Herdecke/Wetter. Weil es in Wetter keine eigene jüdische Gemeinde gab, wurde nicht nur Moritz Kadden aus Wetter in Herdecke an der Zeppelinstraße begraben.

Wer den historischen Friedhof der Stadt Herdecke durch das unterste Törchen an der Zeppelinstraße betritt, gelangt direkt in den Bereich der jüdischen Gräber und jener Gräber der russischen Kriegsgefangenen. Seit in den 1880er Jahren der alte jüdische Friedhof in der heutigen Bahnhofstraße komplett belegt war, hatten jüdische Familien sich hier ihre Erbgruften gekauft.

Einer der 16 jüdischen Grabsteine fällt Besuchern sofort ins Auge: der Stein für Moritz Kadden. Unter zwei segnenden Händen steht ein längerer hebräischer Text. Ganz unten, im Sockel des eigentlichen Steins, finden sich Namen und Lebensdaten von Moritz Kadden in lateinischer Schrift. Demnach ist er am 28. März 1861 geboren und am 4. Februar 1893 im Alter von 31 Jahren gestorben ist. Der hebräische Text lautet übersetzt:

Neben dem bürgerlich-amtlichen Namen haben gläubige Juden immer auch einen sogenannten Synagogennamen, mit dem sie in der Synagoge zum Vorlesen aus der Thora, dem wichtigsten Teil der hebräischen Bibel, aufgerufen werden. Auch Moritz Kadden hatte einen solchen Synagogennamen. Er ist Teil des hebräischen Textes auf dem Grabstein: „Meir Bar Aharon Hacohen“, was übersetzt „Meir, Sohn von Aaron aus dem Priestergeschlecht“ bedeutet.

Sowohl sein jüdischer Name als auch das Motiv der segnenden Priesterhände oben auf dem Grabstein verweisen auf die Abstammung des Moritz Kadden aus dem aaronitischen Priestergeschlecht der Kohanim. Die Kohanim waren im Jerusalemer Tempel für die Darbringung der Opfer zuständig und sprachen den Segen über das Volk.

Juden aus Wetter in Herdecke geführt

Die hebräische Inschrift nennt nicht das Geburtsdatum, sondern nur das Todesdatum, das allerdings nach dem jüdischen Kalender. Dabei benutzt man auf Grabsteinen die sogenannte kleine Zählung, dabei lässt man die Angabe der Tausender weg. Moritz Kadden starb demnach im Jahre 5657 nach der Erschaffung der Welt, in „kleiner Zählung“ taucht dafür die Zahl 657 in der hebräischen Inschrift des Grabsteins auf.

In Wetter gab es erst seit dem frühen 19. Jahrhundert Einwohner jüdischen Glaubens. Während in Herdecke im 19. Jahrhundert zeitweise mehr als zehn Familien lebten, die sich zum Judentum bekannten, waren es in Wetter nur ein oder zwei Familien. Sie gehörten traditionell – ebenso wie die Volmarsteiner und Wengeraner Juden – zur jüdischen Gemeinde in Herdecke, bis diese 1877 in der Hagener Gemeinde aufging. Da es in Wetter keinen jüdischen Friedhof gab, wurden diese Juden auch in Herdecke beerdigt.

Der Grabstein von Moritz Kadden aus Wetter auf dem Herdecker Friedhof an der Zeppelinstraße.
Der Grabstein von Moritz Kadden aus Wetter auf dem Herdecker Friedhof an der Zeppelinstraße. © Willi Creutzenberg

Nachforschungen über Kadden blieben in Herdecke erfolglos, nicht aber in Wetter. Seine Eltern Aaron Kadden (Katten) und Emma geborene Silberberg lebten in Wohra im Kreis Kirchhain, nordöstlich von Marburg. Moritz hatte zahlreiche Geschwister und Halbgeschwister, seine Mutter war die dritte Ehefrau des Vaters. Moritz selbst verließ in jungen Jahren Wohra, heiratete Bertha Rose und betrieb mit ihr ein Geschäft in der Kaiserstraße in Wetter. Sein Briefkopf gibt genaue Auskunft über die Art des Ladens: „M. Kadden Manufactur- u. Confections-Geschäft Schuwaaren en gros en détail“. Das Ehepaar bekam zwei Söhne: 1888 wurde Alfred geboren, 1890 Kurt. Noch im Kindesalter verloren sie den Vater. Beide Söhne dienten später als Soldaten im Ersten Weltkrieg. Im Juli 1915 erlag Kurt einer schweren Verwundung.

Alfred war als Vizefeldwebel und „Führer des Suchkommandos“ (Geheimdienst) in Belgien eingesetzt. Wegen dieser Tätigkeit wurde er in Abwesenheit nach dem Krieg in Belgien zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, das schränkte seine Reisefreiheit stark ein. 1920 wurde er, gerade frisch verheiratet mit Frieda geborene Roos aus Chemnitz und zuletzt in Belgien wohnend, in Holland (Hochzeitsreise?) auf Ersuchen der belgischen Regierung festgenommen, letztlich aber nicht ausgeliefert. Nach der Heirat lebte das Paar in Elberfeld, dort betrieb Alfred eine Korbwarenfabrik. Sie bekamen zwei Kinder: 1921 Tochter Lore und 1923 Sohn Kurt.

In der Zeit des Nationalsozialismus konnte die Familie mit viel Glück Deutschland rechtzeitig verlassen: 1938 gingen die Kaddens nach Holland, ein Jahr später in die USA. Der Familie wurde Ende 1939 die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt, anschließend ihr noch in Deutschland befindliches Vermögen eingezogen. Tochter Lore, die ein Studium an der Kunst-Akademie in Düsseldorf begonnen hatte, studierte in den USA am Black Mountain College. Dieses 1933 gegründete College war eine der wichtigsten Schulen für die Kunst des 20. Jahrhunderts. Als Sammelbecken von aus Nazi-Deutschland geflüchteten Bauhaus-Koryphäen wurde es Teil der Bauhaus-Tradition. Lore Kadden studierte dort Kunst und Textildesign, auch bei dem Künstlerehepaar Josef und Anni Albers. Sie starb als erfolgreiche Künstlerin am 8. Oktober 2010 in Princeton/USA im Alter von 89 Jahren. Ihr Bruder Kurt war schon 1997 verstorben. Heute leben in den USA noch Peter Lindenfeld, Ehemann von Lore Kadden, und Enkel sowie Urenkel von Alfred und Frieda Kadden.

Geschäft in Wetter lief weiter

Das Geschäft von Moritz Kadden, der so früh nach schwerem Leiden gestorben war, führte jahrzehntelang seine Witwe weiter. Sie überlebte ihren Mann genau 40 Jahre und starb im Februar 1933 im Alter von 68 Jahren. Beerdigt wurde sie neben ihrem Ehemann in Herdecke. Zur Beerdigung wurden die Trauergäste aus Wetter mit einem extra bereit gestellten Straßenbahnwagen nach Herdecke gebracht. Einen Grabstein erhielt sie – vermutlich wegen der massiven antisemitischen Aktionen im Frühjahr 1933 – nicht.

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