Olpe. Auf der Intensivstation im Martinus-Hospital Olpe werden seit Monaten Corona-Patienten behandelt. Bei den Pflegern hat das Spuren hinterlassen.
Das erste Mal Durchatmen. Nach 14 Monaten. Es bleibt mehr Zeit für Persönliches. Mehr zuversichtliche Worte, die Trost spenden. Mehr zärtliche Berührungen wie ein aufbauendes Streicheln über den Unterarm. Denn oft haben die Patienten, die hier liegen, Todesangst. Und oft haben die Ärzte und Pfleger schon mitansehen müssen, dass sie trotz aller Behandlungsmöglichkeiten den Tod nicht verhindern konnten.
„Bei der ersten Welle sind wir auf dem Zahnfleisch gegangen“, sagt Wolfgang Bethke (61), pflegerischer Leiter auf der Intensivstation im St.-Martinus-Hospital Olpe. Im Frühjahr 2020 wurde das Krankenhaus zum Covid-Zentrum in der Region, um Kräfte, Kapazitäten und Ressourcen zu bündeln. Eine organisatorische und medizinische Herausforderung. Vor allem aber eine menschliche.
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42 Intensivpflegekräfte arbeiten im Drei-Schicht-System rund um die Uhr auf Station 4C. Zwei von ihnen sind im Laufe der Pandemie an ihre psychischen Belastungsgrenzen gekommen, zwei weitere möchten in der Intensivpflege aufhören. Corona hat Spuren hinterlassen.
Jedes Schicksal ist einzigartig
Man habe viel aus der Krise gelernt, meint Pflegerin Loreen Theis. Der Zusammenhalt im Team wurde noch stärker, Abläufe haben sich eingespielt, die Behandlungsmöglichkeiten erweitert. Seit sieben Jahren arbeitet sie auf der Intensivstation, hat Tausende Patienten begleitet. Beim Gesundwerden, beim Sterben. Und obwohl sich so etwas wie Routine in dem Job eingestellt hat, ist jedes Schicksal einzigartig, das einen Menschen hierhin führt. „Vor eineinhalb Jahren ist einer meiner engsten Familienangehörigen auf der Intensivstation gelandet. Zu sehen, wie hilflos jemand in dieser Situation ist, wie groß die Angst bei demjenigen werden kann“ – sie stockt. Für sie war das nochmal ein Schlüsselerlebnis. Seitdem kann sie sich noch besser in die Lage ihrer Patienten hineinversetzen.
Vier Covid-Patienten liegen aktuell auf der Station. Darunter eine 73-jährige Frau. An der Glastür ihres Zimmers klebt ein Schild: Isolation. Daneben ist ein kleines Herz gemalt. „Wir haben schon gestern überlegt, ob wir sie intubieren sollen“, sagt Wolfgang Bethke und schaut sie durch die Glastür an. Ihre Atemfrequenz liegt bei 30 Atemzügen pro Minute, normal sind zwölf bis 16. Neun davon atmet sie selbstständig. Der Rest übernimmt die Total-Face-Maske, die sie seit einer Woche trägt.
Die Maske bedeckt das komplette Gesicht, im Mund-Nasen-Bereich ist eine Öffnung, an der ein Schlauch angeschlossen ist. Ihr wird kontinuierlich Sauerstoff verabreicht, der direkt in die Lunge gelangt. Die Maschine gibt den Atemrhythmus vor. Kontrollverlust. Angst.
Berührungen und Zuspruch sind wichtig
„Sie versucht sich hin und wieder die Maske vom Gesicht zu reißen, weil das Gefühl so unangenehm ist“, erzählt Bethke. Ihr wird per Venentropf etwas zur Beruhigung gegeben; die Medikation darf aber nicht zu hoch sein, sonst stellt sie die selbstständige Atmung ein.
Eine Pflegerin steht bei ihr am Bett und streichelt ihr über Kopf und Arm. Berührungen und Zuspruch sind wichtig. Auch gerade weil die fremde Umgebung und die Schutzausrüstung unweigerlich Distanz schaffen.
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Ein Zimmer weiter. Eine Covid-Patientin, auch 73 Jahre, in Bauchlage. Seit zwei Wochen wird sie künstlich beatmet. „Wir drehen die Patienten regelmäßig, damit alle Lungenbereiche, vorne wie hinten, gleichmäßig belüftet werden“, erklärt Bethke. Allein für diesen Kraftakt seien vier Pfleger nötig. Und nicht immer ist er erfolgsversprechend. Bethkes Stimme wird leiser. „Ihr geht’s nicht gut.“
Vor dem Zimmer eines 62-jährigen Patienten macht sich das Team um Dr. Matthias Danz bereit. Schutzkittel an, FFP3-Maske, OP-Haube und Schutzvisier aufsetzen, zwei Lagen Latex-Handschuhe. Der Covid-Patient wird bereits über einen Beatmungsschlauch durch den Mund mit Sauerstoff versorgt. Jetzt soll er tracheotomiert werden, einen Luftröhrenschnitt bekommen. „Das ist für den Patienten viel angenehmer, weil er dadurch wieder selbstständig essen und trinken kann und auch nicht mehr so eingeschränkt ist in seinen Bewegungen“, erklärt Loreen Theis, die bei dem Eingriff als Back-up eingeplant ist.
Kollabiert während der Tracheotomie
Alle für die Vorbereitung relevanten Punkte werden anhand einer Checkliste durchgegangen, jeder der Anwesenden hat jetzt einen ihm zugewiesenen Aufgabenbereich. Einer punktiert, einer hält den Tubus, einer weitet das kleine Loch schonend auf, um die Trachealkanüle in die Luftröhre einzuführen. Alles Routine. Bis plötzlich der Kreislauf derjenigen wegsackt, die den Tubus hält.
Loreen Theis springt sofort ein, greift nach dem Tubus, zwei andere Pflegerinnen kümmern sich um die Kollabierte am Boden. Es sind Szenen in Sekundenbruchteilen. „Alles mit der Ruhe, alles ist in Ordnung“, beruhigt Chefarzt Dr. Danz. Und tatsächlich: Trotz Ausnahmesituation verfällt niemand in Hektik. Nach ein paar Minuten sitzt die Kanüle fest. Ein erfolgreicher Eingriff.
„Ich kann mir nicht erklären, warum ich umgekippt bin“, entschuldigt sie sich im anschließenden Feedback-Gespräch. Sie ist Auszubildende im dritten Lehrjahr und war bereits bei vielen Einsätzen dabei. „Das passiert jedem irgendwann mal“, beschwichtigt Dr. Danz. Es sei abhängig von der Tagesform. Der Sauerstoffmangel unter der Schutzausrüstung tue sein Übriges. Wichtig sei nur, dass bei dem Eingriff keine Panik ausbreche, die den Eingriff gefährden könne. Und das war zu keinem Zeitpunkt der Fall.
Wenn der Patient wieder aus der Vollnarkose aufwacht, möchte Wolfgang Bethke dafür sorgen, dass er mit seiner Familie sprechen kann. Per Video-Telefonie übers Tablet. „Wenn man nach Wochen wieder zu sich kommt, ist man nicht selten verwirrt und orientierungslos. Da hilft es nicht, wenn man nur fremde Menschen mit Masken um sich herum sieht.“ Er und sein Team sind vorsichtig mit Prognosen geworden. Aber der Zustand dieses Corona-Patient könnte sich jetzt verbessern. Durchatmen.