Hagen. . Ballettchef Ricardo Fernando bringt in Hagen die Grinsekatze zum Tanzen. Das Publikum feiert die Ballettfassung des Kinderbuchlassikers „Alice im Wunderland“ von Lewis Carroll. Die junge Hagener Tanzcompagnie stürzt sich mit großer Begeisterung und enormem Können in das Abenteuer.

Grinsekatzen, rauchende Raupen und hüpfende Hummer bevölkern ab jetzt die Bühne des Theaters Hagen. Denn Ballettdirektor Ricardo Fernando interpretiert „Alice im Wunderland“ neu, das berühmteste Kinderbuch in englischer Sprache. Viele Male ist der Stoff von Filmregisseuren, Theaterkünstlern und Musikern bereits adaptiert worden. Ricardo Fernando arbeitet mit Zitaten aus diesen Vorlagen, findet aber gleichwohl einen eigenständigen Zugang und erzählt die Geschichte des Schriftsteller Lewis Carroll als buntes Märchen über die befreiende Macht der Phantasie. Das Publikum feiert die Uraufführung mit anhaltendem Beifall im Stehen.

Faszination des Unmöglichen

Lewis Carroll war im Hauptberuf Mathematik- und Logik-Professor in Oxford. Die Abenteuer der kleinen Alice hat er sich 1864 für seine gleichnamige Nichte ausgedacht. Bis heute führt Alice ein Doppelleben – als Meisterwerk der Weltliteratur und als metaphorisches Zitatenreservoir für Künstler und Wissenschaftler, die das Unmögliche jenseits der Regeln reizt. Denn wie sagt die Weiße Königin: „Das Unmögliche zu schaffen, gelingt einem nur, wenn man es für möglich befindet.“

Aufführungen bis Januar 2015

Die erste Ballett-Inszenierung der neuen Spielzeit – die Uraufführung „Alice im Wunderland“ – beginnt am Samstag, 27. September, um 19.30 Uhr auf der Hauptbühne des Theaters.

Weitere Termine: 1.10., 5. 10. (15 Uhr), 10.10., 19.10. (15 Uhr), 25.10., 13.11., 5.12., 17.12., 26.12. (16 Uhr), 9.1., 28.1.2015 – jeweils um 19.30 Uhr, wenn nicht anders angegeben.

Gerade das Tanztheater steht angesichts dieser Bedeutungsebenen vor der Herausforderung, entweder ein familientaugliches Märchen oder aber eine symbolisch aufgeladene Erwachsenengeschichte zu erzählen, da dem Tanz ja die Dimension des gesprochenen Wortes fehlt. Ricardo Fernando entscheidet sich definitiv für das Märchen und lässt seine Heldin aus einer klassischen Konfliktsituation heraus zu ihrer Phantasiereise aufbrechen. Die Eltern verstehen ihre Tochter nicht und schieben sie ins Internat ab, wo sie am Drill der Lehrer fast zugrunde geht, bis das Weiße Kaninchen kommt.

Die Hagener Tanzcompagnie besteht aus jungen Leuten von allen Kontinenten. Sie stürzen sich mit großer Begeisterung und enormem Können in das Alice-Abenteuer und spiegeln dadurch auch die ungebrochene internationale Popularität des Textes bei der jüngeren Generation. Ricardo Fernando erweckt die teils schrägen, teils poetischen Figuren mit einem unglaublich großen Repertoire an tänzerischem Vokabular zum Leben - vom höfischen Menuett über den Walzer in allen Variationen und das Ballett der Gemüse beim Kochwettstreit bis zum Schuhplattler des Herzkönigs. Immer wieder bewegen sich die Phantasiegestalten auch wie aufgezogen, wie Spielfiguren. Das spiegelt die Handlung, ruft in Erinnerung, dass es sich um ausgedachte Geschöpfe handelt.

Renn-Kaninchen im Schottenrock

Die werden mit viel Herz und viel Liebe gezeichnet, wozu nicht zuletzt die farbstarken Kostüme von Ausstatter Dorin Gal beitragen. Das Weiße Kaninchen (Shinsaku Hashiguchi) rast im Schottenrock über die Szene, mal auf einem Springstock hüpfend, mal einen Aluroller tretend. Zwiddeldum und Zwiddeldei (Leszek Januszewski, Tomoaki Nakanome) treten als Elvis-Imitatoren auf. Yoko Furihata ist eine Grinsekatze mit Schlangenfrau-Qualitäten, und Sofia Romano eine herzlose Herzkönigin.

Bobby Briscoe stellt seine Vielseitigkeit in mehreren Rollen unter Beweis: als strenger Vater, als bunter Papagei, als Wasserpfeife rauchende Reggae-Raupe und als Herzkönig-Pantoffelheld. Brendon Feeney ist als Hutmacher ein bisschen an Johnny Depp in Tim Burtons „Alice“-Verfilmung angelehnt und bildet den weisen Vermittler zwischen den bizarren und den unheimlichen Ereignissen.

Und die Alice selbst ist einfach zauberhaft. Tiana Lara Hogan tanzt eine mutige, neugierige Titelheldin, immer bereit, noch die verrücktesten Begegnungen staunend zu akzeptieren und sich ihrer Angst vor dem Unbekannten zu stellen Die tänzerische Leistung der Truppe ist herausragend. Die zahlreichen Soli und Pas de deux mit ihren brillanten Sprung- und Hebefiguren und die Ensembleauftritte erzeugen starke Bilder voller Witz und Magie. So lautet denn auch am Ende die Botschaft ans Publikum: Wunderland ist überall.