Attendorn. Erst gibt es anonyme, dann konkrete Hinweise zum Fall in Attendorn. Dann dauert es immer noch über zwei Monate, bis die Polizei zugreift. Warum?
Es ist ein üblicher bürokratischer Reflex, der auch im Falle des Attendorner Mädchens zu Tage treten wird. Bei der Frage, wer schuld daran ist, dass diese Tragödie nicht früher beendet worden ist, wird niemand den Finger heben.
Auch, wenn zunächst im Mittelpunkt stehen muss, welcher Schaden dem Mädchen zugefügt worden ist. Dabei sollten ermittelte Tatsachen emotionale Spekulationen so schnell wie möglich verdrängen.
Was mich jedoch entsetzt, ist der zeitliche Verlauf der Geschichte. In einer durchdigitalisierten Welt, in einem vereinten Europa mit Institutionen wie Interpol und in einem Land, das sich für seine Bürokratie und Justiz rühmt – in eben diesem Land dauert es 71 (!) Tage, bis die Verwaltungsbürokratie und letztlich die Polizei in einem Haus einrückt, um dem ernsthaften Hinweis nachzugehen, das Wohl eines achtjährigen Mädchens sei gefährdet. 71 Tage, in denen vieles, wenn nicht alles denkbar ist. Bis hin zu einer Katastrophe.
Ganz abgesehen davon, dass es weit vorher schon anonyme Anrufe gab, erhält das Kreisjugendamt dann Anfang Juli 2022 den erneuten Hinweis auf „mögliche Kindeswohlgefährdung“ und somit darauf, dass weder Mutter noch Kind in Italien seien, wie vorgegaukelt. Spätestens jetzt mussten alle Alarmglocken läuten.
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Die Reaktion: Am 14. Juli stellt die Behörde aus Olpe ein Amtshilfeersuchen beim Bundesamt für Justiz zur Weiterleitung an die Behörden in Italien. Und dann? Warten. Bis zum 12. September dauert es, bis die Mitteilung aus Italien wieder Deutschland erreicht und vom Bundesamt für Justiz weitergereicht wird an den Kreis Olpe: Mutter und Kind sind nie in Italien gemeldet gewesen. Dass ein berittener Bote das im Mittelalter schneller hinbekommen hätte, klingt zwar satirisch, ist an dieser Stelle aber bitterernst gemeint. Die Frage drängt sich auf: Warum ist es einem durchorganisierten Verwaltungs- und Justizapparat offenbar nicht möglich, umgehend nach Attendorn zu fahren und nachzuprüfen, ob Mutter und Kind dort sind? Nach dem 12. September dauerte es wieder elf Tage, bis die Polizei sich endlich Klarheit verschaffen darf.
Sollten alle beteiligten Behörden hieb- und stichfest nachweisen können, dass sie sich bürokratisch fehlerlos und nach den Buchstaben des Gesetzes verhalten haben, dann ist irgendetwas faul im angeblich besten Deutschland aller Zeiten. 71 Tage – bis einem solchen Hinweis Taten folgen, das lässt mich fassungslos zurück.