Herdecke. In der Kneipe an der Hauptstraße 38 kommen seit Jahrzehnten Generationen zusammen - eine Erfolgsgeschichte von „Alma“ bis „Shakespeare“.
Das Fachwerkhaus an der Hauptstraße 38 hat eine bewegte Zeit hinter sich. Alteingesessenen Herdeckern ist es noch als „Tante Alma“ bekannt und so nennen sie es bis heute. Viele Pächter haben hier schon Bier gezapft. Wir blicken zurück: auf Alma Bierwirt und ihre Nachfolger.
Ende des 18. Jahrhunderts wird das Haus gebaut. Zunächst ist es ein Geschäft, erst nach einem Brand wird es zur Gaststätte umgebaut. In den 1930er-Jahren kauft die Vormann-Brauerei aus Hagen-Dahl das Gebäude. Sie ist bis heute Eigentümerin.
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Alma Bierwirt (geb. Walkenhorst) übernimmt die Gaststätte gemeinsam mit ihrem Mann Willi, als sie kaum 30 Jahre alt ist. Wie das Lokal damals geheißen hat, darüber herrscht Ungewissheit. Viele Zeitzeugen erinnern sich nicht mehr, einige nennen den Namen „Westfälischer Hof“.
Eine Postkarte zeigt diesen allerdings als Hotel mit Restaurant um 1900 an der Ecke Hauptstraße 12/Sonnensteinstraße (heute Wilhelm-Gräfe-Straße). 15 Jahre später stand an gleicher Stelle die Gaststätte „Markaner“. Es ist also möglich, dass der Name die Hauptstraße hinauf gezogen ist.
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Suppe und Umkleiden für die Sportler der TSG
In den 1950er-Jahren trennen sich die Eheleute Bierwirt und Alma führt die Gaststätte alleine weiter. Nach dem zweiten Weltkrieg ist sie Vereinswirtin der TSG Herdecke. Die Tischtennis-Abteilung trainiert regelmäßig bei ihr. „Alma war wie eine Mutter für mich“, erinnert sich Karl-Heinz Regener (87), der damals 13 Jahre alt ist. Sie kocht für die Sportler warme Suppe und die Fußballer dürfen sich in dem Anbau an der Frühlingsstraße duschen. Weil sie von ihr so umsorgt werden, nennen sie ihre Wirtin irgendwann „Tante Alma“.
Eines Abends geht Karl-Heinz Regerner mit einem Freund zu der Kneipe, als diese schon geschlossen ist. Alma wohnt im Stockwerk darüber. Der Freund sei die Hauswand hoch geklettert, durch das Schlafzimmer geschlichen und habe unten die Tür aufgemacht. „Dann haben wir uns selbst ein paar Bier gezapft“, erzählt der 87-Jährige. Am nächsten Tag habe Alma die leeren Gläser gesehen, doch sauer sei sie nicht gewesen: „Mit Alma konnte man sowas machen“, so Regener.
Rainer Herzog baut die Kneipe um
Nach Almas Tod betreibt Günter Orff bis 1976 in der Gaststätte eine Discothek (Studio 38). Anschließend steht das Haus zwei Jahre leer und soll im Zuge der Innenstadt-Sanierung abgerissen werden. In dieser Zeit fragt Rainer Herzog Brauerei-Chef Eduard Vormann, was er denn mit seiner „ollen Kabache“ vorhabe. Und Vormann fragt, ob Herzog sie nicht haben wolle. „Bisse dull?“ lautet die Antwort.
Herzog hatte schon in Hagener Szenekneipen und Discotheken gearbeitet, die Kneipe an der Hauptstraße kennt er nur vom Vorbeifahren. Doch er nimmt sich dem mittlerweile stark verwahrlosten Haus an und baut es eigenständig um. Eine Art verlängertes Wohnzimmer soll es werden. Er legt Decken und Wände von Gipskarton und Sperrholzplatten frei, die obere Etage wird Teil der Gaststätte. Die Treppe holt er aus einer alten Scheune. Den Tresen mauert er mit Ziegelsteinen aus Abbruchhäusern in Lüdenscheid.
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Name ist eine Hommage an Alma Bierwirt
Erst kurz vor der Eröffnung am 26. Oktober 1978 hat Rainer Herzog die Idee für den Namen der Kneipe: „Tante Alma“, eine Hommage an die einstige Wirtin. Aus seiner Zeit als Kneipier fallen ihm viele Anekdoten ein. So habe es 1981 einen Stromausfall in Herdecke gegeben. Herzog holte sich aus der Brauerei gekühltes Bier und stellte in der Alma mehr als 40 Kerzen auf. „Es war einer der gefühlvollsten Abende in meiner Alma-Karriere“, erinnert er sich.
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1984 übernimmt dann Kumpel und Musiker Bernd „Ebbi“ Ebbinghaus die bekannte Kneipe. Mit ihm wird es gerne mal etwas lauter. Denn zu seiner Zeit spielen viele bekannte Bands aus der Region in der Alma. „Ich hatte beim Ordnungsamt einen dicken Ordner“, grinst der 66-Jährige heute. Einmal sei er sogar mit der Stadt vor Gericht gewesen. Doch er hat gewonnen: „Der Richter sagte sinngemäß, wenn Herdecke eine junge, aufstrebende Stadt sein wolle, müsse sie die laute Musik hinnehmen.“
Live-Musik und alte Bekannte im „Shakespeare Pub“
Bei seinen Gäste kommt das Konzept mit der Live-Musik hingegen besser an. Die Kneipe ist rammelvoll – auch unter der Woche. „Es sind sogar welche oben aus dem Fenster gesprungen, weil sie nicht bis nach unten durchkamen“, erinnert sich Ebbi. Anfang der 90er-Jahre merkt aber auch er, dass die Leute an den Wochenenden in die Discos abwandern. Das ist allerdings nicht der Grund, weshalb er 1996 aufhört: „Ich hätte die Alma gerne länger behalten.“ Die Vormann-Brauerei aber wollte 10-Jahres-Verträge abschließen und da habe er sich gegen entschieden.
Seit September 2015 betreibt der gebürtige Engländer Nathaniel Stott (50) seinen „Shakespeare Pub“ im Fachwerkhaus an der Hauptstraße 38. Live-Musik gibt es immer noch und das fast täglich.
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Alte Bekannte trifft man hier ebenfalls: Ebbi tritt ab und zu mit seiner Band „Overstolz“ auf. Karl-Heinz Regener kehrt regelmäßig im Shakespeare ein („Da ist etwas mehr los als woanders.“). Und Rainer Herzog steht sogar das ein oder andere Mal hinter der Theke, wenn Not am Mann ist. So hat er weiterhin ein Auge auf seine „Alma“ – und auf ihren Wirt: „Ich habe Nathaniel gesagt, wenn er den Laden in den Sand setzt, bekommt er fürchterlichen Ärger mit mir.“