Attendorn. In Attendorn könnten von 200 Bäumen über 60 Bäume gefällt werden. Am Ostwall droht ein Kahlschlag. Jetzt regt sich ein emotionaler Bürgerprotest.
Mehr als 60 Bäume entlang der Attendorner Wälle könnten schlimmstenfalls gefällt werden. Allein am Ostwall, zwischen Wasserstraße und Niederste Straße, könnten 31 Bäume verschwinden. Darunter auch 15 Bäume, die laut aktueller Vitalitätsbewertung als gesund gelten. Dieses Worst-Case-Szenario geht aus einer Sitzungsvorlage des Ausschusses für Planen, Bauen, Klima- und Umweltschutz hervor, die unter anderem die weitere Zeitplanung für das Innenstadtentwicklungskonzept (IEK) aufgreift. Demnach soll die Neugestaltung der vier Wälle – Nordwall, Westwall, Südwall, Ostwall – im kommenden Jahr ausgeschrieben und vergeben werden. Protest gibt es nun in Form eines Bürgerantrags. Die Forderung: Der Erhalt jedes Baumes soll in den Vordergrund zukünftiger Entscheidungen gestellt werden.
Widersprüchliche Anforderungen
Bereits in der Ausschusssitzung am 2. Mai wurde die Aufwertung der Wälle im Zuge des IEK kontrovers diskutiert. Das liegt mitunter daran, dass viele, zum Teil widersprüchliche Anforderungen an die Wälle gestellt werden: Sie sollen Wohnort und gleichzeitig Erschließungsstraße sein; sie sollen Parkmöglichkeiten bieten und gleichzeitig Lebensraum für Pflanzen und Tiere bieten; sie sollen Gas-, Telekom-, Strom- und Wasserleitungen enthalten und gleichzeitig das Stadtklima verbessern. Bürgermeister Christian Pospischil (SPD) hielt fest, dass es wünschenswert sei, jeden Baum darauf hin zu überprüfen, ob er erhalten bleiben könne. Doch schon Michael Koch, der damalige Leiter des Tiefbauamtes, gab zu Bedenken, dass für eine Einzelschätzung bei jedem Baum die Wurzeln freigelegt werden müssten. Und dies sei nicht für alle Bäume am Ostwall machbar.
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Für eben jene Einzelbetrachtung sprechen sich nun aber Andreas Ufer, Alexander Henze und Michael Frey in ihrem Bürgerantrag aus. Vor allem im Hinblick auf das Mikroklima. „In diesem Sommer wird wieder deutlich, dass die vorhandenen Bäume eine wichtige Funktion zur Kühlung unserer Stadt haben“, schreiben Ufer, Henze und Frey. Städte müssten sich verändern, dem Klimawandel anpassen – in erster Linie durch mehr Grünflächen, die über die Verdunstung zur Kühlung beitragen. „Bei der Umsetzung des IEK an den Wällen soll nun genau der umgekehrte Weg gegangen werden: in den vorhandenen alten Baumbestand, der Schatten spendet und Abgase filtert, soll in massivem Umfang eingegriffen werden“, kritisieren die Antragsteller. Die Entscheidung, im Extremfall von den rund 200 Bäumen an den Wällen gut 60 Bäume zu opfern, sei angesichts der ökologischen Bedeutung mit Blick auf den Klimawandel weder zeitgemäß noch zukunftsfähig.
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Im Vorfeld wurde das Büro der B.S.L. Landschaftsarchitekten aus Soest mit einer Machbarkeitsstudie zur Aufwertung der Wälle beauftragt. Die Planer skizzierten hierbei drei verschiedene Szenarien:
1. „Zero“: In dieser Handlungsvariante würden alle Bäume, die nicht auf privaten Grundstücken stehen, gefällt und nicht ersetzt. Dadurch würden die Unterhaltungskosten reduziert werden und sämtliche Leitungen könnten solange im Erdreich bleiben, bis sie erneuert werden müssten. Dieser Kahlschlag würde laut Einschätzung der Landschaftsarchitekten jedoch den Verlust der ökologischen Bedeutung und den Verlust als Aufenthaltsbereich bedeuten. Dementsprechend sei „Zero“ keine ernstzunehmende Option.
2. „Neu“: Dieses Szenario sieht vor, dass alle Bäume, die auf städtischen Grundstücken stehen, gefällt werden. Dafür werden Baumstandorte neu definiert und junge Bäume nachgepflanzt. Laut B.S.L. sollte dieses Szenario nur als favorisierte Option in Betracht gezogen werden, wenn in einem bestimmten Bereich besonders viele geschädigte Bäume stehen. Ansonsten könnten zu viele vitale Bäume zum Opfer fallen. Immerhin könnte eine umfängliche Neupflanzung das Stadtklima positiv beeinflussen.
3. „Weiterentwicklung“: Hier sollen alle Bestandsbäume und deren Standorte einzeln erfasst und bewertet werden. Dementsprechend gebe es auch eine individuelle Entscheidung über Erhalt, Fällung und Nachpflanzung. Die Landschaftsarchitekten favorisieren diese Herangehensweise in all jenen Bereichen, in denen in erster Linie gesunde Bäume stehen. Die positiven Auswirkungen auf die Stadtökologie überwögen trotz aller Kompromisse. Außerdem sei eine hohe öffentliche Akzeptanz der Maßnahmen zu erwarten.
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Nach der Ausschusssitzung im Mai wurde die Stadtverwaltung damit beauftragt, für den Nord-, Süd- und Westwall das Szenario „Weiterentwicklung“ zu verfolgen. Für den Ostwall soll anhand der Überprüfung einzelner Baumstandorte entschieden werden, ob bzw. in welchen Teilbereichen das Szenario „Neu“ oder das Szenario „Weiterentwicklung“ weiterverfolgt werden soll.
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Bei der Aufwertung der Wälle sei nicht nur die Begrünung entscheidend, argumentierte damals Tiefbauamtsleiter Koch. Auch die Erhöhung der Aufenthaltsqualität oder die Verbesserung der Beleuchtung müsse miteinbezogen werden. Der Zustand der Wälle sei aktuell nicht dringend verbesserungswürdig – aber eben im Rahmen des IEK zu 50 Prozent förderwürdig. Eine Aussage, die Andreas Ufer, Alexander Henze und Michael Frey nicht nachvollziehen können. Für sie haben bestehende Bäume Priorität vor der Fördermöglichkeit.