Herdecke. Die Förderung für das Nachbarschaftsnetzwerk Herdecke ist ausgelaufen. Aber das Zusammenwachsen von Helfern und Geflüchteten geht weiter.
Es war nicht das erste Mal, dass der Verein zur Förderung christlicher Sozialarbeit sich um das Wohlergehen von Flüchtlingen gekümmert hat. Aber das, was 2015 aus Syrien und anderen Ländern „auf uns zurollte, entwickelte neue Dimensionen.“ Der VCS-Vorsitzende Dr. Gordon Heinemann hat diesen Blick zurück gewagt. Nachzulesen ist das im Vorwort einer Broschüre, die zeigt, wie sehr sich der VCS der Flüchtlinge angenommen hat: „Fremde werden zu Freunden“, steht im Untertitel der Dokumentation der Nachbarschaftsnetzwerke, die in Herdecke mit Hilfe des VCS geknüpft worden sind. Und mit Hilfe einer großzügigen Förderung, die so kleine Städte wie Herdecke sonst nicht bekommen haben.
Die ersten der Bilder-Broschüre hat Barbara Degenhardt-Schumacher bereits abgegeben. Sie führt die Geschäfte des VCS und ist seit Jahren auch in Diensten der Stadt mit einer halben Stelle in der Betreuung von Flüchtlingen tätig. Andreas Disselnkötter, Ratsherr der Grünen und Leiter des „Nachbarschaftsnetzwerkes Herdecke“, weiß noch, wie Barbara Degenhardt-Schumacher zu dieser Extra-Aufgabe gekommen ist: „Damals konnte die Stadtverwaltung nicht mehr machen als das Nötigste.“
Aber die Stadtverwaltung war 2015/2016, als hunderttausende Menschen vor Krieg und Gewalt vor allem im nahen Osten flohen, nicht allein. Es gab ja auch noch die Herdecker Bürger. Bei einer Informationsveranstaltung zeigte sich eine breite Welle der Hilfsbereitschaft, die nur kanalisiert werden wollte. Eine gute Voraussetzung für ein Nachbarschaftsnetzwerk, das Verbindungen knüpfen sollte zwischen Herdeckern und den Menschen, die es mit ihren teils schrecklichen Geschichten nach Herdecke verschlagen hatte.
Aus einem Nachbarschaftsnetzwerk in Herdecke wurden bald zwei: Aufgaben gab es auch im Stadtteil Ende zur Genüge. Ein Dankeschönfest ist Andreas Disselnkötter besonders in Erinnerung geblieben. „Etwas zurück zu geben war den Flüchtlingen sehr wichtig“, weiß Disselnkötter über das frohe Fest mit Spezialitäten aus fernen Ländern. Besonders im Gedächtnis geblieben ist ihm auch ein Ausstellungsprojekt im Kulturhaus an der Goethestraße. „Woher wir kommen - warum wir hier sind“, so hieß das Projekt mit Portraitaufnahmen der Fotografin Manuela Pavlovskis aus Wetter. Mehrere Fotos mit Besuchern in der Broschüre zeigen den besonderen Zuspruch.
Erschwernisse durch die Politik
Mit dem formellen Abschluss sollte das Nachbarschafts-Netzwerken in Herdecke nicht aufhören. Doch dann kam Corona. Das Zusammenwachsen von alt eingesessenen Herdeckern und hier hin Geflohenen ist dadurch aber bestenfalls verlangsamt worden. „Die Pandemie zwei Jahre früher - das wäre eine Katastrophe geworden“, ist sich Gordon Heinemann sicher. „Das Nachbarschaftsnetzwerk war wichtig“, sagt Andreas Disselnkötter, „und es wird wohl auch nicht enden“, prognostiziert der Projektleiter von damals. Im Sommer jedenfalls sollen die Fäden wieder aufgenommen werden mit einem gemeinsamen Essen in den Bleichsteinwiesen.
Auch Barbara Degenhardt-Schumacher weiß noch, wie das vor einem halben Jahrzehnt in Herdecke war. Sie spricht von „anfangs unheimlich vielen Menschen, die helfen wollten“. Mit den Jahren ist die Zahl dieser Ehrenamtlichen kleiner geworden, die Intensität der Arbeit bei den Verbliebenen dafür umso so mehr gewachsen. Bei vielen sei das Verhältnis von Helfer und Hilfsbedürftigem längst einem freundschaftlichen Umgang auf Augenhöhe gewichen. „Da geht es nicht mehr um Ehrenamt“, sagt Barbara Degenhardt-Schumacher, „das ist Normalität“.
Ein besseres Zeugnis könnte sie dem Nachbarschaftsnetzwerk nicht ausstellen. „Von Beginn an sollte nicht etwas für Flüchtlinge sondern mit Flüchtlingen gemacht werden“, stellt Andreas Disselnkötter heraus. Das gilt auch in der Gegenwart. Viele Flüchtlinge haben einen Aushilfsjob und darüber einen Ausbildungsplatz und eine Stelle bekommen, dankt Disselnkötter besonders Rewe Symalla in Ende. Andere und vor allem Ältere haben immer noch ihre Schwierigkeiten, sich einzufinden in der ihnen fremden Alltagswirklichkeit.
„Der politische Rahmen hat sich verschoben“, bedauert Andreas Disselnkötter. Kirchenasyl, wie es die evangelische Kirchengemeinde in Ende gewährt hat, ist deutlich erschwert worden. Der Nachzug von Familienangehörigen ist kaum noch möglich. Da braucht es gute Nachbarn. In Herdecke waren sie vor dem Nachbarschaftsnetzwerk ebenso zu finden wie jetzt in der Zeit danach.
Start im Frühjahr 2016
Ende 2015 hat der Verein zur Förderung christlicher Sozialarbeit (VCS) beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag zur Unterstützung eines „Nachbarschaftsnetzwerkes Herdecke“ gestellt.
2016 wurde die Arbeit im Urbanhaus der katholischen St. Urban-Gemeinde aufgenommen. Im Frühjahr 2019 lief die Förderung aus.