Herdecke/Leipzig. Entscheidung vertagt: Drei Stunden lang ging es am Bundesverwaltungsgericht um eine Klage aus Herdecke zum Bau der Stromtrasse von Amprion.
Ein spannendes Verfahren mit vielen fachlichen Facetten: Fünf Richter, sechs Verfahrens-Beteiligte und zwölf Zuhörer widmeten sich am Dienstagvormittag im großen Sitzungssaal des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig der Frage, ob die 380-Kilovolt-Stromtrasse von Dortmund über Herdecke nach Hagen rechtmäßig ist oder ob Netzbetreiber Amprion wegen der Klage von zwei Bürgern den Weiterbau neuer Masten durch das hiesige Gebiet stoppen muss.
Bei diesem finalen Schlagabtausch, der rund drei Stunden dauerte, ließ die Vorsitzende Richterin Kerstin Schipper vor allem ein Duo zu Wort kommen. Während einerseits Werner Isermann als Verfahrensleiter der zuständigen Bezirksregierung Arnsberg den Beschluss von Juli 2018 verteidigte und den genehmigten Bau der neuen Höchstspannungsfreileitung weiterhin als richtig ansieht, widersprach ihm mehrfach Philipp Heinz. Der Rechtsanwalt, der die Kläger überzeugend vertrat und in Gutachter Prof. Dr. Lorenz Jarass einen fachlichen Beistand an seiner Seite hatte, kritisierte die Entscheidung wegen „Verfahrensfehlern, mangelhaften Begründungen oder Abwägungen“.
Im Zuschauerraum verfolgten sowohl Vertreter von Amprion (deren Anwalt Dr. Mathias Elspaß ergriff ebenfalls immer wieder das Wort) wie auch Lars Strodmeyer und Wolfgang Heuer von der Prozessgemeinschaft „Herdecke unter Strom“ die abwechslungsreiche Anhörung. Auch Dr. Lars Heismann als Rechtsdezernent der Stadtverwaltung und Christina Kramer vom BUND Herdecke hörten zu, wie das Gericht das Verfahren in drei Themen-Blöcke einteilte.
Zu Beginn der mündlichen Verhandlung in dem beeindrucken Sitzungssaal führte ein Vertreter des zuständigen Senats in die Thematik ein. Zwei betroffene Bürger aus Herdecke und Witten-Rüdinghausen hatten wegen Beeinträchtigungen auf ihren Grundstücken gegen den erfolgten Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung und damit gegen den Trassenbau zwischen den Umspannanlagen Dortmund-Kruckel und Hagen-Garenfeld geklagt.
Die Vorsitzende Richterin erläuterte dann, dass in Anbetracht vieler verschickter Schriftstücke manche Aspekte nun außen vor bleiben könnten. Beispielsweise die Frage, inwieweit die neuen Leitungen Immissionsgrenzwerte gefährden oder diese unbedenklich seien. Dazu gebe es laut Kerstin Schipper ebenso eindeutige Rechtsprechungen wie zur Möglichkeit, Erdkabel als Ersatz für Hochspannungsmasten zu nutzen: Das sei nur für Pilotvorhaben vorgesehen, der Raum Herdecke gehöre nicht dazu.
Drei große Themen-Blöcke
Nach einer Viertelstunde begann dann der Schlagabtausch vor allem zwischen Kläger-Anwalt Heinz und Isermann von der Bezirksregierung. Die Verfahrens-Beteiligten stritten über die Themen Mastbauweise, Alternativtrasse entlang der Autobahnen A45 und A1 sowie über die Leitungsanbindung des Pumpspeicherkraftwerks Herdecke am Hengsteysee (entweder wie vorgesehen nach Kruckel oder quasi nebenan nach Garenfeld).
Bis kurz vor 13 Uhr flogen Argumente hin und her. „Das Grundproblem sind immer wieder unbelegte Behauptungen, die nicht nachvollziehbar sind“, sagte Heinz, ehe kurz darauf Jarass fehlende Immissionsschutz-Berechnungen sowie vermeintlich offene Fragen zur Anbindung des Pumpspeicherkraftwerks nach Hagen kritisierte: Bei dieser Lösung bräuchte es keine Leitung nach Dortmund, die zusätzlich auf der 380-Kilovolt-Trasse mitgeführt werde. Dadurch ergäben sich weniger Belastungen für Herdecker am Schnee, Schraberg, Semberg und Gahlenfeld.
Diese Vorwürfe wies Isermann zurück. Die Bezirksregierung habe Vor- und Nachteile abgewogen, teils in aussagekräftigen Tabellen dargestellt und bei den Masttypen den entsprechenden Stand der Technik berücksichtigt. Bei der Autobahn-Alternativtrasse gebe es neue Betroffenheiten vor allem in Wäldern, dagegen würden die Städte Dortmund und Schwerte protestieren.
Neun Beweisanträge gestellt
Das mündliche Verfahren endete mit neun Beweisanträgen des Berliner Rechtsanwalts: Philipp Heinz forderte darin einerseits verschiedene Gutachten von Sachverständigen ein, um vermeintlich strittige Zusammenhänge überzeugender als bisher klären zu lassen. Andererseits richtete der renommierte Jurist aus Berlin zweimal ein Gesuch an die Richter, sich vor Ort in Herdecke ein Bild von der Situation zu verschaffen. Seitens Bezirksregierung und Amprion kam die Replik, all diese Anträge abzulehnen.
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Während die Richter fast schon stoisch den Ausführungen folgten, ließen sie nur einmal eine Tendenz erkennen: Kerstin Schipper sagte beim Thema Pumpspeicherkraftwerks-Anbindung, dass der Senat der Sichtweise aus dem Planfeststellungsbeschluss folge und Leitungen nach Dortmund für nachvollziehbar halte.
Immerhin konnten beide Gruppen nach dem Ende der Anhörung das historische Gebäude weitgehend zufrieden verlassen. Sowohl die Behörde und die Amprion-Vertreter als auch die Kläger-Seite konnten ihre Standpunkte deutlich machen. Zuvor hatte die Vorsitzende Richterin angekündigt: „Wir werden in Ruhe beraten und eine Entscheidung an diesem Donnerstag verkünden.“ Dann werde das Bundesverwaltungsgericht entweder ein Urteil sprechen oder sich dem Sachverhalt über neue Gutachten weiter nähern.
>>> Kommentar von Steffen Gerber: Komplizierte Sachlage
Wer hat nun die größeren Chancen, den Prozess zur Stromtrasse zu gewinnen? Im Vorfeld war klar, dass die Klägerseite als Außenseiter zur mündlichen Verhandlung nach Leipzig fährt. Daran dürfte die Anhörung vor dem Bundesverwaltungsgericht nichts geändert haben.
Den zuständigen Richtern des vierten Senats können Prozessbeobachter einen fairen Ablauf bescheinigen. Beide Seiten kamen ausreichend zu Wort, Anwalt Heinz und Gutachter Jarass konnten gelegentlich mit ihren Argumenten im Sinne der betroffenen Herdecker punkten. Ob das reicht, entscheiden die Leipziger Juristen in Kürze.
Sicher ist: Das Gericht kann kein einfaches Urteil sprechen. Allein die Tatsache, dass die Stromtrasse Auswirkungen auf viele Menschen hat, sollte nachdenklich stimmen.
Andererseits sind auch viele Argumente der Bezirksregierung und von Amprion schlüssig. Sie müssen mit dem Vorwurf leben, dass sie es sich wegen der Vorbelastung zu einfach gemacht haben und alternative Varianten nicht im Sinne vieler Herdecker umsetzen woll(t)en. Nun muss das Gericht abwägen, ob es doch bessere Lösungen als den Weiterbau im vorhandenen Trassenraum gibt. Angesichts der Komplexität des Themas kein leichtes Unterfangen.