Witten/Wetter. . Ein SPD-Politiker aus Wetter hat kurzfristig eine Diskussion an einer Wittener Schule abgesagt. Grund dafür war die Teilnahme eines AfDlers.

Sieben Monate vor der Europawahl wollten der Wittener Holzkampschüler mit Vertretern der sechs Bundestagsparteien über Europa diskutieren – über Grundwerte, Migration, EU-Müdigkeit, Brexit und Perspektiven.

Der heimische SPD-Europaabgeordnete Dietmar Köster (Wetter) gab den Veranstaltern kurzfristig einen Korb. Er hatte gefordert, dass die AfD wieder ausgeladen werde. Der Ring politischer Jugend spricht von einem „Ultimatum“ und „Erpressung“. Vor die Wahl gestellt, verzichtete er auf Köster.

Absage: Jusos springen für SPD-Politiker ein

Zum Gespräch mit 50 Schülern des Abi-Jahrgangs im Forum der Holzkampschule – eine Europaschule – kamen am Donnerstag der CDU-Bundestagsabgeordnete Ralf Brauksiepe, die Hagener FDP-Bundestagsabgeordnete Kartin Helling-Plahr, der Grünen-Landesvorsitzende Felix Banaszak und der AfD-Kreisvorsitzende Matthias Renkel (Witten). Der Linke-Europaabgeordnete Martin Schirdewan ließ sich wegen Krankheit entschuldigen.

Für Köster sprangen die Jusos Christopher Fahsold und Thomas Platzek ein. Jeder Politiker hatte einen Einzeltisch, an dem ihnen die Schüler im Wechsel auf den Zahn fühlten. Ein Schlagabtausch auf einem Podium war nicht vorgesehen und fand auch nicht statt.

Ring politischer Jugend: Einladung war unzweideutig

Veranstalter war der Ring politischer Jugend Witten in Kooperation mit der Schule. Im Ring haben sich die Jusos, die Junge Union und die Grüne Jugend zusammengeschlossen. Die Arbeit, die mit öffentlichen Mitteln unterstützt wird, diene der allgemeinen politischen Bildung, sagt der Vorsitzende, Grünen-Ratsherr Joris Immenhauser (23). „Wir sind überparteilich und dürfen keine politische Werbung für einzelne Parteien machen.“

Als der Ring vor anderthalb Monaten entschieden habe, die im Bundestag vertretenen Parteien einzuladen, „war für uns klar, dass auch die AfD dabei ist“. Das hätte eigentlich auch Köster da schon wissen können, so Immenhauser. „Der Verweis auf die sechs im Bundestag vertretenen Parteien stand schon in der Einladung drin.“

„Ich fühlte mich erpresst“

Am Dienstagmittag (18.9.) habe Köster ihn dann angerufen und gesagt, er habe gerade von seinen Mitarbeitern erfahren, dass auch die AfD teilnehmen werde. Immenhauser weiter: „Dann hat er mir ein Ultimatum stellt – entweder kommen die oder ich.“ Köster habe ihm genau drei Stunden Zeit gegeben, die AfD wieder auszuladen. Andernfalls werde er öffentlich erklären, warum er nicht teilnehme. Immenhauser: „Ich fühlte mich, ehrlich gesagt, erpresst.“

Nach Rücksprache mit der Holzkampschule blieb der Ring politischer Jugend bei seiner Linie. Am frühen Mittwochabend begründete Köster dann in einem offenen Brief, den er an Medien verschickte, seine Absage. Darin schreibt der ehemalige EN-Unterbezirksvorsitzende der SPD u.a.: „Alle demokratisch gesinnten Menschen sollten den neuen und alten Nazis mitteilen, dass sie nicht willkommen sind. Weder in Schulen noch bei politischen Debatten demokratischer Partein oder anderswo.“

Der offene Brief von Dietmar Köster im Wortlaut

Hier wird der offene Brief von Dietmar Köster, MdEP, von Mittwoch, 19.9.2018 im Wortlaut dokumentiert. Er ist adressiert an den 1. Vorsitzenden des Rings politischer Jugend Witten, Herrn Joris Immenhauser und die Schüler*innen der Holzkamp-Gesamtschule

Thementag Europa in der städtischen Holzkamp-Gesamtschule Witten

Sehr geehrter Herr Immenhauser,

liebe Schüler*innen,

zunächst bedanke ich mich für die Einladung zu Ihrer oben genannten Veranstaltung, an der ich gerne teilnehmen würde, um mit Ihnen und den Schüler*innen über die Zukunft Europas zu diskutieren.

Gestern erfuhr ich, dass an der Veranstaltung ein Vertreter der AfD teilnehmen soll. Wie ich Ihnen bereits telefonisch mitgeteilt habe, halte ich die AfD für eine antidemokratische und europafeindliche Partei, die völkisch-national ausgerichtet ist und menschenfeindlich agiert.

Mit Vertretern einer solchen Partei mache ich mich nicht gemein. Daher kann ich an dieser Veranstaltung nicht teilnehmen. Sollte der Vertreter der AfD ausgeladen werden, bin ich natürlich gerne bereit, an der Diskussionsrunde mitzuwirken.

Ich halte es für falsch, solchen faschistoiden Parteien wie der AfD ein Forum zu bieten, wo sie Ihren Unsinn in Form von Verschwörungstheorien, Größenwahn und Hass verkünden können. Oft wird behauptet, man müsse die Argumente der Faschisten bloßstellen und sie so entkräften. Ich halte das für wenig überzeugend. Diese Strategie verfolgt man seit längerer Zeit und das Ergebnis ist ein Erstarken der Nationalisten. Natürlich muss man immer wieder darauf hinweisen, dass Rassismus, Deutschtümeleien und Nationalismus eine Gefahr für Demokratie und Frieden und Menschenrechte sind. Nationalisten haben nie die Lebenslagen der Menschen verbessert sondern Katastrophen herbeigeführt. Wenn ich die AfD als eine „normale“ demokratische Partei betrachte, mit der man sich wie mit anderen demokratischen Parteien auseinandersetzt, hat die Demokratie bereits verloren. Denn Faschismus ist keine Meinung. Faschismus ist ein Verbrechen.

Es darf keine Relativierung der Gefahren geben, die vom Rechtsextremismus ausgehen. Der Rechtsextremismusforscher Wilhelm Heitmeyer sagte kürzlich in einem Interview, die Formel “Wehret den Anfängen“ sei überholt. Heute müsse es heißen „Wehret der Normalisierung“. Eine Veranstaltung mit Vertretern der AfD würde zu einer Normalisierung des Rechtsextremismus beitragen.

Hinzu kommt, dass es der AfD gar nicht um die besseren Argumente geht. Sie instrumentalisiert Ängste vieler Menschen zum Beispiel vor sozialem Abstieg für ihre rassistischen Parolen gegen Menschen, die vor Kriegen oder politischer Verfolgung fliehen oder einfach nach Europa migrieren. Dieser Nationalismus hat Europa und die Welt bereits zweimal in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts in die Katastrophe gestürzt. Jetzt reicht es!

Spätestens seit den Vorfällen in Chemnitz müsste für jeden klar sein, dass die AfD keine normale demokratische Partei ist. Sie paktiert mit offen gewaltbereiten Faschisten und findet nichts dabei mit Leuten durch die Straßen zu ziehen, die „Adolf Hitler“ und „nationaler Sozialismus“ skandierten und Menschen, die als nichtzugehörig definiert werden, durch die Stadt jagten. Sie zeigt Verständnis für Aufmärsche, in deren Kontext wieder Steine in ein jüdisches Restaurant flogen. Alle scheinbaren Distanzierungen der AfD von gewaltbereiten Faschisten sind unglaubwürdig und taktisch. Sie spielen die Biedermänner. In Wirklichkeit wollen sie die Demokratie und Europa zerstören. Damit entfällt für mich jede Grundlage einer Diskussion. Wir können nach Chemnitz nicht einfach zur politischen Tagesordnung übergehen, als sei nichts geschehen! Schluss mit der Beschwichtigungsrhetorik! Der Faschismus muss geächtet werden! Er ist nicht Teil der demokratischen Gesellschaft!

Der Sozialphilosoph Adorno schrieb: „Ich fürchte mich nicht vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten“. Das ist so aktuell wie selten zuvor!

Mein politischer Antrieb war und ist nach wie vor das Versprechen nach dem 2. Weltkrieg „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“ Dem bin ich verpflichtet!

Alle demokratisch gesinnten Menschen sollten den neuen und alten Nazis mitteilen, dass sie nicht willkommen sind. Weder in Schulen, noch bei politischen Debatten demokratischer

Parteien oder anderswo!

Mit besten antifaschistischen Grüßen

Dietmar Köster