Herdecke. Das Haus Pfingsten verbinden viele Herdecker mit Albert Jungheim. Seine Tochter blickt zurück auf ihre Kindheit und Jugend in der Kneipe.
In den Gesprächen mit Herdeckern über die hiesige Kneipenszene heißt es immer wieder: „Haus Pfingsten war damals die angesagte Kneipe.“ Eine, die es wissen muss, ist Martina Jungheim (58). Sie ist die jüngste Tochter von Albert und Irene „Reni“ Jungheim, die die Gaststätte am Stiftsplatz viele Jahre bewirtschaftet haben.
Der Name Haus Pfingsten hat nichts – wie manche annahmen – mit dem christlichen Kirchfest zu tun, sondern es war der Name der Wirtsfamilie. „Die ersten Pfingsten gab es laut Stammbaum wohl schon 1620“, erzählt Martina Jungheim. In einer Broschüre des Herdecker Heimatforschers Wolfram Mellinghaus heißt es, „mindestens sieben Generationen“ der Familie Pfingsten haben hier die Gäste bewirtet.
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Martina Jungheim erinnert sich an die Zeit, als ihre Großmutter Irene Langenbeck (geb. Pfingsten) noch mit in der Wirtschaft geholfen hat. Der Großvater war früh verstorben. „Ich kenne meine Oma nur mit Schürze und Kittel.“ Später übernahmen ihre Eltern die Gaststätte. Oma Pfingsten hat aber bis zu ihrem Tod den Frühschoppen gewuppt. „Meine Eltern waren ja oft nicht vor zwei Uhr morgens im Bett“, sagt Martina Jungheim.
Kaiman auf dem Dachboden
Die fünfköpfige Familie lebte in der Wohnung über der Kneipe: „Wir hatten einen riesigen Dachboden, das war ein Abenteuerspielplatz.“ Einmal habe sie dort einen mit Tabak ausgestopften Kaiman von einem Seemannsverein gefunden. „Der Tabak war vielleicht geschmuggelt“, vermutet sie heute.
Sobald sie und ihre Schwester „über den Tisch gucken“ konnten, mussten sie mit anpacken. Sie putzten vor der Schule den Schankraum und die Toiletten, schälten zentnerweise Kartoffeln und schleppten Eisblöcke. Auch am Ruhetag gab es einiges zu tun: „Meistens haben wir eingekauft und die Bierleitungen sauber gemacht“, so Jungheim.
Manchmal seien sie aber auch in ein anderes Restaurant gegangen: „Da konnte sich meine Mutter dann mal bedienen lassen.“ Irene „Reni“ Jungheim sei eine „fantastische Köchin“ gewesen und achtete penibel darauf, dass ihre Töchter stets höflich waren und alle grüßten.
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Jungheim war Leiter der Feuerwehr in Herdecke
Vater Albert Jungheim war der Leiter der heimischen Feuerwehr, die direkt gegenüber im Rathaus untergebracht war (heute Polizei). Zudem hatte er enge Verbindungen zu den örtlichen Vereinen wie den Handballern oder den Schützen. In der Kneipe war er für seine Gäste aber vor allem eines: Entertainer.
Noch heute erinnern sich Herdecker an seinen legendären Auftritte als Johannes „Jopi“ Heesters. Solange er noch keinen weißen Schal hatte, legte er sich Klopapier um den Hals. Während seiner Gesangseinlagen kam er jedoch seinen Pflichten als Wirt nicht mehr so nach. „Er hat nicht mehr kassiert – und das nutzten die Gäste natürlich aus“, erzählt Martina Jungheim, die im Übrigen bis heute kein Bier riechen kann.
Eltern waren blauäugig
Generell seien ihre Eltern häufig zu nett gewesen: „Es hat viele offene Deckel gegeben.“ Sie hätten Angst gehabt, dass die Gäste ihre Drohungen wahr machen und nicht mehr kommen. Auch bei den Verträgen mit der Stadt und den Brauereien seien sie ziemlich blauäugig gewesen: „Ich konnte nicht glauben, dass die da unterschrieben haben“, sagt Martina Jungheim. Sie und ihre Schwester seien zu der Zeit allerdings zu jung gewesen, um eingreifen zu können. „Wir hätten uns mit 60.000 DM pro Person in den Gesamtvertrag einkaufen können.“
Nach dem Umbau der Gaststätte 1977 im Zuge der Innenstadt-Sanierung war ein paar Jahre später Schluss. Die Kosten waren zu hoch, Albert und „Reni“ waren schon länger krank. Beide sind 1990 im Alter von 64 und 59 Jahren verstorben. Auf die Frage, warum Haus Pfingsten bei den Herdeckern damals so beliebt war, antwortet Tochter Martina Jungheim: „Mein Vater war der Magnet.“