Herdecke. Gustav Ravenschlag stirbt mit nur 50 Jahren. Seine Witwe wird Wegbereiterin der Nachkriegsdemokratie in Herdecke.
Grabsteine stehen nicht nur auf Friedhöfen. Bei einem Spaziergang durch Herdecke finden sich auch an anderen Stellen alte Grabsteine. So stehen am Haus Nr. 13 in der Kampstraße mehrere alte Grabsteine. Der schönste ist in der südlichen Giebelwand des Hauses eingebaut. Es handelt sich hier um Relikte des aufgelösten Friedhofes um die alte Stiftskirche.
Grabsteine in privaten Gärten
Als 1821 dieser Friedhof endgültig geschlossen wurde, sind offensichtlich zahlreiche Grabsteine einer anderen Nutzung zugeführt worden. Heute finden sich einige davon in privaten Gärten wieder. Um die Stiftskirche herum finden sich ebenfalls alte Grabsteine. Die ältesten, besonders großen und beeindruckenden Steine sind an der östlichen Kirchenwand aufgestellt.
Die Eheleute Ravenschlag
Etwas entfernt, am Fuß des Turmes finden sich Steine aus der Zeit des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Sie standen ursprünglich auf dem Friedhof Zeppelinstraße/Wienberg. Es handelt sich ausschließlich um Steine von verstorbenen evangelischen Pastören und ihren Ehefrauen. Beispielhaft soll hier der Stein der Eheleute Ravenschlag vorgestellt werden.
Grab verlegt
Gustav Ravenschlag wurde am 21. 2. 1871 in Schwelm als Sohn der Eheleute Gustav Ravenschlag und Emma geb. Geitz geboren. Seine Eltern hatten an der Schwelmer lutherischen Kirche die Küsterstelle inne und ließen ihren begabten Sohn das Gymnasium in Barmen besuchen. Nach dem Abitur im Jahre 1890 begann er ein Studium der evangelischen Theologie. Er beendete das Studium 1895 mit dem Examen vor dem Konsistorium in Münster. Danach arbeitete er in seiner Heimatstadt als Lehrer.
Im Jahre 1898 begann er die praktische Ausbildung als evangelischer Geistlicher. Nach Vikarstationen in Jöllenbeck, Volmarstein und Paderborn wurde er Ende 1899 ordiniert und anschließend von der evangelischen Gemeinde Herdecke auf die 2. Pfarrstelle gewählt.
Hochzeit 1903
Mit 32 Jahren heiratete Gustav Ravenschlag im August 1903 die 14 Jahre jüngere Emilie Clemens, Tochter eines Bauern aus Amelunxen in Ostwestfalen. Vermutlich hatte er sie in seiner Vikarzeit in Jöllenbeck kennengelernt. In den folgenden Jahren zeigte sich das Paar äußerst reisefreudig. Regelmäßig begaben sie sich im Sommerurlaub auf Fernreise. Der Höhe- und Schlusspunkt ihrer Reiselust fand im Sommer 1913 statt. Anlässlich des 10-jährigen Hochzeitstages begab sich das Paar auf eine große USA-Reise, über die Gustav Ravenschlag ein Buch unter dem Titel „Bei Uncle Sam auf Besuch“ veröffentlichte. Die Amerika-Reise war die letzte große Reise der Eheleute.
Kriegskurs unterstützt
Im folgenden Sommer begann der Erste Weltkrieg, der diese Art des Reisens erst einmal beendete. Auf den Pastor kamen jetzt andere Aufgaben zu. Wie seine Haltung zum Krieg war, lässt sich anhand einer gedruckt überlieferten Predigt aus den letzten Kriegswochen erkennen. Gleich am Anfang seiner Predigt, die unter dem Titel ‚Mehr Demut‘ stand, macht er seine Position klar: „Wir durchleben sorgenvolle Tage, wir hören allenthalben klägliches Jammern und sind Zeugen einer Flaumacherei in den weitesten Kreisen, wie sie gefährlicher, verhängnisvoller kaum werden kann.“ Damit reihte er sich ein in die große Schar der vor allem evangelischen Pastöre, die den Kriegskurs des deutschen Kaiserreichs bis zum Zusammenbruch im November 1918 mit Durchhalteparolen unterstützten.
Wahl zum Superintendenten
Innerhalb der evangelischen Kirche war Gustav Ravenschlag stark engagiert, insbesondere im Evangelischen Arbeiterverein, dessen kaisertreue, antikatholische und antisozialdemokratische Ausrichtung wohl besonders gut zu seinem Weltbild passte. Jahrelang war er Vorsitzender des Provinzialverbandes des Vereins, dessen Mitgliederzahlen im Krieg allerdings stark zurückgingen. Die Arbeit im Verein hatte ihm aber im Kirchenkreis Hagen hohes Ansehen verschafft, so dass er am 14. September 1921 zum Superintendenten des Kirchenkreises gewählt wurde. Zehn Tage später ist er überraschend gestorben, gerade 50 Jahre alt. Er wurde in Herdecke auf dem Friedhof an der Zeppelinstraße begraben. Seine Frau Emilie überlebte ihn mehr als 50 Jahre.
Witwe hochbetagt gestorben
Als Witwe engagierte sie sich im karitativen Bereich, insbesondere in der evangelischen Frauenhilfe. Auch in der Politik spielte sie zeitweise eine Rolle. Neben Lina Bösinghaus von der SPD wurde sie als zweite Frau für die D.P. , aus der die heutige Herdecker FDP entstand, von der britischen Besatzungsmacht im Januar 1946 in den ‚beratenden Ausschuss‘ berufen. Aufgabe dieses Ausschusses war es, die Besatzungsbehörde auf dem Weg zur ersten demokratischen Wahl zu unterstützen und zu beraten. Zur Wahl selbst, die im September 1946 stattfand, trat sie - eben so wenig wie Lina Bösinghaus - nicht an. Eine Frau im Rat war wohl damals in Herdecke noch nicht denkbar. Emilie Ravenschlag starb hochbetagt am 19. Februar 1973 und wurde neben ihrem Mann auf dem Friedhof Zeppelinstraße begraben. Keine 10 Jahre hat sie dort geruht. Durch den Bau der Umgehungsstraße seit Ende der 1970er Jahre wurde der Friedhof um eine in die Straßentrasse ragende Fläche verkleinert. Betroffen von der notwendigen Umbettung waren auch die Gräber der Pastöre. Damals entschied sich die Kirchengemeinde, die Gräber bei dieser Gelegenheit an die Stiftskirche zu verlegen.
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