-Ticket ist Geschichte. War das eine grüne Fata Morgana oder ein ernstzunehmender Versuch und ein Schritt in die richtige Richtung?

Der Schritt geht in die richtige Richtung. Ich stehe voll hinter dem ÖPNV. Unter ÖPNV verstehe ich ein günstiges Angebot und, wenn ich ihn flächendeckend auch nutzen kann. In den Dörfern vielleicht nur auf Abruf, aber immerhin.

Die kleine Stadt Drolshagen besteht aus 58 Ortschaften. Würde das auch dort gelten?

Mit kleinen Fahrzeugen schon. Wenn man ein Ticket wie jetzt das 49-Euro-Ticket auf den Markt wirft, dann muss es möglich sein, auch vom kleinsten Dorf mit welchem Fahrzeug auch immer, weg- und wieder zurückzukommen. Das bedeutet ÖPNV aus meiner Sicht.

Das 49-Euro-Ticket steht vor der Tür. Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr erwartet 100.000 neue Kunden für den ÖPNV. Was erwarten Sie?

Das kann niemand voraussagen für das Gebiet Sauer- und Siegerland. Aber noch mal. Das gravierendste Problem ist: Das Personal fehlt. Es sind einfach nicht genügend Menschen da, die die Busse fahren können.

Sehen Sie irgendeine Möglichkeit, dieses Desaster zum Besseren zu wenden?

Wir müssen Menschen aus dem Ausland nach Deutschland holen. Möglicherweise auch nach dem Vorbild der 60er-Jahre. Natürlich müssen diese Menschen vernünftig integriert werden. Wir kriegen es so jedenfalls nicht gebacken. Hundertprozentig nicht.

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Mal ganz konkret: Wie viele Busfahrer sind derzeit bei Ihnen beschäftigt?

Im Moment etwa 320. Bei etwa 300 Fahrzeugen.

Wie viele benötigen Sie in diesem Moment zusätzlich?

Ich würde von heute auf morgen sofort 30 Leute einstellen. Aber die gibt es nicht.

Sind denn nicht Rentner zu finden, die wenigstens einen 9-Sitzer fahren dürften?

Wenn Sie mir die bringen, nehme ich sie sofort. Ich will ihnen mal ein Beispiel aus der Praxis nennen. Ich fahre derzeit sechs AWO-Linien mit Klein-Bussen. Also Menschen, die in Awo-Einrichtungen betreut werden. Diese Klein-Busse zu besetzen, ist schon ein Riesenproblem für mich.

Ist das ein flächendeckender Engpass?

Ja, natürlich. Die Firma Busch aus Halver zum Beispiel hat etwa 500 bis 600 solcher Kleinbusse. Ein Unternehmer, der sich auf den Nahverkehr von gehandicapten Menschen spezialisiert hat. Es vergeht kaum eine Woche, in der er nicht inseriert und Fahrer sucht.

Am Ende müssen Sie selbst noch fahren?

Das ist kein Witz, sondern Realität. Wenn es richtig brennt, setze ich mich selbst noch hinters Steuer. Egal, ob Kleinbus, Omnibus oder Gelenkzug.

Sie dürfen alles fahren?

Ich darf alles fahren.

Aber den Pilotenschein haben Sie noch nicht gemacht?

Leider nein.

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Bei den Grünen wird schon mal vom ÖPNV zum Nulltarif geträumt. Was würde das für die Kreise Siegen und Olpe pro Jahr kosten?

Ich schätze, zwischen 70 und 75 Millionen Euro pro Jahr. Davon entfiele etwa ein Drittel auf den Kreis Olpe.

Würde das auch einen ÖPNV für die Dörfer beinhalten?

Ja, damit wären auch vernünftige Taktungen dort möglich. Und nur das verstehe ich unter einem leistungsfähigen modernen ÖPNV.

Fahren im Jahr 2030 nur noch Elektrobusse?

Nein.

Warum?

Auch das kann keiner bezahlen. Speziell für unsere Region Siegen/Olpe nenne ich wieder ein Beispiel: Ich bin seit einiger Zeit auf der Suche nach politischer Klarheit, welche Antriebsart die Politik wünscht. Es gibt in beiden Kreisen ein Gutachten, deren Ergebnisse immer noch ausstehen.

Was wird dort untersucht?

Erst einmal, ob Batterie oder Wasserstoff als Antriebstechnik realistisch ist. Auch wir selbst haben übrigens ein Gutachten über das Thema Ladekapazität in Auftrag gegeben.

Mit welchem Ergebnis?

Der Gutachter von der Uni Aachen hat seine Arbeit abgebrochen, weil er gesagt hat, hier lägen gar keine Stromleitungen für solche Ladekapazitäten. Er hat allerdings ausgerechnet: Wenn nur die 100 Busse, die ich hier in Siegen stehen habe, geladen werden, brennt in der Stadt Siegen kein Lämpchen mehr.

Hat Ihr Unternehmen denn schon einmal einen Elektrobus getestet?

Jawohl. Mehrere unterschiedlich große Fahrzeuge von Scania und Mercedes. Einmal einen Solobus für 55 bis 60 Fahrgäste und den Gelenkbus für rund 112 Fahrgäste. Diese Busse sind angegeben mit einer Reichweite von rund 300 Kilometer. Bei uns in der Region schafft ein solcher Bus aber nur rund 150 Kilometer. Dann ist er leer. Das heißt auch hier: Um einen kompletten Dienst zu bedienen, müsste ich immer zwei Fahrzeuge einsetzen. Einen, der fährt, und einen, der in der Zeit die Batterie lädt. Und selbst wenn ich jetzt Elektrobusse bestellen würde, kann es sein, dass ich erst in zwei Jahren einen bekomme. Aber ich kann erst bestellen, wenn mir die beiden Landräte sagen, was sie wollen.

Was kostet ein neuer Dieselbus für 55 Fahrgäste, was ein Elektrobus?

Ich habe gerade neue Mercedes-Dieselbusse bestellt. Da kostet einer rund 250.000 Euro. Der vergleichbare E-Bus kostet rund 700.000 Euro.

Ist vielleicht der fahrerlose ÖPNV die Lösung der Zukunft.

Kann sein. Ich bin mir aber sicher, dass ich es nicht mehr erleben werde. Die ersten Versuche mit SAM in Drolshagen und Lennestadt waren eher Imageprojekte für die Politik. Aber keine realisierbaren Systeme auf Sichtweite. Zudem sind viele Fördergelder verbraten worden. Die hätte man an anderer Stelle sinnvoller einsetzen können.

Kann ein noch so gestärkter ÖPNV den Individualverkehr, also das eigene Auto auf dem Land ersetzen?

Schwierig. In dieser Topographie werden die Menschen immer auf das Auto angewiesen sein.

Wie wird der ÖPNV im Jahr 2030 in unserer Region aussehen?

Nicht viel anders als jetzt.

Welches war der größte politische Fehler im ÖPNV der vergangenen 20 Jahre?

Ich bin überwiegend mit der Politik einverstanden. Unsere beiden Landräte machen einen guten Job. Wobei ihnen spätestens bei der Geldfrage die Hände gebunden sind. Ein Fehler war es seinerzeit, die VWS zu verkaufen. Als wir die VWS gekauft haben, war vieles heruntergewirtschaftet.

Wann gehen Sie in den Ruhestand?

Wenn mein Enkel Jörg sagt: Opa, ich kann Dich hier nicht mehr gebrauchen. Nein, im Ernst, wenn ich im September 2024 80 Jahre alt werde, ist es ein guter Zeitpunkt, den Stuhl hier zu räumen. Zur Feier lade ich Sie jetzt schon ein.

Steckbrief

Klaus-Dieter Wern, 78 Jahre alt, ist in Heisberg geboren, in Trupbach aufgewachsen und verheiratet in Seelbach. Wern ist Vater von vier Kindern und Großvater von acht Enkeln.

Der gelernte Dreher, Einzelhandelskaufmann und Berufskraftfahrer machte sich 1992 selbstständig als Handelsvertreter im Omnibusgeschäft.

Später gründete er u. a. die Bus- und Auto Wern GmbH, dann den Kraftverkehr Alchetal und 2012 die Wern-Group und kurz darauf die Verkehrsbetriebe Westfalen-Süd.

Wern saß in den 80-er Jahren für fünf Jahre für die SPD im Stadtrat Siegen.