Herdecke/Hagen. Landschaftsarchitekten haben untersucht, ob eine Zip-Line vom Koepchenwerk Herdecke zum künftigen Seepark machbar ist. Eine spannende Studie.
Ein klares Ja, ein deutliches Yes zur Zip-Line: Als die Lokalredaktion am 8. Dezember 2022 die ersten Pläne zu einer Seilrutsche über dem Hengsteysee veröffentlichte, applaudierten viele online in den sozialen Netzwerken. Die Reaktionen reichten von „Boah wie cool“ über „Das wäre doch mal was“ bis hin zu „Freu mich drauf“, zugleich tauchten auch Bedenken wegen der Umsetzung und Hürden auf („super zu hören, aber kennst ja die deutschen Gesetze“). Nun liegt für Herdecke und Hagen eine 20-seitige Machbarkeitsstudie vor, über die demnächst politische Gremien beraten. Hier die wichtigsten Erkenntnisse aus der Analyse von den Bremer Landschaftsarchitekten Schramm plus Partner.
Zentrale Botschaft: Die Stadtverwaltungen in Herdecke und Hagen schlagen den Fraktionen vor, die Ansätze dieses „einzigartigen Projektes“ zu vertiefen und ein konkretes Realisierungsszenario auszuarbeiten. Die Umsetzung der Idee mit dem Titel „Panorama-Zip-Line Hengsteysee“ erscheint nach der fertiggestellten Standortuntersuchung sinnvoll, da sowohl räumlich als auch technisch passende Gegebenheiten vorliegen. Gleichwohl warten noch Fragen zum Planungsrecht, Natur- und Denkmalschutz oder zur Genehmigung und Logistik auf Antworten, diese Themen stufen die Beteiligten aber als „handhabbar“ ein.
Touristische XXL-Aufwertung
Es geht auch euphorischer: Für die Internationale Gartenausstellung (IGA) 2027 sehen die Beteiligten die Chance auf eine „einzigartige Attraktion in der gesamten Metropolregion Ruhr“, mit der sich die Hengsteysee-Gegend touristisch neu beleben lasse. Und das an einem Standort, der sich damit nachhaltig und zukunftsorientiert stärken lasse. Das vergleichsweise einfache Prinzip: Der „Seilflug“ soll in Herdecke oben am Koepchenwerk-Denkmal auf der Höhe der drei RWE-Buchstaben starten, über das Wasser führen und am Hagener Ufer im künftigen Seepark enden. „Spektakulär und einzigartig“ sei dieses maximal 780 Meter lange und bis zu 80 km/h schnelle Erlebnis, mit dem sich 130 Höhenmeter überwinden lassen und wirtschaftliche Synergien für beide Städte einhergehen. Kurz: Diese Anlage könne sich als „touristischer Netzwerkknoten“ entpuppen.
Erkenntnis der Studie im Auftrag der Stadt Hagen: Die Örtlichkeiten eignen sich für eine Zip-Line, als Ergebnis liegen nun Aussagen zu Trassenführungen und drei verschiedenen Betriebsvarianten vor. Nach ersten Gesprächen mit dem Ruhrverband, RWE und der Stiftung Industriedenkmalpflege habe sich aber gezeigt, dass noch diverse Vorarbeiten anstehen. Vor allem in Herdecke. Auch Netzbetreiber Amprion soll seinen Segen geben. Der Vorteil in diesem Zusammenhang: Durch den seinerzeit umstrittenen Neubau einer 380-KV-Höchstspannungstrasse entfallen am Hengsteysee drei bestehende Leitungen im unmittelbaren Umfeld des Koepchenwerks, Wagemutige könnten durch diesen dann freien Luftraum über dem Gewässer schweben.
Eine große Hürde stelle laut Studie noch der Natur- und Tierschutz dar. Wegen geschützter Arten am Hengsteysee bedarf es noch einer fachlichen Einschätzung, welche Auswirkungen eine Zip-Line auf Flora und Fauna habe. Auch der laufende Betrieb des RWE-Pumpspeicherkraftwerks gerät ins Blickfeld, also Fragen zu Rettungswegen oder Sicherheit im Allgemeinen. Neben der Komplexität dieser logistischen Aspekte betonen die Landschaftsarchitekten auch, dass am Ende ein privater Investor diese Angebotsplanung umsetze und finanziere, das betreffe sowohl den Bau der Anlage als auch den Betrieb.
Die umweltrechtlichen Belange für die Realisierung eine Zip-Line-Anlage stellen sich deutlich komplexer dar, durch diverse Höchstspannungstrassen im Bereich des Hengsteysees bestehe aber bereits eine Vorbelastung des Gebietes mit drei vorhandenen schutzwürdigen Biotopen. Somit sei ein gewisses Gefährdungspotenzial für Vögel gegeben. Das Augenmerk richte sich dabei in erster Linie zur Uferzone in Hagen, dort lauern laut Studie „mittlere Hürde“ bezüglich Realisierung. „Für die Beurteilung einer Betroffenheit planungsrelevanter Arten gilt es insbesondere, die Störwirkung durch Geräuschentwicklung und visuelle Beunruhigungen zu untersuchen“, auch hinsichtlich der Jahreszeiten (weniger Zip-Line-Betrieb im Winter). In Herdecke wiederum dürfte die Bauleitplanung mehr Aufwand erfordern.
Fünf Trassenverläufe analysiert
Durch die Verbindung Seepark, Seebad, Koepchenwerk und Naherholungsoptionen zum Wandern oder Radfahren könne laut Studie am Hengsteysee aber Herausragendes entstehen, wobei bereits ein Zip-Line-Flug an sich eine „außergewöhnliche Attraktion“ sei. Doch bis zur Luftshow-Premiere wartet noch viel Arbeit auf die Beteiligten und die Ungewissheit, ob sich die Seilrutsche bis zur Gartenausstellung 2027 realisieren lässt
Fünf Trassen haben die Fachleute untersucht, alle würden sich auf die Vogelwelt auswirken. In einer Ampelgrafik erfolgte eine erste Bewertung der Optionen bezüglich der Kriterien Natur- und Denkmalschutz, Betriebsgelände sowie touristische Anbindung (Ruhrhöhenweg und Ruhrtalradweg. Drei Varianten gehen vom Start am Schieberhaus des Koepchenwerks aus und würden an der Stelle rückzubauender Stromleitungen nach Hengstey führen. Die anderen beiden Verläufe sorgen für „deutlich höhere Konflikte“ mit geschützten Arten. Daher scheiden sie quasi aus.
Favorit der Fachleute ist Trassenoption 3 und eine recht direkte Verbindung, da dabei der Werks- und Denkmalschutz das geringste Problem darstellen, kaum technisch Anlagen überflogen werden und auch der Startturm nicht so nah am Schieberhaus stehe. Auch Vögel würden vergleichsweise wenig gestört. Insgesamt sehen die Experten aber weiteren Klärungsbedarf, auch RWE und Westnetz haben sich dazu noch nicht geäußert. Gleiches gelte für die Bezirksregierung.
Shuttle-Service als verlässlicher Transport zum Startpunkt
hne biologische Maßnahmen koste der Bau einer Zip-Line-Anlage am Hengsteysee laut Studie zwischen 1 und 1,5 Millionen Euro. Die Landschaftsarchitekten Schramm und Partner haben drei Betriebs-Varianten rund um die Seilrutsche untersucht, um ungefähr 60 Flüge pro Stunde und rund 90 Sekunden Schwebezeit zu ermöglichen. Wichtigstes Kriterium: Wegebeziehungen und Logistik.
Variante A beinhaltet eine Solarfähre als See-Verbindung und die Reaktivierung des Schrägaufzugs am Koepchenwerk-Hang, die Realisierung dieser alten RWE-Standseilbahn ist noch unklar. Sollte der Transport der Wagemutigen entlang der alten Druckrohrleitungen hinauf zum Zip-Line-Start gelingen, ergebe sich eine Art „Kreislauf“ einschließlich Ziel Seepark.
Thema im Ausschuss
In Herdecke befassen sich die Ausschüsse für Wirtschaftsförderung und Tourismus sowie für Umwelt, Klima und Sicherheit, Ausschuss für Bauen, Planen und Verkehr am Donnerstag, 2. Februar, mit der Machbarkeitsstudie zur Zip-Line. In der gemeinsamen und öffentlichen Sitzung beraten die Fraktionen ab 17 Uhr im Ratssaal.
Im Rat fällt am 2. März die Entscheidung, ob die Stadt Herdecke gemeinsam mit Hagens Verwaltung ein konkretes Realisierungsszenario ausarbeiten soll. Auch bei den Nachbarn stehen nun politische Beratungen an.
Das Büro Schramm + Partner hat die Studie erstellt, die Zip-Line Hochkant GmbH in Gestratz-Brugg hat beraten.
Um unabhängig von technischen Problemen des Schrägaufzugs und der Schiffsverbindungen weiter Seilrutschen anbieten zu können, schlagen die Landschaftsarchitekten einen zusätzlichen Shuttleservice vor. Bei dieser Variante B bringt ein Kleinbus die Besuchergruppen zum Start. „Hierbei gilt es zu prüfen, inwieweit sich die bestehende Infrastruktur dafür eignet und welche Wege oder Straßen sich dafür am besten eignen.“ Auf der denkbaren 12,5 Kilometer langen Runde könnten Gäste an verschiedenen Haltepunkten und Parkplätzen zusteigen.
Variante C klingt außergewöhnlich, spektakulär: Ein so genannter „Skyglider“ könnte pro Tour bis zu vier Personen vom Seepark Hagen bis zum Start in Herdecke hochziehen. Der obere Turm fungiere dann als Umlenkpunkt, der anschließende Talflug erfolgt am gleichen Seil. Die Investitionskosten dafür liegen mit bis zu 3,5 Millionen deutlich höher als bei einer klassischen Zip-Line-Anlage, Eingriffe auf dem RWE-Areal fallen aber viel geringer aus, Transportfragen wären auch gelöst. Es bliebe aber nur bei einem recht kurzen Flugerlebnis ohne Anschluss und Gesamterlebnis, das Koepchenwerk verkomme zu einer Kulisse ohne inhaltliche Anbindung.
Touristische Anknüpfungen
Bezogen auf die Synergieeffekte für die interkommunale Kooperation geben die Studien-Verfasser der Variante Schrägaufzug/Shuttle die besten Noten, da so auch touristische Anknüpfungen entstehen. Ein Schiff und eine Standseilbahn alleine seien wegen betrieblicher Hindernisse aber nicht die beste Lösung. „Die Haupterschließung des Starts muss immer über anderweitige verkehrliche Alternativen möglich sein.“ Die Aktivierung des Schrägseilaufzuges stelle sich organisatorisch und hinsichtlich der Genehmigung als „hohe Hürde“ dar, die Variante Shuttle sei weniger problematisch.
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Die Kombination Zip-Line, Fähre und Standseilbahn sehen die Studien-Verfasser als umfänglichsten Ansatz. So lasse sich die Flugshow um zwei Attraktionen ergänzen, auch das alte Pumpspeicherkraftwerk und der Seepark erhalten eine Aufmerksamkeit. Die Mischung aus Freizeitattraktion, Landschaftserfahrung und Industriekultur sei ein touristisches Alleinstellungsmerkmal mit überregional wirksamer Strahlkraft.
Um den Seilrutschen-Start stets erreichen zu können, erscheint ein zusätzlicher Shuttle „unabdingbar“. Der Kleinbus-Verkehr könne auch zeitlich helfen, wenn sich vielleicht erst später die „große Lösung“ mit dem Schrägseilaufzug-Betrieb ergebe. Bereits die Heranführung der Fluggäste in die unmittelbare Nähe des Schieberhauses mit den RWE-Lettern könne als Attraktion entwickelt werden. Insgesamt erzeuge diese Variante auch mit Blick auf genehmigungsrechtliche Fragen „deutlich weniger Komplexität“, damit ließe sich in ganz anderen Realisierungszeiträumen denken. Grundsätzlich bestehe auch die Option Shuttle und Solarfähre als Themenkomplex zusammenzudenken.