Attendorn. Es ist ein unfassbares Geschehen: Fast sein ganzes Leben soll ein achtjähriges Mädchen in Attendorn in einem Haus festgehalten worden sein.

Ein achtjähriges Mädchen soll in Attendorn jahrelang im Haus der Großeltern festgehalten worden sein. Das bestätigte Siegens Oberstaatsanwalt Patrick Baron von Grotthuss auf Anfrage dieser Redaktion. „Das Kind durfte das Haus nicht verlassen. Viel von der Außenwelt hat es nicht mitbekommen. Auch die Mutter hat das Haus so gut wie nie verlassen“, so der Oberstaatsanwalt. Auch die Großeltern hätten bei diesem „Versteckspiel“ mitgemacht.

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Es ist ein unfassbares Geschehen. Kaum nachvollziehbar ist, dass niemand etwas von dem eingesperrten Mädchen in Attendorn mitbekommen hat. Dies meint auch Patrick Baron Von Grotthuss: „Normalerweise funktioniert auf dem Land die soziale Kontrolle. Hier hat das aber wohl nicht geklappt. Es hat niemand mitbekommen.“

„Das Mädchen kam den Beamten auf der Treppe entgegen“

Den Behörden gegenüber soll die Mutter im Jahr 2015 angegeben haben, dass sie mit ihrer kleinen Tochter nach Italien verzogen sei. „Sie hatte mitgeteilt, dass sie mit ihrem Kind in Italien lebt. Es hat dann Hinweise aus dem Familienkreis beim Jugendamt des Kreises Olpe gegeben, dass das entgegen der offiziellen Meldungen nicht stimmt. „Die Polizei in Italien hat dies überprüft“, so der Oberstaatsanwalt.

Im September habe die italienische Polizei dann mitgeteilt, dass Mutter und Tochter nicht in Italien gemeldet sind: „Dann lief die Maschinerie“, sagt Baron Von Grotthuss. Am 23. September erschienen Polizei und Jugendamt zur Durchsuchung des Wohnhauses in Attendorn. „Sie trafen die Großeltern, die Mutter und das Kind an. Das Mädchen kam den Polizeibeamten auf der Treppe entgegen“, berichtet der Oberstaatsanwalt.

Kind in einer Pflegefamilie untergebracht

Die Ermittlungen hätten ergeben, dass das Mädchen nicht eingesperrt worden sei: „Es gibt keine Hinweise auf Misshandlungen oder Vernachlässigungen. Es gibt keine Hinweise auf Schläge oder Essensentziehung.“ Im gleichen Atemzug ergänzt Von Grotthus: „Es ist natürlich schon eine Form der Misshandlung, wenn man das Kind sich nicht entwickeln lässt. Dass eine solche Isolation für die geistige Entwicklung nicht förderlich gewesen ist, kann man sich denken.“

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Das Mädchen habe auf ihn einen den Umständen entsprechend recht normalen Eindruck gemacht, so der Oberstaatsanwalt. Nach der Untersuchung in der Kinderklinik in Siegen wurde es in einer Pflegefamilie außerhalb des Kreises Olpe untergebracht. Das Gericht hat zudem eine Ergänzungspflege für das achtjährige Mädchen veranlasst.

Motiv noch völlig offen

Bei der Frage nach dem Motiv tappen die Ermittler derzeit noch völlig im Dunkeln. „Es ist schon irrsinnig, so etwas zu machen. Da stellt sich die Frage: Warum?,“ so Von Grotthuss. Die Mutter und die Großeltern schweigen zu den Vorwürfen. Verhaftet wurden sie nicht, sie bleiben auf freiem Fuß. „Es gibt keinen Haftgrund. Die laufen uns ja nicht weg“, sagt der Oberstaatsanwalt.

Aktuell würden noch umfangreiche Vernehmungen laufen. Es sind noch viele Fragen offen. „Ohne ärztliche und psychologische Sachverständige kommen wir nicht weiter. Diese sind auch schon eingeschaltet“, so Von Grotthuss. Dabei werde nicht nur das Mädchen untersucht: „Auch bei den Beschuldigten wird es eine Begutachtung geben.“ Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Mutter und die Großeltern wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen und Freiheitsberaubung.