Attendorn/Kreis Olpe. Attendorns Pfarrer Andreas Neuser spricht im Interview über das zweite Ostern mit Corona, die Missbrauchsskandale und die Zukunft der Kirche.

Schon zum zweiten Mal fallen die Osterfeierlichkeiten in Attendorn in großen Teilen aus – die Pandemie macht auch vor der Kirche nicht Halt. Im Interview spricht Pfarrer Andreas Neuser darüber, was er über die Osterfeiertage am meisten vermissen wird und wie die katholische Kirche aus der Krise kommen kann.

Die Karwoche liegt so gut wie hinter uns, das Osterfest steht bevor. Was bedeutet diese Zeit im Jahr für Sie persönlich?

Andreas Neuser: Ostern ist der Höhepunkt des Kirchenjahres. Und gerade das Triduum, also der Zeitraum von Gründonnerstag über Karfreitag bis Ostern, ist einfach so reich an liturgischen Texten, aber auch an dem, was im Glauben passiert, dass es wirklich tolle, erfüllende Tage sind. Das andere ist natürlich die Arbeit, die dazugehört. Die man natürlich auch gerne macht, weil die Botschaft dieser Tage wirklich eine frohe Botschaft ist.

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Das Osterbrauchtum ist nirgendwo so ausgeprägt wie in Attendorn. Wie traurig stimmt es Sie, dass vieles davon jetzt zum zweiten Mal ausfallen oder zumindest deutlich eingeschränkt werden muss?

Ich habe in den vergangenen zehn Jahren immer wieder neu und intensiver zu schätzen gelernt, was das Osterbrauchtum in Attendorn bedeutet. Attendorner kommen von überall her hierhin zurück, um diese Tage in der Stadt zu erleben. In den Osterfeuervereinen wird die gesamte Fastenzeit auf diese Tage hin gefiebert. Und aktuell merke ich eben, wie die Leute darüber trauern, dass vieles jetzt ein zweites Mal wegfällt. Alles, wo viele Menschen zusammenkommen und wo sie sonst immer ins Gespräch gekommen sind, geht nicht. Im letzten Jahr war es schlimm, weil man sich das gar nicht vorstellen konnte. In diesem Jahr scheint sich, wie bei anderen Dingen auch, eher eine resignative Stimmung auszubreiten.

Hygienekonzept mit Ordnungsamt abgestimmt

Anders als im vergangenen Jahr soll es dieses Mal aber wieder Präsenzgottesdienste über die Feiertage geben.

Das freut mich sehr. Wobei wir durch die Einschränkungen natürlich eine ganz andere Beteiligung haben werden. Und wir werden nicht singen können. Das empfinde ich als besonders hart. Wenn das Lied „Das Grab ist leer, der Held erwacht“ während der Osterprozessionen am Osterabend und anschließend bei der Osterandacht geschmettert wird, da stellen sich einem die Härchen auf. Das wird mir fehlen.

Die Regierung hatte nach der letzten Ministerpräsidentenkonferenz darum gebeten, komplett auf Präsenzgottesdienste zu verzichten. Warum kommen Sie dieser Bitte nicht nach?

Diese Bitte ist ja zurückgezogen worden. Ich komme dem aber auch nicht nach aus der Überzeugung, dass wir sehr verantwortungsvoll mit den aktuellen Vorschriften umgehen. Wir haben einen Ordnungsdienst, wir haben zugewiesene Plätze, wir haben ein Nachverfolgungssystem. Unser Hygienekonzept wird immer wieder mit dem Ordnungsamt abgestimmt. Also von daher glaube ich, dass wir

Gottesdienste feiern können.

Die Menschen müssen seit mehr als einem Jahr auf viele Veranstaltungen verzichten, die ihr Leben sonst bereichert hätten. Können Sie verstehen, wenn dann einige Kritik äußern, dass es für die Kirche eine Sonderbehandlung gibt?

Was ist möglich, was ist nicht möglich? Das ist ja genau die Frage, die wir uns momentan alle stellen. So wie wir die Gottesdienste organisieren, halte ich das schon für verantwortbar. Ich lade also dazu ein, weil ich persönlich dahinterstehe. Es ist aber niemand verpflichtet. Ich kann gut verstehen, wenn Leute sagen: Wir machen das nicht. Und ich verstehe auch die Kritik, dass Gottesdienste im Gegensatz zu vielem anderen möglich sind. Andererseits freue ich mich auch, dass wir sie feiern dürfen.

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Wie waren die Reaktionen, als nach dem ersten Lockdown im vergangenen Jahr wieder Gottesdienste unter den genannten Einschränkungen stattgefunden haben?

Es gab so ein vorsichtiges Herantasten. Mittlerweile nimmt ein Teil der Kirchenbesucher die Einschränkungen in Kauf. Wir haben zudem aber weiterhin auch ein Streaming-Angebot. Also Leute können die Gottesdienste in Attendorn – auch das Semmelsegnen, die Osterandacht – von Zuhause aus im Internet verfolgen.

Gemeindeleben besteht aus mehr als aus Gottesdiensten. Wird all das nach Corona so sein wie vorher? Oder fürchten Sie, dass da etwas dauerhaft weggebrochen ist?

Ich habe tatsächlich die Befürchtung, dass diese Zeit uns dauerhaft prägen wird. Wahrscheinlich hat sich der eine oder andere daran gewöhnt, nicht mehr zur Kirche zu kommen. Und sagt, es geht auch ohne. Ich glaube nicht, dass wir zu alten Zeiten zurückkehren werden. Und auch nicht zu alten Zahlen.

Gemeinden werden in der Pandemie kreativ

Gibt es denn eine Veränderung, zu der Sie wegen der Pandemie gezwungen wurden, von der Sie jetzt aber sagen würden: Es ist sogar besser als vorher?

Der Live-Stream und die digitalen Möglichkeiten gehören auf jeden Fall dazu. Und ich finde es total interessant, wie viele Gemeinden selbstständig eigene, neue Angebote gestaltet haben unter den gegebenen Voraussetzungen: Kreuzwege im Freien, Open-Air-Gottesdienste, Segenstüten zum Abholen, CDs mit Texten und Liedern für das Seniorenzentrum. Es gab und gibt viele Initiativen, wo Menschen mit Fantasie die Gemeinschaft des Glaubens gerade auch zur Zeit weitertragen. Das Sternsingen war ein super Beispiel. Und das Ergebnis liegt nicht weit unter dem normaler Jahre.

Vor einem Jahr hat kaum jemand geahnt, dass Corona unser aller Leben so lange bestimmen würde. Kann der Glaube über die zunehmende Resignation hinweg helfen?

Ob er darüber hinweghelfen kann, weiß ich nicht. Er ist ja keine Wunderpille. Und er deckt auch die Realität nicht zu. Aber er kann uns schon, das ist meine Überzeugung, Kraft schenken. Dass wir Situationen, die bedrängend sind oder mit denen wir zunächst nicht zurechtkommen, auch meistern. Und der Glaube kann den Impuls geben, sich für andere einzusetzen, für sie zu beten, sie weiterhin im Blick zu behalten.

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Auf die Probe gestellt wird der Glaube oder zumindest die Verbundenheit zur katholischen Kirche durch den Umgang mit den Missbrauchsskandalen. Spüren Sie die Unzufriedenheit auch hier im Kreis Olpe?

Die Kirche ist eine Institution, die für Werte steht oder stand. Umso größer ist bei vielen die Enttäuschung und der Glaubwürdigkeitsverlust. Und das spüren wir natürlich sehr deutlich. Die Zahl der Kirchenaustritte ist hoch, sehr hoch zurzeit. Aber auch Leute, die das kirchliche Leben mittragen, distanzieren sich.

Hat das Verhalten von Kardinal Woelki – viele hatten ja den Eindruck, dass da eher etwas verschleiert als aufgeklärt werden sollte – Vertrauen verspielt?

Ja, auf jeden Fall. Alleine, dass der Eindruck entstand, dass nicht alles oder auch nur nicht rechtzeitig aufgeklärt werden soll, hat Schaden verursacht. Am Ende sind ja einzelne Amtsträger zurückgetreten. Aber der Weg war ein zu langer. Es geht nämlich auch um Transparenz, die Glaubwürdigkeit schafft. Es geht darum, dass man der Kirche – also dem Herrn Woelki, aber auch dem Herrn Neuser – das abnimmt, was er sagt und wofür er stehen sollte. Die katholische Kirche stand für einen hohen moralischen Anspruch. Und gerade in dem Punkt hat Kirche katastrophal versagt. Das macht den Glaubwürdigkeitsverlust aus.

Kirchengeschichte macht Mut für die Zukunft

Für viel Unverständnis hat auch die Entscheidung der Glaubenskongregation gesorgt, dass katholische Priester keine homosexuellen Paare segnen dürfen. Passt das in die Zeit, in der wir leben?

Ich bin positiv überrascht über die Reaktion der deutschen Bischöfe, wo ganz deutlich ist – und das ist auch meine Meinung –, dass mit dem Schreiben aus Rom die Diskussion nicht beendet ist. Ich glaube, dass wir Menschen und ihre Wege, die sie verbindlich gemeinsam gehen, natürlich wertschätzen sollten. Dass sie unter Gottes Segen stehen, das ist für mich klar – das hat die Kirche im Grunde überhaupt nicht zu entscheiden.

Mitglieder der Initiative „Maria 2.0“ haben als Zeichen des Protests in Rehringhausen eine Regenbogenflagge an der Kirche gehisst. Können Sie sich so etwas auch am Sauerländer Dom vorstellen?

Ich weiß nicht, ob so ein Zeichen nötig ist. Grundsätzlich würde ich das von meiner Seite aus nicht tun. Wenn sich hier aber jetzt der Pfarrgemeinderat entscheidet, dass wir dieses Zeichen brauchen, werde ich dem nicht im Wege stehen. Mein Zugang ist da aber nicht der demonstrative, sondern eher der seelsorgliche.

Wir haben jetzt viel über Krisen, Sorgen und Probleme gesprochen. Was stimmt Sie zuversichtlich, dass Kirche, wenn die Pandemie irgendwann überstanden ist, weiter lebendig sein kann?

Im Grunde ein Blick in die Kirchengeschichte. Es gab da immer wieder Katastrophen. Aber die Botschaft unseres Glaubens wurde trotzdem zu jeder Zeit weitergegeben und löste so eine große Faszination aus, dass ich mir sicher bin, dass sie auch kommende Generationen erreichen wird. Wir werden einen Rückgang kirchlichen Lebens erleben, wie wir ihn uns jetzt wahrscheinlich noch gar nicht vorstellen können. Das wird schmerzhaft sein. Aber welche Methode wir haben und ob wir digital unterwegs sind oder nicht, ist nicht entscheidend. Im Grunde sind wir jetzt beim Anfang unseres Gesprächs über das Osterfest. Das hat mit Sterben und Auferstehen zu tun. Wenn ich am Grab stehe, sehe ich zunächst mal nur den Tod. Ich bin aber fest überzeugt von der Wirklichkeit Gottes und der Botschaft der Auferstehung. Kirche wird ganz anders sein. Aber es wird neue Formen geben.