Attendorn/Düsseldorf. Im Fall des über Jahre in Attendorn eingesperrten Mädchens fordert die SPD-Fraktion Aufklärung. Dem Jugendamt lagen seit Monaten Hinweise vor.

Der Fall um ein offenbar jahrelang eingesperrtes Mädchen in Attendorn wird Thema im Düsseldorfer Landtag. Die SPD-Fraktion hat einen Bericht der Landesregierung für den kommenden Familienausschuss am 17. November beantragt. Die Opposition hat unter anderem Fragen zu der Rolle der Behörden.

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„Die Berichte über den Vorfall in Attendorn machen betroffen. Umso wichtiger ist es, dass wir umgehend mit der Aufklärung und Aufarbeitung anfangen“, so der familienpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dennis Maelzer. „Wie konnte das Kind so lange unentdeckt und von der Außenwelt abgeschnitten festgehalten werden? Wie kann es sein, dass das Jugendamt erst jetzt eine Handhabe hatte, das Haus zu durchsuchen und eine Anfrage an die italienischen Behörden zu stellen?“, so Maelzer. Die SPD will auch wissen, warum niemanden auffiel, dass das Kind nicht zur Schule gegangen ist.

Jugendamt bekam anonyme Hinweise

Das Jugendamt hatte bereits vor längerer Zeit anonyme Hinweise erhalten. Vor zwei Jahren und vor einem Jahr seien zwei Hinweise eingegangen, sagte Fachbereichsleiter Michael Färber. „Wir sind dem sofort nachgegangen, aber es gab keine stichhaltigen Hinweise oder konkreten Anhaltspunkte, dass sich das Mädchen dort aufhielt.“ Man habe daher keine rechtliche Möglichkeit gehabt, das Haus zu betreten - das sei auch die damalige Einschätzung der Polizei gewesen.

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Gegen die Mutter des Kindes und die Großeltern ermittelt die Staatsanwaltschaft in Siegen. Sie geht davon aus, dass diese dem Mädchen nicht ermöglicht hätten, „am Leben teilzunehmen“ - nicht an Kita, Schule oder am Spiel mit anderen Kindern.

Die Mutter hatte sich im Sommer 2015 aus Attendorn abgemeldet und als neuen Wohnort für sie und ihre Tochter eine Adresse in Italien angegeben, schilderte der Fachbereichsleiter im Kreis Olpe. Offenbar habe die Mutter vermeiden wollen, dass ihre Tochter Umgang mit ihrem - getrennt von den beiden lebenden - Vater habe. Dieser wandte sich Färber zufolge ans Familiengericht, das 2016 das Sorgerecht für beide Elternteile bekräftigte.

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Erst als sich im Juni 2022 ein Ehepaar ans Jugendamt wandte und angab, das Mädchen gesehen zu haben, habe man mit Hilfe von Bundesjustizministerium und italienischen Behörden herausgefunden, dass Mutter und Tochter nie in Italien gelebt hatten. Bei einer Hausdurchsuchung am 23. September stieß man dann dort auf das Kind.

„Für das Kind steht jetzt die Welt kopf“

Für die Achtjährige ist nun nach Einschätzung des Kinderschutzbundes eine behutsame Begleitung ganz zentral. „Für das Kind steht jetzt die Welt kopf. Es wird sich fühlen wie auf einem anderen Planeten“, gab Nicole Vergin vom Kinderschutzbund NRW zu Bedenken. Grundbedürfnisse des Mädchens seien offenbar ebenso missachtet worden wie grundlegende Kinderrechte auf Bildung, Spielen oder soziale Kontakte. Das werde Auswirkungen auf die mentale, psychische oder auch motorische Entwicklung des Kindes haben - auch wenn eine genaue Diagnose aus der Ferne nicht möglich sei.

Es gehe nicht darum, dass das Kind nun rasch Defizite aufhole, sondern es müsse zu allererst seelisch stabilisiert werden, betonte Sozialpädagogin Sabine Müller-Kolodziej vom Kinderschutzbund. Auch wenn die drei Erwachsenen rechtlich zur Verantwortung gezogen werden müssten, solle dem Kind ein begleiteter Umgang mit ihnen weiter ermöglicht werden, um es nicht zu entwurzeln. Das Kind habe nie ein anderes Leben oder andere Menschen kennengelernt. Es habe auch nicht gelernt, sich selbst zu behaupten und abzugrenzen. Alle Stellen unter Einbeziehung von Kinderpsychologen müssten nun eng zusammenarbeiten. (dpa)