Hagen. Die Eifel kennt sich mit Katastrophen aus und kann anpacken. Jetzt müssen die Bewohner in Bad Münstereifel ihr Lebenswerk in die Tonne schippen
Die Patentante ist obdachlos. Mit 85 Jahren muss sie sich eine Notunterkunft suchen. Das Wasser hat ihr Bauernhaus unbewohnbar gemacht. Während die Toten noch nicht alle geborgen sind, bricht eine neue Flutwelle über die Eifel herein, ein Tsunami an Falschmeldungen, Fake News, welche die erschöpfte und traumatisierte Bevölkerung weiter verunsichern.
Mit Autos fahren Unbekannte am Wochenende durch die Dörfer im Kreis Euskirchen. Über Megaphon rufen sie in die Straßen, der Damm der Steinbruchtalsperre wäre gebrochen. Alle müssten sich in Sicherheit bringen. Panisch flüchten die Anwohner aus ihren Häusern. Ähnliche Szenen spielen sich im Kreis Ahrweiler und im Rhein-Erft-Kreis ab.
Eifel bedeutet Wasserland
Die Eifel ist ein altes Land. Die Kelten haben ihr den Namen gegeben. Übersetzt bedeutet Eifel Wasserland. Unzählige Quellen, Bäche, kleine Flüsse graben sich Täler zwischen den Höhenrücken. Nach den Kelten kommen die Römer. Allenthalben trifft man auf Tempelanlagen, Kalkbrennereien, Ruinen von Bergwerken und vor allem auf den Römerkanal. Das Eifelwasser schmeckt den Römern so gut, dass sie auch in Köln nicht darauf verzichten wollen. Bei Nettersheim beginnend, bauen sie eine der längsten Wasserleitungen des Imperiums, die bis heute als Meisterleistung der Ingenieurkunst gilt.
Die Eifel ist das fränkische Kernland, die Heimat von Kaiser Karl dem Großen. Im Kloster Prüm wird vor über 1000 Jahren der Grundstein gelegt für das, was heute Deutschland ist. Nirgendwo anders in Europa sind so viele Burgen und Schlösser zu finden wie im Kreis Euskirchen. Geographisch erstreckt sich die Eifel über zwei Staaten, Deutschland und Belgien (manche rechnen noch Luxemburg dazu), zwei Bundesländer, NRW und Rheinland-Pfalz, sowie zehn Landkreise. Die Grenze zu Rheinland-Pflanz verläuft im Zickzack entlang von Bad Münstereifeler Stadtgebiet.
Sprudelbrunnen und Vulkanseen
Die Eifel ist ein Ort der Naturwunder, der Sprudelbrunnen und der Vulkanseen. Und doch gilt das abgelegene Gebiet mit seinen Wäldern, Wacholderheiden und Hochmooren zwischen Euskirchen, Aachen und Trier über Jahrhunderte hinweg als eine der ärmsten und kältesten Gegenden des Deutschen Reiches. Die Böden geben nicht viel Ertrag. Die Höfe sind klein, da in der Eifel seit den Franken die Realteilung üblich ist: Alles, was da ist, wird im Erbfall durch alle geteilt, die da sind. Sogar die Nationalsozialisten schaffen es nicht, das Hoferbenprinzip durchzusetzen. Die winzigen Höfe ernähren keine Familien, daher betreiben die Frauen die Landwirtschaft alleine und die Männer gehen in den Bergbau oder in die Eisenhütten, nach Mechernich, Hagen oder ins Ruhrgebiet. Sie kommen nur am Wochenende oder seltener nach Hause. Mehrere Auswanderungswellen entvölkern den Landstrich noch mehr.
Die Tuchherstellung ist ein Gewerbe, das in der Eifel funktioniert. Dafür braucht man Wasser. Daher siedeln sich die Webereien und Färbereien in den engen Flusstälern an, in Adenau, Monschau und vor allem in Bad Münstereifel. Um 830 gründet der dritte Abt von Prüm dort ein Tochterkloster. Bis zur Flut gehört Bad Münstereifel zu den schönsten Altstädten der Welt, mit pittoresken Fachwerkhäusern, einer mittelalterlichen Stadtmauer und der Burg. Es ist eine freundliche kleine Stadt, der türkische Imbiss heißt hier „Jupp’s Döner“.
Aber aufgrund der Lage ist Bad Münstereifel häufig vom Hochwasser betroffen. Mehr als 22 Flutkatastrophen verzeichnet die Chronik zwischen 1393 und 1966. Ein steinernes Kreuz erinnert mit einer Inschrift an die verheerende Flut von 1416: „Im Jahre 1416, am 6. Juli, war hier zu Münster eine so große Einströmung der Gewässer, daß umkamen 1500 Menschen und ungefähr 3000 Stück Vieh, und es dehnte sich das Wasser bis zu dem hier stehenden Kreuz (Johannistreppe) aus.“
Der betrunkene Nachtwächter
Jedes Kind kennt die Legende von dem Nachtwächter, der betrunken einschläft und nicht die unteren Stadttore öffnet, so dass das Wasser nicht ablaufen kann. Äste und Unrat sowie Eisschollen verstopfen regelmäßig die Fallgatter an den Durchlässen der Erft in den Stadtmauern. Ein Hochwasserrückhaltebecken zwischen Eicherscheid und Schönau verhindert seit den 1960er Jahren Überflutungen. Es schafft einen Stauraum von rund 900.000 m³. Dieser soll laut Erftverband ausreichen, um das in 100 Jahren einmal zu erwartende Hochwasser aufzufangen. Soweit die Theorie.
Als Landfrau kennt die Patentante schwere Zeiten. Zusammen mit dem Onkel hat sie sich in harter Arbeit einen kleinen Wohlstand geschaffen. Das Waffeleisen, der Crepe-Bereiter, der schöne Kaffeeautomat. Alles weg. Tante und Onkel kommen in einer leerstehenden Wohnung im Nachbardorf unter, in der Fremde also. Das ist schon schlimm genug. Noch schlimmer ist die Angst, dass Plünderer das stehlen, was im Haus noch Wert hat.
Naturschützer der ersten Stunde
Die Tante und der Onkel sind als Landwirte Naturschützer der ersten Stunde, wie so viele Eifeler. Sie kennen alle Pflanzen und Tiere, sie wissen um die Bedeutung von natürlichen Mäandern für den Hochwasserschutz. Der Eschweilerbach, der hinter ihrem Hof fließt, ist nicht begradigt. Er schlängelt sich lieblich durch Wiesen und Auen. Allerdings erweist sich die Brücke im Dorf immer wieder als Ausgangspunkt von Überschwemmungen, wenn Gesträuch gegen die Mauern gespült wird. Zuletzt Ende 2007 muss Gilsdorf wegen Hochwasser evakuiert werden.
Der Eifler hat auf die harte Tour gelernt, sich auf sich selbst zu verlassen. Ehrenamt und Nachbarschaftshilfe besitzen einen hohen Stellenwert. Rund 3000 Freiwillige Feuerwehrleute engagieren sich im Kreis Euskirchen. Städter sind historisch nicht gut gelitten, zu viele Geschichten gibt es, wie sie versuchen, die vermeintlich rückständige Landbevölkerung übers Ohr zu hauen. Jetzt kommen die Städter als Katastrophentouristen. In sauberen Schuhen filmen sie, wie Eiflerinnen und Eifler am Ende ihrer Kräfte im Matsch Geröll schippen. Die Nerven liegen blank.
St. Nepomuk steht das Wasser bis zum Hals
In den vergangenen Jahrzehnten hat die Eifel einen Imagewandel erlebt. Aus „Preußisch Sibirien“ wird eine attraktive Urlaubsregion, die es trotz der vielen Grenzen schafft, sich einheitlich unter dem Logo Eifel zu vermarkten. In der Eifel erfindet Jacques Berndorf alias Michael Preute den Eifelkrimi, der einen Siegeszug durch die deutsche Literaturlandschaft antritt.
Wie lange wird es dauern, bis das Haus der Tante wieder bewohnt werden kann? Hat sie die Kraft, die Förderanträge zu stellen, den bürokratischen Parcours zu durchlaufen, der nun auf sie zu kommt? Die Aufregung wird zuviel für die alten Leute. Wer sterben sollte, muss allerdings auf seinen letzten Gang warten. Es gibt derzeit keine Infrastruktur für Beerdigungen.
Auf der Werkbrücke in Bad Münstereifel steht eine Statue des Heiligen Nepomuk, dem Nothelfer gegen Wassergefahren. Am Abend der Flut schießt ihm die Erft fast über den Kopf. Wenn nichts mehr hilft, hilft beten.