Herdecke/Potsdam. Der Schauspieler und Dortmunder Tatort-Kommissar hat in „Der Lärm des Lebens“ seine Heimatstadt Herdecke in Szene gesetzt. Dort liest er bald.
Dass Jörg Hartmann zur obersten Liga deutscher Schauspieler gehört, lässt sich nicht bestreiten. Das zeigen auch die Mechanismen, die nach der Veröffentlichung seines ersten Buches eintraten – also viele Termine und Fernsehauftritte. In „Der Lärm des Lebens“ thematisiert der 54-Jährige auf unterhaltsame wie auch nachdenkliche Weise seinen Werdegang und vor allem seine Heimatstadt Herdecke. Und für einen prominenten Darsteller, der vor allem wegen seiner Rolle als Dortmunder TV-Tatort-Kommissar Faber oft in der Öffentlichkeit steht, gehört sich quasi eine ausgedehnte Lesereise quer durch die Republik. Am 9. Juni tritt der Sohn des bekannten TSG-Handball-Funktionärs Hubert „Hubsi“ Hartmann (1936-2018) hier im Zweibrücker Hof auf. Darüber und manches mehr hat der mit seiner Familie in Potsdam lebende Autor mit der Lokalredaktion gesprochen.
Im März erschien das Buch „Der Lärm des Lebens“, seither läuft die dazugehörige Lesetour durch ganz Deutschland. Wie anstrengend ist das?
Jörg Hartmann: Nach dem Erscheinen des Buches stand eine intensive Phase an, auch im April folgten viele Termine. Jetzt geht es gerade etwas ruhiger zu, so dass ich mich auf ein Theaterstück und den demnächst anstehenden Dreh für den Dortmunder Tatort vorbereiten kann. In der Tat ist Langeweile ein Fremdwort für mich. Es ist aber alles okay, ich mache das ja auch gerne. Wobei ich schon darauf achte, Familie und Beruf in Einklang zu bringen.
Im Kalender befinden sich Lesungs-Termine bis 2025 hinein, am 9. Juni folgt der ausverkaufte Auftritt in der Heimatstadt Herdecke. Nervös? Und warum gibt es keine zweite Veranstaltung?
Das wird auf jeden Fall etwas Besonderes. Hier kennen natürlich viele meine Eltern oder mich. Es soll bei einem Auftritt bleiben, ich will den Leuten eine Überdosis Hartmann ersparen. Außerdem will ich ja mein Programm nicht abspulen, bei einer zweiten Lesung würde etwas verloren gehen.
Christian Münch vom Heimat- und Verkehrsverein moderiert am Abend der Europawahl die Lesung im Zweibrücker Hof, es gibt auch Musik vom früheren FHS-Lehrer „Siggi“ Hiltmann. Welche Passagen aus dem Buch bekommen die Gäste zu hören?
Bisher habe ich vier verschiedene Textstellen vorgetragen und variiert, die funktionieren als Mischung ziemlich gut. Ich will mich ja auch selbst nicht langweilen und immer das Gleiche vorlesen. Ein Abend hängt natürlich auch von der Moderation ab. In Herdecke präsentiere ich sicher Stellen mit lokalen Bezügen. Hoffentlich trete ich dabei aber niemandem auf den Schlips, davor habe ich schon Respekt. Das könnte heikel werden, wobei ich hoffe oder davon ausgehe, dass die Leute mir wohlgesonnen sind und wir einen schönen, unterhaltsamen Abend erleben.
Herdecke ist ein Haupt-Thema in dem Buch, hat sich durch die Lesungen und Reaktionen der Zuschauer der Blick auf die Heimat nochmal verändert?
Ich habe schon beim Schreiben gemerkt, wie mich meine Heimatstadt geprägt hat. Obwohl ich weggezogen bin, hat mich dieses heimatliche Gefühl nie verlassen, ich will das auch nicht los werden. Der Lokalpatriotismus schlägt bei mir durch, ich erzähle gerne, wie schön es in Herdecke ist, vielleicht kann ich damit auch den Tourismus ankurbeln (lacht). Das Buch hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, ich wollte romanhaft erzählen und keine Autobiografie schreiben. Das wäre furchtbar eitel. Ich habe auch vieles weggelassen, Stichwort „kill your darlings“. Mir ging es um Aufbruch und Abschied, mein Weg zur Berliner Schaubühne lässt sich auf andere Menschen übertragen. Dem steht der Tod meines Vaters gegenüber, ein wesentlicher Anlass für das Schreiben des Buches.
Obwohl die engsten Familienmitglieder ohne Klarnamen im Buch erscheinen, liegt ja doch ein persönliches Werk vor. Wie erfolgte die Abwägung, beispielsweise beim Thema Mukoviszidose der ältesten Tochter?
Persönliches wollte ich nur in homöopathischen Dosen preisgeben und nicht ausschlachten. Meine Tochter habe ich natürlich gefragt, ob ich das so veröffentlichen kann. Da es ihr im Umgang mit dieser Krankheit gut geht, können wir anderen vielleicht sogar Mut machen. Meiner Mutter und Schwester habe ich das Buch vorab zum Lesen gegeben, auch aus den Reihen der Cousinen und Cousins hat sich bisher keiner negativ geäußert. Ich wollte auch über die Sprache und Dialoge etwas vorlegen, das auch auf andere übertragbar sein könnte. In anderen Büchern irritiert mich oft, wenn der Name des Autors im Text auftaucht. Ich will nicht alle Türen öffnen und Privates oder gar Intimes darstellen. Das ist mitunter aber eine Gratwanderung, dazu braucht es Feingefühl.
Schon beim Schreiben des Drehbuchs zur Dortmunder Tatortfolge „Du bleibst hier“ war klar, dass der Schauspieler Hartmann auch Talent als Autor hat. Sind weitere literarische Werke geplant?
Der Wunsch und Wille sind da, ich habe Blut geleckt. Ich interessiere mich momentan aber eher für Prosa als für das dramatische Schreiben. Wobei ja jeder etwas zu erzählen hat, es kommt halt auf die Art und Weise an, dazu muss auch keineswegs ein verrückter Lebensweg gehören. Eine klassische Fortsetzung von „Der Lärm des Lebens“ ist nicht geplant. Ich betrachte meine Familiengeschichte als eine Art Steinbruch, wo sich etwas abbauen lässt. Eventuell schreibe ich demnächst etwas Fiktives.
Viele in Herdecke kennen und erinnern sich an Vater „Hubsi“ Hartmann, durch eine Lesung in Menden gab es nun aber Informationen zu seiner gehörlosen Mutter, richtig?
Ja, ein rühriger Hobby-Archivar hat einiges hinsichtlich meiner Großmutter herausgefunden, der Stammbaum ihrer Familie lässt sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Sie hatte 13 Geschwister, ihre Mutter ist früh verstorben, der Rest ist Phantasie. Vielleicht erfahre ich demnächst noch mehr über die Hartmann-Linie, womöglich wissen da Herdeckerinnen und Herdecker noch mehr. Ich beschäftige mich jedenfalls weiter mit meinen Wurzeln.
Gab es schöne Momente auf der Lesereise? Wer im Internet stöbert, entdeckt zudem nirgends Kritik oder gar einen Verriss des Buches…
Es gab einige schöne Momente. In Leipzig habe ich jemanden getroffen, mit dem ich in Herdecke Abi gemacht habe. Auch in Münster traf ich einen alten Schulfreund. Ein anderes Mal lief mir ein guter Freund meines Vaters über den Weg: Der frühere TSG-Handballer Klaus Köhler kennt mich von klein auf, das sind allesamt besondere Begegnungen. Ein Germanist aus Köln hatte Tränen in den Augen, als er über mein Buch sprach und sich bedankte. Die Reaktionen des Publikums sind teilweise überwältigend, das liegt vielleicht auch ein wenig an meiner Tatort-Figur Faber, dadurch haben die Leute eine Verbindung zu mir. Wobei ich diese Rolle im Buch fast gar nicht erwähne. Ich betrachte es insgesamt als Privileg, solch eine Aufmerksamkeit zu bekommen und habe teilweise ein schlechtes Gewissen. Denn andere Autoren müssen „richtig rödeln“, um wahrgenommen zu werden.
So klingt also das Leben eines Promis…
Ich bin in der Herdecker Vestestraße aufgewachsen, das hat mich geprägt. Ich sehe mich nicht in Mallorca-Zusammenhängen oder ähnliches. Wenn ich aber mit der Familie durch die Straßen gehe, werde ich schon mal angesprochen. Meistens nett, manchmal reagiere ich aber auch bestimmt abweisend, wenn es zu sehr ins Private geht. Das alles hat seine zwei Seiten: Einerseits ist natürlich der Drang als Schauspieler da, wahrgenommen zu werden und `rauszugehen, andererseits steckt in mir immer noch der einst schüchterne Junge.
Abschließend: Wo befindet sich in Herdecke die im Buch genannte Asthma-Treppe?
Zwischen der Zeppelin- und Mellinghausstraße. Als meine Eltern vorübergehend einen Imbiss an der Zeppelinstraße am Heinrich-Heine-Platz geführt haben, bin ich aus der Innenstadt oft über diesen steilen Weg dort hingegangen. Meine Mutter hat sie Asthma-Treppe genannt.