Herdecke. Farbfox ist eine digitale Plattform fürs Malerhandwerk. In der Start-up-Firma, bei Dörken in Herdecke entstanden, gelten besondere Arbeitsregeln.
In der heutigen Zeit ziehen in der Berufswelt immer mehr Anglizismen ein. Eines der wichtigsten Stichworte: Work-Life-Balance. Wer eine Stelle sucht oder annimmt, achtet auf ein ausgewogenes Verhältnis von Arbeitsbelastung und genügend Raum für Privatleben sowie Freizeit. Das tun auch die Verantwortlichen von Farbfox. Den Namen noch nie gehört? Macht nichts, denn dieses Start-up-Unternehmen existiert erst seit Ende 2020 und entstand durch enge Verbindungen zur Herdecker Traditionsfirma Dörken.
Schlau wie ein Fuchs wollen sie sein, die Chefs von Farbfox. Dabei handelt es sich um eine digitale Plattform für das Malerhandwerk. Auf der Internetseite des kleinen Betriebs lassen sich Produkte verschiedener Hersteller vergleichen und Verfügbarkeiten beim regionalen Großhandel einsehen. Somit entsteht ein digitales Branchennetzwerk (neudeutsch Community), über das Hersteller, Händler sowie Handwerker näher zusammenrücken und sich untereinander vernetzen können.
„Amazon für das Malerhandwerk“ hat Gründer Marvin Urban sein Projekt mal genannt. Der 35-Jährige will Handwerk und Handel auf digitalem Weg miteinander vernetzen. Wobei die Rahmenbedingungen von Farbfox fast noch spannender sind: Denn im Alltag will der Geschäftsführer den Mitarbeitenden so viel Freiraum wie möglich lassen. „Die Entwicklung von Menschen empowern“, nennt das Dörken-Eigengewächs diesen Ansatz und meint damit: individuelle Stärken fördern, autonom und weitgehend selbstbestimmt agieren. „Corona hat in der Arbeitswelt einiges durcheinander gebracht, Flexibilität ist heutzutage sehr wichtig. Wir haben für unser Team Regeln aufgestellt, in denen sich dann Freiheit entfalten kann.“
Arbeiten und Privatleben
Neun Mitarbeitende gehören zu Farbfox. Sarah Sommer ist seit April 2021 für Kundenbeziehungen (Costumer Relations) verantwortlich. Die 33-Jährige umschreibt das Miteinander so: „Verpflichtend ist, natürlich nicht in Urlaubszeiten, jeden Morgen um 9 Uhr die Teilnahme an unserer Video-Konferenz. In dieser Viertelstunde – es kann auch mal kürzer oder etwas länger dauern – besprechen wir das Wichtigste.“ Hinzu komme einmal im Monat eine Zusammenkunft, um größere oder strategische Fragen zu erörtern.
Interessant: Der tägliche Arbeitsalltag kann dabei (in den vom Team vereinbarten Rahmenbedingungen) größtenteils frei gestaltet werden. Fokus und Konzentration seien genau so wichtig wie die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben. Eine kleine Runde Tischtennis, aufs Pferd oder Fahrrad schwingen – dies und ähnliches soll zwischen den Terminen möglich sein. Die zwei Verantwortlichen betrachten aber ihren beruflichen Alltag als gemeinsamen Lernprozess mit dem Team, entsprechend wichtig sind Werte wie Vertrauen. Sommer: „Klare Strukturen und Arbeitsergebnisse müssen dazu stets in Balance stehen.“
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Das A und O im Alltag der Farbfox GmbH & Co. KG: Kommunikation, Transparenz und Verbindlichkeit. „Wir vereinbaren, dass ein Ergebnis zu einem verabredeten Zeitpunkt vorliegen sollte“, sagt die Mutter einer kleinen Tochter und weiß die eigenständige Arbeitseinteilung zu schätzen. Das Start-Up-Unternehmen wolle Angestellten ermöglichen, auch nach rechts und links zu gucken. „Als Unternehmen ist es unsere Aufgabe, für jeden Anreize zu schaffen und neue Impulse zu setzen, ein Out-of-the Box-Denken zu fördern. Es braucht gelebte Strukturen, damit alle mit ihren unterschiedlichen Lebenswelten ihre Freiheiten bekommen“, meint die Dortmunderin. Ein Vertrauensvorschuss sei aber besser als ein starres Korsett, ein fokussiertes Vorgehen funktioniere besser als häufige Unterbrechungen durch mehrfache Besprechungen.
„Sich über Arbeitszeit zu definieren, das ist aus meiner Sicht ein aussterbendes Modell“, meint Marvin Urban. „Wir wollen Aufgaben teilen und nicht Funktionen, es geht um Inhalte. Es ist doch nichts dagegen zu sagen, wenn jemand etwas in drei statt sieben Stunden schafft. Wir verabreden uns zu so genannten Sprints und verteilen die entsprechenden Aufgaben, meist dann über einen Zeitraum von zwei oder drei Wochen.“
Der studierte Wirtschaftswissenschaftler aus Witten, der 2009 mit einer dualen Ausbildung bei Dörken begann, hält den Leistungsgedanken hoch, berichtet aber auch gerne von dem „digitalen Feierabendbier“: Dieses habe die Truppe vor einigen Monaten eingeführt, um bei Gesprächen über Star-Wars-Sammelfiguren oder Netflix-Serien den Teamgeist und die Unternehmenskultur zu fördern. Einen Freifahrtschein soll es aber nicht geben. „Auch bei uns kommt manches knallhart auf den Tisch. Wir wollen aber im Team definieren, wie wir zusammen arbeiten wollen“, sagt der ehemalige Angestellte von Dörken Coatings. Und das funktioniere so gut, dass das Duo zwischenzeitlich noch XPIM (aus Farbfox heraus) gegründet hat. Diese GmbH sieht sich als Brücke zwischen Hersteller, Handel und Handwerk. So stehen Produktstammdaten jederzeit aktuell und aufbereitet für die gesamte Branche zur Verfügung. Mit beiden Firmen wollen die Geschäftsleute die recht konservative Branche in die digitale Zukunft führen. Urban: „Das Faxgerät ist unser Endgegner.“
Mal kitzeln, mal bremsen
Natürlich sei es ein Vorteil, diese individuelle Arbeitskultur in einer vergleichsweise kleinen Einheit entwickeln zu können. Bei großen Unternehmen wie Dörken („Unser Geburtshelfer und Hauptgesellschafter, an den wir künftig inhaltlich noch näher heran rücken wollen“) greifen andere Vorgaben. Für Farbfox gelte: „Manche muss man in Sachen Arbeitseifer bremsen, andere kitzeln. Das halten wir individuell innerhalb unserer Struktur und Ordnung. Wobei sich die Belegschaft mehrheitlich für eine Erfassung der Arbeitszeit ausgesprochen hat, damit kein Chaos entsteht“, meint Marvin Urban.
Der Geschäftsführer blicke als Führungsverantwortlicher eher von der Seite und nicht von oben herab auf die erfreulichen Entwicklungen des Start-up-Unternehmens. Und bei Bewerbungsgesprächen gehe es teilweise nur am Rande um Job-Inhalte. Wichtiger als die Vita oder detaillierte Qualifikationen sei, ob die Chemie stimme. „Fähigkeiten lassen sich ja auch entwickeln, wobei wir nicht auf Friede, Freude, Eierkuchen aus sind“, sagt Sarah Sommer und ergänzt, dass das Gehalt nicht die einzige beziehungsweise wichtigste Währung in der Arbeitswelt sei. Der 35-Jährige nickt und betont: „Wir wollen auch Reibung und Diskussion, es muss halt passen.“
Übrigens: Im Wohnzimmer von Marvin Urban hängen ein Bild von Apple-Gründer Steve Jobs und ein Zitat von Tesla-Chef Elon Musk.