Herdecke. Ratsentscheid zum Aus für die Technischen Betriebe: In Herdecke soll es mit einer Partner-Firma eine gemischtwirtschaftliche Gesellschaft geben.

Es ist schon eine Weile her, dass strukturelle Fragen rund um die Technischen Betriebe Herdecke (TBH) in der öffentlichen Debatte auftauchten. Ging es vor Jahren noch um eine mögliche Veräußerung des Kanalnetzes, kritisierten manche Lokalpolitiker kürzlich – wie berichtet – die Verzögerungen bei den Jahresabschlüssen. Doch all das verblasst gegenüber einer Entscheidung, die die Ratsmitglieder kürzlich in einer nichtöffentlichen Sitzung fällten: Die TBH könnten in nächster Zeit eine gemischtwirtschaftliche Gesellschaft werden.

In geheimer Abstimmung befürwortete eine Mehrheit, dass die Stadtverwaltung nun die Gründung eines solchen Misch-Unternehmens (öffentliche Hand und privatwirtschaftlich orientierte Gesellschafter) zeitnah ausschreiben soll. „In dem europaweiten Ausschreibungsverfahren kann rein theoretisch jede interessierte Firma aus der entsprechenden Branche in Betracht kommen“, sagt Dennis Osberg. Der 1. Beigeordnete und Kämmerer gehört seit September 2022 übergangsweise zur TBH-Leitung.

Viele offene Fragen

Auf Anfrage der Lokalredaktion erläutert er zudem, dass die Kommune bereits vor dem jüngsten Ratsentscheid den Auftrag erhalten hatte, mit externer Unterstützung dieses „ausgesprochen komplexe Thema“ vorzubereiten. Denn dazu zählen beispielsweise viele rechtliche Fragen zu Themen wie Steuern, Vergabe oder Arbeitsverträge. In diesem Zusammenhang habe es durch bereitgestellte Haushaltsmittel bereits so genannte Markterkundungsgespräche mit potenziellen Partnern gegeben, worüber die städtische Verwaltung die Politik im Herbst 2022 hinter verschlossenen Türen informierte. Offenbar haben Unternehmen – darunter wohl auch renommierte Gesellschaften – zumindest ein unverbindliches Interesse geäußert, so dass das Vorhaben nun in die finale Etappe gehen kann.

Umwandlungen auch in anderen Städten

Für den aktuellen Haushalt hat die Stadt Herdecke „eine fortdauernde Inanspruchnahme des TBH-Eigenkapitals“ beschlossen, von dort fließen 250.000 Euro wieder in den Etat. 2019 lag der Überschuss laut genehmigtem Jahresabschluss bei 960.000 Euro (Umsatzerlöse 10,6 Millionen).


Ein Blick in die Nachbarschaft: Der Stadtbetrieb Wetter ist seit 2001 eine Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR). Eine solche sind auch die Technischen Betriebe Schwelm, wo seit dem 1. Januar 2023 eine Rückführung des Dienstleistungsbereichs und Friedhofswesens auf die Stadt erfolgt ist. In Ennepetal wiederum endete die zehnjährige Geschichte der Stadtbetriebe und des Infrastrukturbetriebs bereits am 31. Dezember 2020, beide Einrichtungen sind seither wieder Teil der Stadtverwaltung.

Herdecker Lokalpolitiker haben sich vor einiger Zeit auch das Modell in Lünen angeschaut, dort gibt es bereits eine den Angaben zufolge erfolgreiche Öffentlich-Private Partnerschaft.
An der dortigen Wirtschaftsbetriebe GmbH hält die Stadt 51 und das Unternehmen Remondis 49 Prozent.

Im Klartext: In den nächsten elf bis 14 Monaten, so die zeitliche Einschätzung, wird es Klarheit darüber geben, wie die Organisationsform der TBH künftig sein wird. Aktuell existieren sie als eigenbetriebsähnliche Einrichtung in Herdecke, die nach einem damaligen Ratsbeschluss seit Januar 1996 nach den Vorschriften der Eigenbetriebsverordnung für das Land Nordrhein-Westfalen und der Betriebssatzung geführt werden. Nach einer möglichen Umwandlung hätte die Stadt bald nicht mehr das alleinige Sagen, in der gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft spricht dann eine Partner-Firma ein gewichtiges Wort mit. Sowohl der künftige Name wie auch die zu wählende Rechtsform (etwa eine GmbH) sind offen, sagt Osberg. Sicher sei, dass nach einer erfolgreichen Ausschreibung eine finanziell und rechtlich eigenständige Institution entstehe.

Somit könnte frühestens im Verlauf des Jahres 2024 eine andere Einrichtung für die Straßenreinigung, Müllabfuhr, Friedhofssatzungen und vieles mehr in Herdecke zuständig sein. „Die Veräußerung des Kanalnetzes, die vor einiger Zeit mal überlegt wurde, ist zurückgestellt und spielt in den nächsten Monaten keine Rolle“, erklärt der städtische Beigeordnete. Als Kämmerer kümmert sich Osberg federführend um das TBH-Verfahren und nennt noch „sensible Daten von Unternehmen aus Markterkundungsgesprächen“, weshalb die Verwaltung und Politik das Prozedere in nichtöffentlichen Sitzungen besprachen.

Aus städtischer Sicht wiederum komme es in den nächsten Wochen nicht nur darauf an, eine alles umfassende Bestandsaufnahme der Technischen Betriebe zu erstellen, sondern vor allem die umfangreichen Ausschreibungsunterlagen zu erarbeiten. „Dabei gilt es vor allem, auch an die Mitarbeiterschaft zu denken“, betont Osberg. Zwei Beamte stehen bei den TBH im Dienst, die weiteren fast 70 Angestellten bekommen Entgelt auf der Basis des Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst (TVöD).

Nach derzeitigem Stand plant die Kommune, das TBH-Kollegium weiter als Beschäftigte der Stadt zu behalten und bei gleich bleibenden Aufgaben lediglich die Arbeitskraft in die gemischtwirtschaftliche Firma zu überführen. „Das wollen wir vertraglich festlegen. Grundvoraussetzung dafür ist, dass die Stadt Mehrheitseigner in der neuen Gesellschaft sein wird. Und auch das Satzungsrecht bleibt in jedem Fall bei der Kommune“, so Osberg. Die Verantwortlichen im Rathaus wissen gleichwohl, dass offene Fragen rund um die Mitarbeitenden zu den sensibelsten Themen gehören. Daher soll noch im Januar eine Personalversammlung stattfinden.

Profitabler Betrieb

Die Entscheidung aber steht, dass für die gesunden TBH bald die letzte Stunde schlagen könnte. Für 2023 weist deren Wirtschaftsplan einen Gewinn von fast einer Million aus, zuletzt waren es laut Prognose 758.000 und im Jahr 2021 noch 966.000 Euro.

Warum also die gravierenden Änderungen, über die auch andere Städte nachdenken? Antwort: Synergien und finanzielle Vorteile. Mit einer neuen Gesellschaft lassen sich womöglich effektiver noch bessere Ergebnisse erzielen, wodurch auch Bürgerinnen und Bürgern Gebührenerhöhungen – so wie sie in Herdecke kürzlich beschlossen wurden – erspart bleiben könnten. Entsprechend wichtig sind die auszuverhandelnden Vertragsinhalte. „Wir müssen nun intensiv an den Ausschreibungsinhalten arbeiten, um hier möglichst große Chancen zu haben, Verbesserungen zum Status-Quo zu erzielen“, so Osberg abschließend.

Die Sicht der Politik

Im Juli 2013 hatte der Rat die Verwaltung beauftragt, eine Rückführung der Technischen Betriebe in die Stadt einzuleiten. Im Januar 2019 beschloss die Politik, dass die städtische Verwaltung die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit Dritten prüfen soll.

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In der jüngsten Ratssitzung im Dezember 2022 bescheinigte CDU-Fraktionschef Patrick Wicker in seiner Haushaltsrede den TBH eine „gute Arbeit“. Die beschlossene „Gebührenerhöhung war überfällig“, bei manchen Themen bestehe „dringender Handlungsbedarf. Als Ehrenamtler haben wir vielleicht zu spät hingeguckt.“ Nun stehe eine Zeitenwende an, die Weichen müssten über eine gemischtwirtschaftliche Gesellschaft neu gestellt und vieles verbessert werden. Auf Nachfrage der Redaktion teilte Wicker im Namen von Grünen und FDP mit, dass die Verwaltung einen klaren Arbeitsauftrag zur TBH-Entwicklung erhalten habe. Um dem nicht vorzugreifen, „möchten wir zur Zeit von einer öffentlichen Kommentierung durch die Koalitionsparteien absehen.“

Laut Klaus Klostermann stuft die SPD den Antrag zur TBH-Zukunft als „abenteuerlich und teure Fehlentscheidung“ ein. Er hoffe, dass in der Koalition „die Einsicht obsiegen wird. Ihre Ignoranz schlägt dem Fass den Boden aus.