Kreis Olpe. Lieferengpass bei Medikamenten: Es geht vor allem um Paracetamol und Ibuprofensäfte. Wie Apotheker reagieren.

Apotheker Daniel Siebert von der Martinus-Apotheke in Olpe redet gar nicht um den heißen Brei herum, wenn es um die derzeitigen Engpässe bei Medikamenten gehe: „Angesichts der Lieferkettenproblematik während Corona war es klar, dass es Probleme geben würde.“ Was jedoch konkret im Detail der Grund dafür ist, warum beispielsweise Fiebersäfte für Kinder fehlten, „darüber sagt einem keiner die Wahrheit. Der eine begründe: Es fehlen die Wirkstoffe, die in Indien produziert werden, der nächste sagt: Es fehlt uns der flüssige Saft, der in Fernost in Fässern hergestellt wird, die in Containerhafen fest steckten.“ Das gelte beispielsweise für Ibuprofensäfte, die momentan Mangelware seien.

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Kurios: Ein großer Ibuprofenhersteller sei BASF aus Deutschland, aber der liefere den Wirkstoff zur Weiterverarbeitung nach Fernost, und dort habe Corona auch für erhebliche Verzögerungen in der Lieferkette gesorgt. Siebert: „Manchmal sind es auch ganz profane Dinge wie Stopfen, Deckel oder Flaschen, die fehlen, um die Produkte auf den Markt zu bringen. Insbesondere die Kinderschmerzmittel Ibuprofen und Paracetamol als Saft sind davon betroffen, aber auch Zäpfchen mit diesen Wirkstoffen.“ Siebert und seine Kolleginnen sind angesichts dieser nicht enden wollenden Problematik seit November dazu übergegangen, Fiebersäfte selbst zu mixen: „Wenn wir die Säfte selbst herstellen, sind sie natürlich wesentlich teurer, als aus Fernost importierte.“ Das müsse mit den Ärzten abgestimmt werden, auch mit Blick auf die Krankenkassen.

25 statt 5 Euro pro Fläschchen

Nach der Größenordnung befragt, wie viel teurer der selbst gemixte Saft sei, antwortete Siebert: „Der importierte Paracetamolsaft in der üblichen Verpackungsgröße von 100 Milliliter liegt normalerweise bei etwa 5 Euro. Machen wir ihn selbst, rechnen wir mit den Krankenkassen für die gleiche Menge rund 25 Euro ab, also den fünffachen Preis.“ Den eigenen Kunden müsse man natürlich einen sozusagen subventionierten Preis machen. „Das würde sonst niemand akzeptieren“, so Siebert. Hintergrund des hohen Preises: Eine Fachkraft der Apotheke sei mit der Herstellung von vielleicht 20 solcher Säftchen drei bis vier Stunden beschäftigt. Die Synergie-Effekte einer industriellen Produktion gebe es in der Apotheke nicht. Auch fehlten die Instrumente, um größere Gebinde von 20 oder 30 Liter herzustellen, ganz abgesehen von der Problematik der Haltbarkeit: „Diese 30 Liter müssten dann auch innerhalb kurzer Zeit verkauft sein.“

Auch Cholesterinsenker betroffen

Dr. Gerd Franke, Apothekerkollege aus Olpe (u. a. Lindenapotheke), ist ebenfalls dazu übergegangen, die Eigenproduktion anzuwerfen: „Wenn wir die Grundsubstanzen haben, was nicht immer einfach ist, können wir das selbst machen.“ Insbesondere die Fiebersäfte mit den Wirkstoffen Ibuprofen und Paracetamol für Kinder könnten auf die Art immer wieder frisch hergestellt werden.

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Das sei kein Selbstläufer, auch an die Wirkstoffe komme man nicht beliebig heran. Nicht nur Kindersäfte seien ein Problem, auch bei Magentabletten wie Pantoprazol oder Statinen (Cholesterinsenker) gebe es Engpässe. Dabei handele es sich noch nicht um Komplettausfälle. Franke: „Da geht es eher um bestimmte Wirkstoffmengen, so dass wir flexibel reagieren können.“

Protestbrief von Apothekersprecher Ulf Ullenboom

Apotheker Ulf Ullenboom, Vorsitzender der Bezirksgruppe Olpe im Apothekerverband Westfalen-Lippe, nimmt angesichts der Lieferengpässe bei Medikamenten kein Blatt vor den Mund.
Apotheker Ulf Ullenboom, Vorsitzender der Bezirksgruppe Olpe im Apothekerverband Westfalen-Lippe, nimmt angesichts der Lieferengpässe bei Medikamenten kein Blatt vor den Mund. © WP | Roland Vossel

Einen unüberhörbaren Protestbrief verschickte dieser Tage auch Ulf Ullenboom, Sprecher der Apotheker im Kreis Olpe: „Fiebersäfte, Antibiotika, Inhalativa, Hustenmittel, aber auch Insulin und starke Schmerzmittel - das Problem der Lieferengpässe bei Arzneimitteln spitzt sich immer weiter zu. Obwohl das Management solcher Engpässe seit Jahren zum Apothekenalltag gehört, haben selbst Kolleginnen und Kollegen, die bereits seit Jahrzehnten im Beruf stehen, eine derart schwierige Lage noch nicht erlebt“, sagt Ullenboom, Vorsitzender der Bezirksgruppe Olpe im Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL). Besonders ärgerlich sei, dass bürokratische Regelungen und komplexe Vorgaben, die die Krankenkassen den Apotheken machten, unkomplizierte Lösungen verhinderten und damit die Situation weiter verschärften.

Jede Kasse hat eigene Regeln

Ullenboom weiter: „Aktuell hat nahezu jede Krankenkasse ihre eigenen Regeln, welche Arzneimittel, die Mangelware sind, zügig ohne Genehmigung importiert werden können und für welche Medikamente etwaige Mehrkosten übernommen werden. Dabei variieren von Kasse zu Kasse die Formalien, die die Apotheken erfüllen müssen.“ Bei annähernd 100 gesetzlichen Krankenkassen ein Dickicht, das von den Apotheken kaum zu durchdringen sei: „Wie soll das gehen?“, fragt Ullenboom, „wenn die Patienten regelrecht die Apotheken stürmen. Wir sind am Limit. Und wir appellieren daher dringend an die Politik, diesen Flickenteppich abzuschaffen, einheitliche Vorgaben zu machen und die Apotheken in dieser schwierigen Situation vor Regressen zu schützen.“

„Brauchen mehr Beinfreiheit“

Apotheken könnten zwar Fiebersäfte selbst herstellen, aber auch für diese Eigenproduktion seien die bürokratischen Hürden hoch, so Ullenboom: „Wir brauchen mehr Beinfreiheit, und wir müssen diesen enormen Zusatzaufwand, den wir mit dem Krisenmanagement haben, auch vergütet bekommen.“

Forderungskatalog

Der Apothekerverband Westfalen-Lippe stellt einen Forderungskatalog auf, damit das Problem auch langfristig in den Griff bekommen werde.

1. Die Produktion von Wirkstoffen und Arzneimitteln muss unter hohen Umweltschutz- und Sozialstandards wieder verstärkt in der EU stattfinden.

2. Exporte von versorgungsrelevanten Arzneimitteln sollten bei Lieferengpässen beschränkt werden können.

3. Den Krankenkassen sind Mehrfachvergaben von Rabattverträgen mit mehreren Wirkstoffherstellern vorzuschreiben.

4. Das höchst aufwendige Krisenmanagement der Lieferengpässe muss den Apotheken durch die Kassen vergütet werden.

Thomas Rochell, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe, kommentiert: „Wie schon in der Corona-Pandemie zeige sich nun erneut, dass das Apothekennetz gesichert werden muss. Statt wie zuletzt trotz explodierender Kosten und galoppierender Inflation die Vergütung zu kürzen, müssen die Apotheken vielmehr dringend gestärkt werden.“ Rochell betont zudem: „Die Apotheken vor Ort tragen keinerlei Schuld an diesen Lieferengpässen.“ Unterstellungen aus der Politik, die Apotheken horteten Arzneimittel, weist er entschieden zurück: „Das ist absurd und nur ein Versuch, von den eigentlichen Problemen abzulenken. Wir haben kein Verteilungsproblem, sondern schlicht einen Versorgungsmangel. Die Apothekenteams geben derzeit alles. Deshalb möchte ich die Patienten auch dringend um Verständnis und Geduld bitten.“