Herdecke. Zwei Seniorenheimleiter schilderten die Corona-Ausbrüche in ihren Einrichtungen aus interner Sicht auf Einladung des Fachausschusses.

Der Ausschuss für Soziales, Demografie und Gesundheit wollte sich ein Bild davon machen, wie ein Corona-Ausbruch in einer Senioreneinrichtung aus interner Sicht abläuft und hatte deswegen Vertreter von zwei Herdecker Convivo-Einrichtungen eingeladen. In der Sitzung am Mittwochabend in der Aula der Friedrich-Harkort-Schule berichteten Anna Golda, Leiterin des Seniorenhauses Kirchende, und David Siery, Leiter der Parkanlage Nacken, eindrucksvoll von ihrem „Krieg gegen das Unsichtbare“. Dafür und für den Einsatz all ihrer Kollegen in der Pandemie bedankten sich am Ende etliche Ausschussmitglieder mit großem Nachdruck.

Bis zum Wochenende gezittert

„Im Herbst 2020 waren vermehrt Häuser in der Umgebung befallen. Da wir einen Demenzbereich mit kognitiv eingeschränkten Senioren haben, dachten wir immer nur: bitte nicht dort. Aber am 5. Oktober hat es dann einen Mitarbeiter erwischt“, begann Anna Goldau ihre Schilderung. In enger Kooperation mit dem EN-Kreis seien Kontakte rückverfolgt worden, „aber da waren alle schon ziemlich befallen“. Von jetzt auf gleich wurden Entscheidungen gefordert, wie man verfahren sollte, dabei seien sich sogar die Gesundheitsämter nicht mal ganz einig gewesen. „Personal wurde schlagartig abgezogen. Immer mittwochs wurde dann getestet, und wir haben bis zum Wochenende gezittert, wie viele wieder betroffen sein würden. Die Zahl stieg von Woche zu Woche. Wir haben die Einrichtung dann für Besucher geschlossen; denn die Testungen waren ja noch nicht so weit, so dass die Möglichkeit bestand, dass sie den Fein reintragen.“

Personal wurde immer knapper

Anna Goldau erklärte, dass im Demenzbereich Hygienemaßnahmen nicht umgesetzt werden können: „Die Senioren lassen sich keinen Mundschutz aufsetzen. Und wenn doch, reißen sie ihn eine Minute später wieder ab. Eine Isolierung funktioniert dort auch nicht. Die Menschen verlassen die Zimmer und suchen Kontakt, auch Körperkontakt. Sie suchen Geborgenheit, und unsere Mitarbeiter haben sie auch in den Arm genommen.“ Von Woche zu Woche sei das Personal knapper geworden, etliche Mitarbeiter seien in Hausquarantäne gewesen, sprich: sie durften für die Dauer des Ausbruchs nur zur Arbeit und nach Hause. Deutschlandweit habe sie herumtelefoniert, um Mitarbeiter zu bekommen, so Anna Goldau. „An einem Tag kamen vier und stellten sich vor, aber als sie hörten, was los ist, sind sie gleich wieder gegangen“, so die Einrichtungsleiterin, der die Betroffenheit auch nach vielen Monaten immer noch anzumerken war.

Dramatische Wochen und Monate

Ähnlich unbemerkt wie im Seniorenhaus Kirchende sei der Ausbruch auch in seiner Einrichtung geschehen, so David Siery, Leiter der Parkanlage Nacken: „Leute ohne Symptome waren positiv. Das hat uns höchst dramatische Wochen und Monate beschert. Und die Testungen waren eine starke Belastung. Wir saßen wie Kaninchen vor der Schlange. Immer mehr Bewohner waren positiv und immer mehr Mitarbeiter in Quarantäne, trotz Einhaltung aller Maßnahmen und Schulungen. Wir hatten keine Chance. Wir haben alles gegeben, aber es hat am Ende nicht gereicht.“ Ihm sei es wichtig, so Siery, den Fokus auf die Mitarbeiter zu legen: „Sie haben Wahnsinniges geleistet; es war beeindruckend. Eine Station meiner Einrichtung war komplett betroffen, dort waren nur noch wenige Stammmitarbeiter vor Ort. Und die haben wirklich einen tollen Job gemacht.“

Politik der Convivo-Holding

„Ich kenne das“, meldet sich Silvia Stahlberg (Grüne) zu Wort. Sie sei selbst als Krankenschwester am Gemeinschaftskrankenhaus tätig und wisse von so vielen Menschen, von denen man sich habe verabschieden müssen: „Was da passiert ist, konnte keiner verhindern.“ Ingolf Tebbert (Linke) hingegen wollte den Blick auf die Convivo-Holding, deren Übernahme-Politik und eine zunehmende Verschlechterung der Pflege lenken und meinte, angesichts von zahlreichen Toten hätte ein Vertreter der Geschäftsführung Rede und Antwort stehen müssen. Ausschuss-Vorsitzende Gundula Conjaerts (SPD) verwies darauf, dass nun aber die Einrichtungsleiter vor Ort seien und es nicht angehe, sie an den Pranger zu stellen. Eine letzte Frage von Ingolf Tebbert, ob denn die vom Qualitätsmanagement vorgegebenen Maßnahmen eingehalten worden seien, beantwortete Anna Goldau so: „Nein; denn wir mussten auf Anordnung des Gesundheitsamtes handeln.“

Frage nach den Lehren

Irmingard Schewe-Gerigk (Grüne) dankte den Einrichtungsleitern („Sie haben Unglaubliches geleistet“) und wollte wissen, wie viele Personen – Bewohner und Personal – geimpft seien, ob schon Drittimpfungen anstünden und fragte: „Was machen Sie jetzt anders, als vor der Pandemie? Welche Lehren haben Sie gezogen?“ Anna Goldau antwortete, dass die Impfquoten sehr hoch seien und es für die Drittimpfung die Empfehlung gebe, das über die Hausärzte der Senioren zu veranlassen. Zu den möglichen Lehren meinte sie: „Wir sind noch immer in der Corona-Schutzverordnung, die sich laufend verändert und an die wir uns immer anpassen, auch was die Besucher angeht.“ Sie erinnerte daran, dass es noch keine Schnelltests gab, als Corona ausbrach. „Heute würden wir keine Besucher mehr reinlassen, die sich nicht testen lassen wollen und auch keine ohne FFP-2-Maske. Da mache ich dann auch von meinem Hausrecht Gebrauch“, versicherte Anna Goldau. Und: „Wir haben auch versucht, negativ Getestete von positiven zu trennen, am Ende waren 43 von 45 positiv. Es aufzuhalten, wenn es einmal rollt, ist unmöglich.“ Aufrichtig dankten zum Schluss auch Oliver Tiefmann (CDU) und Klaus Kaiser (SPD) den Einrichtungsleitern.

Gedenkstunde

Im Spätherbst nahm Corona in Herdecker Heimen vielen Senioren das Leben. Insgesamt 39 Menschen aus Herdecke sind bislang an oder in Verbindung mit Corona gestorben.

Ende Juni hatte Bürgermeisterin Katja Strauss-Köster hat zu einer kleinen Gedenkstunde an der Kapelle des Friedhofs Zeppelinstraße eingeladen, wo Pfleger aus den Heimen, Politiker und Bürger gemeinsam der Corona-Opfer gedachten.

Für sie ist ein Gedenkstein gleich neben der im April gepflanzten Gedenk-Eiche errichtet worden.