Herdecke. Erstmals wurde ein Produkt der Herdecker Stiftsbrennerei prämiert - und dazu auch noch auf internationalem Parkett beim World Spirits Award 2020.

Wie wäre es zur Abwechslung mal mit etwas Spirituosen-Fachsprache? Pinnchen raus und verbal eingeschenkt: zarter Zitruston, leicht grün-grasig, apfelig-birnig, erdig-wurzelig, mineralisch. Schon Schluckauf oder noch Restalkohol intus? Nichts verstanden? Dann einfach (zu gegebener Uhrzeit oder entsprechendem Anlass) einen Herdecker Sackträger trinken. Denn so soll dieser 45-prozentige Schnaps duften, meint eine unabhängige Jury lobend. Und vergab beim „World Spirits Award 2020“ die Auszeichnung Gold für den heimischen Traditions-Wacholder.

Erste Prämierung

„Das ist eine bedeutende und – was eine weltweite Plattform betrifft – die erste Prämierung für ein Produkt der Herdecker Stiftsbrennerei“, sagt Inhaber Michael Habbel. Dessen Familie betreibt seit 1872 eine Destillerie in Sprockhövel. Die übernahm 1981 die bereits 1842 von Eduard Steinbrinck gegründete Stiftsbrennerei. Die Keller-Räumlichkeiten neben der evangelischen Kirche St. Marien und die Rezepte vom Stiftsplatz bekamen also einen anderen Besitzer, der dadurch auch die Markenrechte der zuvor angeschlossenen Adler-Brennerei Peters aus Dortmund erhielt. So weit der historische Schluck aus der Pulle.

Heimisches mit markanten Namen

Beim Blick ins aktuell nur halbvolle Glas (Auswirkungen der Corona-Krise) scheint Michael Habbel aber auf den Geschmack gekommen zu sein. „Ich kann mir gut vorstellen, dass wir nach der Premiere in den nächsten Jahren weitere Herdecker Spirituosen zur Jury schicken.“ Daraufhin schaut Annette Bos in die Regale der Stiftsbrennerei. Seit 1991 verkauft die Volmarsteinerin Hochprozentiges hier im historischen Stadtkern. „Gefragt sind vor allem heimische Liköre und Schnäpse mit markanten Namen“, sagt die 62-Jährige, die donnerstags von 10 bis 13 und 15 bis 18 Uhr die zwei schlauchartigen Kellerräume für Kunden aufschließt.

200 Weine und Spirituosen

Die finden dort rund 200 Weine und Spirituosen, darunter neun hiesige Traditionsgetränke wie den Frederuna-Likör, Stiftskart-Korn oder das Herdecker Dröpken. Über diese Bezeichnungen ließen die Steinbrincks einst die Bürger abstimmen. „Und auch der Klosterpütt-Likör mit seiner Rezeptur aus dem Jahr 1842 ist nach wie vor ein Verkaufsschlager“, berichtet Annette Bos. Derweil denkt Michael Habbel laut nach, ob er im nächsten Jahr davon eine Probe zu der internationalen Expertenkommission schickt. „Eigentlich ist es an der Zeit, ein zehntes Herdecker Produkt herzustellen, vielleicht wird es ja ein Gin“, sagt der Destillateur, der 1968 in den Sprockhöveler Familienbetrieb einstieg und sich seit 2012 die Geschäfte mit Tochter Michaela Habbel teilt.

Die Stiftsbrennerei führt neben dem nun prämierten Wacholder-Schnaps weitere Traditionsprodukte vom Vorgänger Steinbrinck wie den Kräuterlikör Klosterpütt (links) oder den Klosterlikör Äbtissin im Sortiment.
Die Stiftsbrennerei führt neben dem nun prämierten Wacholder-Schnaps weitere Traditionsprodukte vom Vorgänger Steinbrinck wie den Kräuterlikör Klosterpütt (links) oder den Klosterlikör Äbtissin im Sortiment. © Steffen Gerber

Die überraschende Sackträger-Auszeichnung nach der ersten Nominierung betrachtet der 71-Jährige als „Weckruf, um unsere Herdecker Schätzchen mehr in den Vordergrund zu rücken“. Allein schon wegen der Tradition, die sich auf den Etiketten mit städtischen Symbolen und dem Steinbrinck-Schriftzug widerspiegelt. „Ich habe Blut geleckt, vielleicht gibt es hier in der Stiftsbrennerei auch mal ein Tasting, wobei jeder Kunde vor dem Kauf ohnehin probieren kann.“

Gastronomie derzeit geschlossen

Durch manche Entwicklungen komme jedoch auch etwas Wasser in den Wein. Wegen der Corona-Krise konnte er nicht zur World-Spirit-Preisverleihung nach Österreich fahren. Noch gravierender: Durch die Gastronomie-Schließung in Sprockhövel muss die Destillerie und Brennerei Umsatzeinbußen auffangen, so dass Michaela Habbel als Vertreterin der vierten Generation eine Desinfektionsmittel-Produktion aus reinem Alkohol angestoßen hat. Nicht zu vergessen die Herdecker Probleme: „Durch die Verlagerung des Geschäftslebens ‘runter zur Ruhraue ist es hier ruhiger geworden“, so Annette Bos. Daher öffne die Stiftsbrennerei seit rund fünf Jahren auch nur noch einmal in der Woche. „Zudem haben wir hier keinen Produktions-Platz. Wir hatten nach der Schließung der Abfüllanlage zwar mal überlegt, die Räumlichkeiten wieder umzubauen, dagegen sprachen aber allein schon die Lkw-Anlieferbedingungen am Stiftsplatz“, erläutert Michael Habbel.

Der betont übrigens beim sehr klaren Sackträger-Schnaps den schönen Abgang, die angenehme Kräuter-Note und den guten Duft durch die deutliche Wacholdernote durch Beeren aus der Toskana. In der Fachsprache heißt es zum Geschmack: aromatisch, sehr klare Handschrift, erdig-wurzelige Wacholder-Stilistik, kompakt-dichter Körper.

Die Geschichte der Brennerei

In den 1980er-Jahren arbeiteten noch zwei Angestellte in der Stiftsbrennerei, die im Produktionsbetrieb früher für ordentlich Qualm und entsprechende Düfte neben der Kirche St. Marien sorgte. Die Steinbrincks hatten vor dem Zweiten Weltkrieg ihre Produkte deutschlandweit vertrieben und konnten 1954 sogar die renommierte Adler-Brennerei übernehmen.

Michael Habbel wiederum hat nach eigenen Angaben den damals recht günstigen Kauf (nach Verhandlungen mit Herbert Steinbrinck) der Stiftsbrennerei trotz seltener Öffnungszeiten nie bereut. „Die trägt sich vor allem dank der Stammkunden quasi von selbst, zudem konnten wir ja den Gewölbekeller schön einrichten“, sagt Besitzer Michael Habbel.