Olpe. Livia Dolle hat die Plattform „takle.io“ gegründet. Die 27-Jährige soll Orientierung für Content Creator bieten – und vor Ausbeutung schützen.
Livia Dolle ist weggegangen und wieder zurückgekommen. Das Sauerland sei momentan ihr Ruhepol, sagt die 27-Jährige. Weit weg von der Hektik, dem Überbietungsdruck und der Coolness der Metropole. Obwohl genau dort die meisten Start-ups gegründet werden. Doch Livia hat sich dagegen und für ihre Heimat entschieden. Hier hat sie ihr Start-up „takle.io“ gegründet – eine digitale Plattform, die Orientierung auf dem Digital-Marketing-Markt bietet. Das zukunftsorientierte Konzept hat überzeugt: Beim Gründerwettbewerb „JU DO!“ der Wirtschaftsjunioren Südwestfalen hat sie im Oktober den mit 5000 Euro dotierten ersten Platz belegt. Im Interview erzählt sie, welche Idee hinter „takle.io“ steckt und wie es Unternehmen und Creatorn zusammen bringt.
Wie erklärst Du jemanden dein Start-up, der bislang keine Berührungspunkte mit Instagram, Influencern und Co. hatte?
Livia Dolle: Ich habe eine Plattform entwickelt, auf der man Videos kaufen kann. Diese Videos können ganz unterschiedliche Formen haben – Werbung, Recruiting, Unterhaltung. Auf unserer Plattform wird man durchgeleitet. Von der Idee, warum du das kaufen möchtest, bis hin zum fertigen Video, das man für die eigenen Kanäle verwenden oder als Werbung schalten kann. Man hält die vollen Rechte an dem Video. Wir verkaufen keine Reichweiten, nur Videomaterial.
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Dein Webauftritt und deine App sind auf Englisch. Wieso?
Der Übersetzer wird überarbeitet und ist Anfang Januar wieder aktiv, dann gibt es takle.io wieder auf deutsch. Wir entwickeln in Englisch und sind Europaweit sowie in den Staaten und Kanada verfügbar.
Wie viele Creator nutzen mittlerweile „Takle.io“?
Wir sind jetzt bei über 250 angekommen. Das ist jetzt ein Bereich, in dem die Sales – also Videos gegen Bezahlung – anfangen. Da sollte jeder Kunde das Passende finden. Die Creator kommen von überall her, aber Hauptfokus sind deutsche Creator.
Wenn es jetzt mit dem Verkauf beginnt: Hat Takle schon Kunden?
Ab 2023 haben wir den ersten Großkunden. Da liegt uns aber noch nicht die offizielle Meldung vor, deswegen: pssst. Gerade bedienen wir vor allem kleine oder mittelständische Unternehmen.
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Du sprichst immer von „wir“. Wer steckt eigentlich hinter dem „Wir“?
Nare und Carlo (lacht). Das ist auch eine ganz witzige Geschichte. Carlo lebt auf den Philippinen, Nare in Armenien. Ich habe die beiden noch nie live gesehen. Wir haben uns über eine Agentur kennengelernt. Carlo ist der Backend-Developer, aber auch der Projektmanager. Er ist quasi die organisierte Version von mir (lacht). Nare ist für das Frontend zuständig, also für das Design. Die beiden sind total engagiert. Wir arbeiten echt super gut zusammen. Und für die beiden wünsche ich mir so sehr, dass wir eine gute Funding-Runde bekommen, damit die davon profitieren. Die haben sich so sehr ins Zeug gelegt – für eine Frau in Deutschland, die sie nicht mal kennen (lacht).
Philippinen, Armenien, Sauerland – verrückt. Wie sieht denn dein Arbeitsalltag aus?
Vieles läuft über Hacks (lacht). Social Listening Tools sind zum Beispiel wichtig, um herauszufinden, wie die Leute über takle.io und Konkurrenz denken. Daraus kann man viel lernen. Meine Posts mache ich zwar noch manuell, aber die ganzen Sales-Sachen sind wir beispielsweise am automatisieren mit Hilfe von AI („Artificial Intelligence“, zu Deutsch: Künstliche Intelligenz oder KI, Anm. d. Red.), das ist super hilfreich vor allem bei bei Routineaufgaben.
Gefühlt will ein Großteil der Generation Z irgendwas mit Medien, sprich im Social-Media-Bereich, machen. Gibt es da auf dem Markt nicht einen unglaublich großen Performance-Druck?
Mittlerweile fühlt sich jeder als Social-Media-Experte. Einfach, weil man Apps wie Instagram und TikTok selbst nutzt. Social Media an sich ist auch immer noch ein sehr autodidaktischer Bereich. Was verständlich ist, da es als Beruf erst seit 2018 richtig angefangen hat. Aber wenn man Marketing im Tech-Bereich machen will, braucht man ein Grundverständnis von Daten. Man muss erklären können, wie Algorithmen funktionieren und wie sie aufgebaut sind. Sonst geht man unter.
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Und wie sind die aufgebaut?
Ganz unterschiedlich und die Details sind das große Betriebsgeheimnis. Es gibt ganze Bewegungen, die versuchen beispielsweise den Meta-Algorithmus zu „reverse engineeren”.
TikTok funktioniert nach einem „Content Graph“, der die Nutzung der digitalen Inhalte, die man hochlädt, zum Beispiel nach Aufmerksamkeit der Zuschauer auswertet. Die Inhalte stehen also im Vordergrund und ob sie die Zuschauer anziehen oder nicht. TikTok funktioniert nach einem SEO- bzw. SEA-System (Suchmaschinenoptimierung bzw. Suchmaschinenwerbung, Anm. d. Red.). Das heißt: Suchbegriffe werden ausgelesen und können dann eingeordnet werden. In dieser Hinsicht ist TikTok Google sehr ähnlich. Der Algorithmus dreht sich gar nicht so sehr darum, wer du bist, sondern was für Inhalte du hochlädst. Das Meta-Universe, also Facebook und Instagram, folgen dem „Social Graph“. Das heißt: Ich bekomme in erster Linie Beiträge von meinen Freunden angezeigt. Instagram denkt: Weil wir befreundet sind, haben wir die gleichen Interessen. Man fokussiert sich allgemein mehr auf die sozialen Interaktionen auf der Plattform.
Du sprichst mehr von Creatorn als von Influencern. Wo ist da der Unterschied?
Influencer sind Personenmarken und können deine Kaufentscheidung beeinflussen. Sie kommen meist mit einer relevanten Reichweite – die man aber auch sehr leicht fälschen kann. Creator haben einen anderen Ansatz. Sie sind vorerst Produzenten von digitalen Inhalten. Und haben keine relevante Reichweite.
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Sowohl Influencer als auch Creator haben aber durchaus eine verantwortungsvolle Position…
Auf jeden Fall. Ich würde mir auch wünschen, dass Content Creator ein anerkannter Beruf wird, der beispielsweise bei der IHK angesiedelt ist. Einfach, um langfristig die Qualität zu sichern und gerade die jungen Berufseinsteiger in dem Markt auch besser zu schützen. Wenn man bedenkt, dass 86 Prozent der Amerikaner (zwischen 16 und 38 Jahren) Influencer als Traumberuf angeben, müssen wir anfangen uns Gedanken zu machen, wie wir Inhalte verantwortungsvoll kanalisieren können.
Das Schlimmste, was einem Creator passieren kann, ist, wenn er mit einem Post viral geht. Dann wird es unkontrollierbar. Inhalte können zweckentfremdet werden. Und das kann gefährlich werden. Es ist ein Mythos, dass es nur Vorteile bringt und man dann in das ganz große Spiel einsteigt.
Das klingt auch nach einer gesellschaftlichen Aufgabe.
Ist es auch. Jede Generation hat neue Ideen, möchte sich selbst verwirklichen und setzt so neue Standards. Auf diesen Wandel muss man als gesamte Gesellschaft reagieren. Ich möchte mit takle.io zeigen, dass man Content auch ethisch kaufen und verkaufen kann. Ich möchte Content bieten, der eine Geschichte enthält und keinen Rabattcode. Und bei dem Unternehmen sich sicher sein können, dass sie keine unter 18-Jährigen ausbeuten mit ihren Marketing-Aktivitäten.
>>> STECKBRIEF
- Livia Dolle kommt ursprünglich aus Finnentrop, wohnt jetzt aber mit ihrem Freund und ihren beiden Töchtern – 3 Jahre und 1 Jahr alt – in Olpe.
- Ihr Abitur hat sie am Rivius-Gymnasium Attendorn gemacht. Anschließend hat sie im Dualen System bei Mubea gearbeitet und International Business Management Trinational studiert – in Deutschland, Frankreich und in der Schweiz. Für ein Auslandssemester ging sie nach Seoul, Südkorea.
- Nach ihrem Studium lebte sie eine Zeit lang in München und fing dort bei der Unternehmensberatung Accenture an.
- Mit der Geburt ihrer ersten Tochter zog es sie wieder näher in Richtung Heimat. Mit ihrem Freund lebte sie eine Zeit lang in Köln und zog schließlich wieder zurück ins Sauerland nach Olpe.