Wetter. Für die Grünen war die Aufarbeitung der NS-Zeit in Wetter bisher „rudimentär“. Ein Prüfauftrag, zu vergeben an die Archivarin, soll das ändern.
Was haben Lothar Gau, Sven Hedin, Max Gruhl, die Familie Blank und Wolfgang Reuter gemeinsam? Alle fünf stehen auf Straßenschildern in Wetter. Und zu allen Fünfen möchten die Grünen in Wetter jetzt wissen, ob sie das Nazi-Regime unterstützt haben. Die Stadtarchivarin soll die Prüfung übernehmen.
Nur sehr „rudimentär“ sie bisher die Aufarbeitung der NS-Zeit in Wetter gewesen, so die Fraktionsvorsitzende Karen Haltaufderheide-Uebelgünn. Dabei ist erst vor gut zwei Jahren deutlich geworden, dass es Handlungsdruck geben könnte. Anlässlich einer Ausstellung auf dem Gelände der ESV über Zwangssterilisationen hatte sich der Herdecker Geschichtslehrer Willi Creutzenberg „erstaunt“ gezeigt, dass in Wetter „die Namen eines leitenden Arztes und eines verantwortlichen Vorstands von damals immer noch auf einem Staßenschild stehen oder ein Haus danach benannt ist.“
ESV will NS-Zeit in den Blick nehmen
Gemeint waren Lothar Gau, nach dem die zentrale Straße auf dem Gelände der Evangelischen Stiftung benannt ist, an der auch die Orthopädische Klinik liegt, und Hans Vietor. Letzterer ist Namenspatron eines Pflegeheimes für jüngere Behinderte in Volmarstein. Zu Lothar Gau gibt es in der Festschrift zum 100. Geburtstag der ESV „sehr positive Äußerungen zur Ausmerzung schwerer Missbildungen.“ Sie zeigten den Chefarzt der damaligen Krüppelanstalten als Befürworter von Zwangssterilisierung und der sogenannten „Euthanasie“, heißt es bei der Stadt Wetter auf Nachfrage.
Lothar Gau aber zu einem der führenden Rassenhygieniker der NS-Zeit stilisieren zu wollen, sei weit übertrieben, so die städtische Pressestelle weiter. Bei der ESV heißt es, grundsätzlich stelle sie sich „schwierigen historischen Themen.“ Im Stiftungsarchiv seien zahlreiche Dokumente aus den Jahren 1933 bis 1945 aufbewahrt, darunter Jahresberichte der Verantwortlichen oder Fotos von Veranstaltungen mit Hakenkreuzfahnen. Allerdings seien diese Quellen bislang nicht unabhängig wissenschaftlich ausgewertet worden. Die neue Chef-Theologin der ESV, Tabea Esch, hat im Gespräch mit der Redaktion erklärt, bei Amtsträgern in der NS-Zeit näher hin sehen zu wollen.
Grüne fühlen sich bei Aufarbeitung bisher „ausgebremst“
Bisher fühlen sich die Grünen in Wetter bei Versuchen, die Nazi-Jahre aufzuarbeiten, immer wieder ausgebremst. Mit dem Prüfantrag für die Fachausschusssitzung nächsten Dienstag haben sie nun einen neuerlichen Versuch unternommen, diesen Teil der Vergangenheit zu erforschen - auch mit Blick auf Rechtsradikalismus heute. Konkrete Fragen haben sie zu Lothar Gau, Max Hermann Gruhl, Sven Hedin und der Familie Blank.
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Die Industriellenfamilie Blank habe mehr als anderthalb Jahrhunderte lang das Wirtschaftsleben in Wetter mitgeprägt, heißt es bei den Grünen. Ihre Frage: Welche Rolle spielte die Familie bei der Beschäftigung von Zwangsarbeitern? Max Hermann Gruhl war Aufsichtsratsvorsitzender und Vorstandsvorsitzender eines Stahlwerks in Wengern. In der NS-Zeit wurden hier Panzerkuppeln und Flugzeug-Zellen produziert. Die Frage der Grünen: Gibt es Belege, dass Gruhl über die Waffenproduktion hinaus den Nationalsozialismus unterstützt hat?
Sven Hedin sei ein berühmter Asienforscher, Ethnologe und Verfasser populärer Jugendbücher gewesen. Später habe er sich als Bewunderer von Adolf Hitler hervorgetan. Frage der Grünen: Gibt es weitere Erkenntnisse zur Rolle Hedins im Nationalsozialismus?
Schließlich Wolfgang Andreas Reuter, nach dem die Straße hoch zum Harkortberg benannt ist: Reuter war Gründer und Generaldirektor der Demag. Laut einer Chronik des Unternehmens nahm er im Februar 1933 an einem Geheimtreffen der Wirtschaft mit dem neuen Reichskanzler Adolf Hitler teil. Die Fragen der Grünen: Welche Rolle spielte Reuter in Industriellenverbänden? Und wie steht es um die Aufarbeitung des Zwangsarbeiterlagers der Demag?